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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

liberalen Grundsätze, seine Stellung in der kaiserlichen Familie machten ihn zu einem der ersten Männer der Monarchie. So lange er öffentlich zu wirken berufen war, bekundete er die ausgezeichneten Eigenschaften seines Herzens und Geistes auf die wohlthätigste Weise. Er war einer der Wenigen, welche vor den Tagen der Revolution den Begriff von Volk in anderer Weise auffaßten, als man es in den obersten Kreisen gewohnt war, der in ihm den Hauptkern des Staates erkannte und darnach seine Thätigkeit einrichtete. Der Frühling des Jahres 1848 zog jedem Gewaltigen der damaligen Zeit den Boden unter den Füßen weg; es ist darum ein sprechendes Zeugniß für ihn, daß in der größten Aufregung der politischen Parteien die Ungarn immer mit Anhänglichkeit und Achtung zu ihm aufblickten und daß diese Sympathien selbst den Schrecken der blutig unterdrückten Revolution überdauerten. Die Ereignisse haben ihn wohl aus dem Vaterlande entfernt, aber demselben nicht entfremdet. Heute sind die Verhältnisse des Königreichs noch nicht so weit geordnet, daß darauf die Hoffnung auf die günstigste Zukunft für das Land gegründet werden könnte. Wer aber die politische Wirksamkeit des Erzherzogs in Böhmen, wer seine Vertrautheit mit dem Charakter und den Bedürfnissen der ungarischen Nation, wer seine freisinnige und ausdauernde Thätigkeit vor dem unglückseligen Kriege im Lande kennt, wird gewiß die Ueberzeugung hegen, daß kein anderer österreichischer Prinz so wie er geeignet ist, die Angelegenheiten der Ungarn zur Ausgleichung zu bringen, wenn sie überhaupt auf diesem Wege ausgeglichen werden sollen. – Mit dem Tage seiner Ankunft in Schaumburg begann für den Erzherzog Stephan ein neuer Lebensabschnitt. Die friedliche Einsamkeit des alten Schlosses inmitten der Berge und Wälder, die ländliche Bevölkerung mit ihren ganz anderen Bedürfnissen und Anschauungen, dies Alles mußte einem von Natur thätigen Charakter eine vollständig neue Richtung anweisen. So treffen wir denn den Erzherzog bald nach seiner häuslichen Niederlassung in Schaumburg umgeben von Hunderten von Arbeitern. Die alten Mauern des einförmigen, geschmacklosen Burgbaues sinken eine nach der andern in den Staub, und aus den Ruinen empor steigt ein neuer Bau, mit hohen Thürmen und Zinnen, der innerhalb fünf Jahren vollendet wurde.

Geben wir aber auch zu, daß dieser Winkel der Erde, welchen sich der Erzherzog ausgesucht, ein schöner und lachender ist, so muß er doch Jemandem, der große Königreiche regiert und so unruhige Zeiten erlebt hat, klein und still vorkommen. Wir wollen nicht untersuchen, warum der Erzherzog Ursache hat, Ungarn, oder Wien, oder Oesterreich überhaupt zu meiden, aber so viel ist gewiß, daß sein Aufenthalt in Schaumburg viele Aehnlichkeit mit einer Verbannung hat.

Sein Stillleben ermangelt zwar nicht der Anerkennung und der Huldigungen, welche ein Fürst in seiner Stellung schwer ganz entbehren kann. Bei dem nassauischen Hof, der im Winter in Wiesbaden, im Sommer in Bieberich residirt, ist er ein oft und gern gesehener Gast. Ebenso besucht er öfters die Höfe in Oldenburg, Weimar u. a. – In Limburg an der Lahn hat der katholische Bischof, Peter Joseph Blum, eine Hauptstütze der episkopal-ultramontanen Partei, seinen Sitz, und man kann sich denken, daß er und seine geistlichen Räthe, Domherren, Domcapitulare, Regens und Subregens, Vicare und Kapläne und wie der zahlreiche geistliche Hofstaat sonst noch heißt, es an Aufmerksamkeiten nicht fehlen lassen gegenüber einem Prinzen, der dem Hause Oesterreich angehört und einem Lande, welches das beste aller Concordate erzeugt und trotz des gegenwärtig dort herrschenden Constitutionalismus noch nicht wieder abgeschafft, ja nicht einmal in einem Jota geändert hat. Und der Erzherzog muß natürlich diese Aufmerksamkeiten erwidern und zuweilen in Limburg erscheinen, namentlich wenn der protestantische Herzog von Nassau, der in dem römischen Klerus die Stütze seines Throns erblickt, dort erscheint, und wenn große Kirchenfeste feierlich begangen werden. Welche dieser verschiedenen Solennitäten dem Erzherzog das größte Vergnügen macht, wissen wir nicht. Bei einigen derselben, versichern uns glaubwürdige Leute, soll er zuweilen ermüdet und gelangweilt aussehen. – Mitunter erhält er Besuch aus Oesterreich, aber nicht oft. Dann mag er begierig der Kunde lauschen aus dem fernen Lande und der alten Zeit und, den langen gewundenen Schnurrbart drehend, seinen Erinnerungen sehnsüchtig nachsinnen. Denn er hat doch Großes erlebt und in der Tiefe seines Herzens liebt er sein altes Ungarn gegenwärtig noch ebenso sehr, wie damals, als ihn unter dem „Eljen“ der Menge die drei Bezirksstuhlrichter dreimal in die Luft hoben.

Wohlthuender scheint ihm jedoch die treuherzige Huldigung des Volks zu sein. Die nassauischen Bauern sind ihm wegen seiner Leutseligkeit und seiner Mildthätigkeit aufrichtig zugethan. Sie lassen sich sogar gefallen, daß er sie à la grand-seigneur „Du“ nennt, während sonst unsere Bauern doch zu selbstbewußt und zu eifersüchtig auf Gleichberechtigung sind, um sich einen solchen einseitigen „Schmollis“ gefallen zu lassen. Allein der Herr ist ja eigentlich fremd hier, und sein gemüthliches österreichisches Plaudern klingt so schön, daß man ihm am Ende diesen Verstoß gegen die demokratischen Sitten des alten „Einrich-Gau“ verzeihen kann; und er meint es auch ohne Zweifel gut, denn er kennt jeden Burschen und jedes Mädel bei seinem Vornamen und kümmert sich angelegentlich um ihre kleinen Leiden und Freuden. Ja, er verherrlicht sogar zuweilen eine Dorfkirchweih mit seiner Gegenwart und sieht dann viel aufgelegter aus, als wenn er bei einer großen bischöflichen Ceremonie in Limburg paradirt. Ein großes Verdienst hat er sich um den Volksunterricht auf dem flachen Lande erworben. Er ist ein aufrichtiger Freund und Gönner des von weltlicher und geistlicher Seite gleich sehr geplagten Standes der Volkslehrer. Den Dorfschulen widmet er seine volle Aufmerksamkeit. Zur Zeit der Frühjahrsprüfungen sieht man ihn von Dorf zu Dorf reiten, um denselben beizuwohnen. Dabei ist er überhaupt ein großer Freund der Kinder und bereitet denselben zuweilen auf seinem Schlosse Festlichkeiten und Freuden. Regelmäßig veranstaltet er eine große Weihnachtsbescheerung. Tage lang vor derselben sind die Säle des Schlosses der Welt unzugänglich. Denn drinnen haust ein stark beschnurrbartetes „Christkindchen“, das Kisten und Kasten Kinderspielzeug und dergl. von den heranziehenden Kaufleuten in Empfang nimmt und deren Inhalt mit weiser und gerechter Hand abtheilt für die Kleinen, die den bunten Kram demnächst jubelnd in Empfang nehmen, fast in ihrer Freude nicht achtend des in ihrer Mitte stehenden schlanken, blassen, männlich ernsten Wohlthäters, der doch in diesem Augenblick vielleicht noch glücklicher ist, als die von ihm Beglückten.

Die Zeit, welche nicht in Anspruch genommen wird von solchen wohlthätigen und gemeinnützigen Bestrebungen, widmet der Erzherzog wissenschaftlichen Studien und der Verwaltung seiner Kammergüter. Seine Beamten und Diener rühmen seine Kenntnisse und seinen Fleiß. Kein irgend erheblicher Gegenstand in seiner Verwaltung wird erledigt ohne seine persönlichste Mitwirkung. In den Verwaltungsacten findet man vieles von seiner eigenen Hand geschrieben. Seine Schrift ist fest, groß, fließend und klar, hat aber jenen kanzleimäßigen Charakter, dem wir so oft bei österreichischen Handschriften begegnen.

Im Schloß befindet sich eine Bibliothek von 30,000 Bänden und eine große Mineraliensammlung. Die letztere wird, abgesehen von den Sammlungen öffentlicher Anstalten, in Deutschland schwerlich ihres Gleichen haben. Mancher Gelehrte pilgert nach Schaumburg und findet dort gastfreundliche Aufnahme. Auch der naturwissenschaftliche Verein wurde, als er in Bad Ems tagte, von dem Schloßherrn auf Schaumburg eingeladen und fand in demselben nicht nur einen freundlichen Wirth, sondern auch einen tüchtigen Mineralogen.

Als Besitzer der Herrschaft Schaumburg ist der Erzherzog Stephan auch „gebornes und erbliches standesherrliches Mitglied“ der ersten Kammer von Nassau. Nach der nassauischen Verfassung haben aber die Standesherren das Recht, statt selbst zu kommen, Stellvertreter in die Kammer zu senden. Die meisten fragen zuvor bei dem Herzog, wer ihm genehm sei, und ertheilen dann diesem Manne, welchen sich die Regierung selbst zum Controleur gewählt hat, ihr Mandat. So kommen denn Kammerherren, Hofdiener, Jagd-Bedienstete etc. in das nassauische Herrenhaus. Der Vertreter des Erzherzogs ist ein Herr von Breidbach, der früher Hofstallmeister und jetzt Adjutant des Herzogs ist. Jedenfalls würde der Erzherzog, wenn er sich um die öffentlichen Zustände in Nassau selbst kümmern wollte, manchen Mißstand abstellen können. Denn von ihm würden wohl selbst die officiellen und klerikalen Stimmen nicht behaupten, er sei ein Feind des nassauischen Throns, wie sie es von jedem Andern thun, der den Muth der Wahrheit hat.



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