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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die sechs in der Stadt gebliebenen evangelischen Prediger regelmäßig in den katholischen Kirchen erscheinen. Spione schlichen von Haus zu Haus, um zu erspähen, ob irgendwo protestantische Kirchenlieder gesungen würden, oder wer sich weigere, die katholischen Kirchen zu besuchen, denn auch Das war Jedermann streng geboten. Selbst der evangelische Gottesdienst auf dem (untern) Gottesacker und der Besuch der Kirchen von Ulm und Oettingen wurde streng untersagt. Nichtkatholiken erhielten kein Bürgerrecht, nichtkatholische Arme kein Almosen. Wie der Katechismus, so wurden alle übrigen protestantischen Andachtsbücher weggenommen, der fernere Verkauf derselben verhindert. Evangelische Stiftungen gingen ohne Weiteres in den Besitz der herrschenden Partei über, und das St. Annen-Gymnasium sammt der werthvollen Stadtbibliothek nahmen die Jesuiten für sich in Anspruch. So war denn jede öffentliche Aeußerung der religiösen Ueberzeugung, welcher das Volk sein Herz geweiht hatte, unmöglich gemacht, die „Ruhe des Kirchhofs“ hergestellt.

Der Hof des Collegiums zu St. Anna in Augsburg von 1632 bis 1648.

Noch nachhaltiger sorgten für diese Ruhe die furchtbaren Leiden des Krieges, der nun auch über Schwaben seine Brandstätten und Leichenfelder ausbreitete. Wie wenige Jahre genügten, um in dem Herzogthum Würtemberg die halbe Million Einwohner bis auf 48,000 zu vernichten, so verheerend gingen sie auch über Augsburg hin. Die Stadt wurde drei Mal belagert, zwei Mal erobert und erduldete eine viermalige Regierungs- und folglich auch gewaltsame Glaubens-Veränderung.

Die schlimmste Zeit begann mit dem Jahre 1634, und als ob es nothwendig gewesen, daß die einst so blühende Stadt die kommenden Gräuel doppelt fühle, hatte ein kurzes Lächeln des Glücks sie gleichsam erst herbeiziehen müssen. Durch Gustav Adolf’s Siegeszug war im Jahre 1632 auch Augsburg von seinen Drängern befreit. Jetzt waren die Evangelischen Alleinherren, sie erhielten ihre Kirchen und Schulen wieder und beriefen nicht blos ihre Prediger und Lehrer zurück, sondern besetzten mit ihren Glaubensgenossen auch alle städtischen Aemter. Die Zeit der Klage war für die Katholiken gekommen, und sicherlich hat der einmal aufgewühlte Glaubenshaß es ihnen nicht an Ursache dazu fehlen lassen. Da wendete sich abermals das Kriegsglück, Gustav Adolf war gefallen, die Schlacht bei Nördlingen für die Schweden verloren, und das siegreiche kaiserliche und baierische Heer legte sich vor Augsburg, das nun Alles entgelten sollte, was die Schweden in Baiern gesündigt hatten. Vor Allem wurde der großen, volkreichen Stadt alle Zufuhr abgeschnitten. Die Hungersnoth wüthete bald so, daß selbst Mäuse, Leder, Stroh, Aas und endlich sogar das Fleisch der Leichen zur Nahrung diente. Als 60,000 Menschen dem Hunger und der Pest geopfert waren, öffneten die Uebrigen die Thore.

Der unermeßliche Jammer der Besiegten vermochte nichts über die Hab- und Rachgier der Sieger. Alles Eigenthums, aller Rechte, selbst der Kinder beraubt, die in Schaaren fortgeschleppt wurden, um auswärts katholisch erzogen zu werden, sahen die armen Bewohner Augsburgs auch die letzte Freiheit des Unglücks, dem Elend der Heimath durch Auswanderung zu entfliehen, sich entrückt, denn eben weil die Stadt so sehr entvölkert war, durfte Niemand mehr sie verlassen. Obwohl die Fürsten den Krieg längst nicht mehr als bloßen Religionskrieg führten, war im Volk der Glaubenshaß noch ungeschwächt. Eine katholische Obrigkeit gebot nun in der Stadt und zeigte gegen die Evangelischen so wenig, wie diese vorher gegen die Katholischen, daß sie der „Religion der Liebe“ huldige. Nachdem den Protestanten Alles wieder genommen war, was die Katholiken für sich beanspruchten, und das war eben Alles, von den bürgerlichen und kirchlichen Rechten bis zu den Kirchen selbst, gestattete man ihnen nur Eines, aber in diesem Einen liegt der bitterste Hohn von Seiten ihrer Gegner, und aus diesem Einen erblühte für die festen, treuen, unwandelbaren Gemüther der Männer und Frauen, denen so Unerhörtes für ihre religiöse Ueberzeugung zu dulden auferlegt war, der Lorbeer des Siegs, der ihrem Andenken seit mehr als zweihundert Jahren alljährlich von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_509.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)