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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

der Fall ist. Was übrigens die Erziehung (Gewöhnung) des Gehirns zum immer bessern, vollkommnern Thätigsein betrifft, so läßt sich nicht blos bei den Menschen, wenn wir die jetzigen mit den früheren vergleichen, sondern auch bei den Thieren ein bedeutender Fortschritt wahrnehmen. Viele unserer jetztlebenden Thiere (wie Hunde, Pferde und andere Hausthiere) sind weit klüger und besser als ihre Vorfahren, und das macht blos ihre besser gewordene Erziehung nicht nur durch den Menschen, sondern auch durch die schon etwas gebildeteren Eltern dieser Thiere. – Ausführlicheres über das Gehirn und seine Thätigkeit findet sich in der Gartenlaube Jahrg. 1860, Nr. 51 und 1861, Nr. 47 und 52. – Wir wollen jetzt nachweisen, wie eine falsche Ernährung des Kindes im ersten Lebensalter dem Gehirne so schaden kann, daß es zum richtigen Erlernen seiner Thätigkeiten ganz unfähig wird und für’s ganze Leben blödsinnig bleibt.

Beim neugeborenen Menschen zeigt sich die ovale Kapsel, in welcher das Gehirn eingeschlossen liegt und die den obersten Theil des Kopfes, den sogen. Schädel, bildet, noch nicht überall knöchern hart, wie dies später der Fall ist, sondern stellenweise noch häutig-sehnig oder knorplig-weich und elastisch, so daß sie deshalb allmählich auch noch ausgedehnt (der Schädel größer) werden und einen immer größer werdenden Raum in ihrem Innern (eine sich erweiternde Schädelhöhle) enthalten kann. Die größten und auffälligsten weichen Stellen am Kindeskopfe heißen „Fontanelle“, und von diesen ist beim Neugebornen die über der Stirn befindliche große viereckige Fontanelle als „Plättchen“ bekannt. Sie wird erst im zweiten Lebensjahre hart und läßt bis dahin die Bewegungen des Gehirns fühlen und sehen. Außerdem befinden sich aber auch noch zwischen den einzelnen schon verknöcherten Partieen der Hirnkapsel (d. s. die sogen. Schädelknochen) ausdehnbare häutig-knorplige Säume oder Streifen (Nahtknorpel), welche eine Vergrößerung des Schädels gestatten.

Nur bei dieser Einrichtung, daß nämlich die Hirnkapsel auch nach der Geburt noch längere Zeit ausdehnbar ist, wird es dem Gehirne möglich bis zu der Größe zu wachsen und dabei den Schädel zu vergrößern, welche zu seinem ordentlichen geistigen Thätigsein nöthig ist. Bei dem Umfange, welchen das Gehirn zur Zeit der Geburt und in den ersten Lebensjahren hat, ist vom Verständig-Sein und Werden gar keine Rede, und es würde also das Gehirn, wenn es diesen Umfang zeitlebens behalten müßte, niemals zum ordentlichen Denken, Fühlen und Wollen befähigt werden können. Der Mensch mit einem solchen kleinen Gehirne muß für’s ganze Leben mehr oder weniger blödsinnig bleiben. Und das eben ist gar nicht selten der Fall, wenn die Hirnkapsel früher als es sein sollte, vielleicht sogar bald nach der Geburt vollständig hart wird und nun nicht mehr durch das Gehirn erweitert werden kann. Das Gehirn wird dadurch in seinem Wachsthume aufgehalten, bleibt widernatürlich klein und behält zeitlebens die Größe und Thätigkeit wie beim Kinde. Natürlich wird in solchen Fällen auch der Kopf in seinem obern oder Schädeltheile auffallend klein erscheinen. Man bezeichnet diesen durch vorzeitiges Hartwerden (Verknöchern) der Hirnkapsel bedingten und wegen der dadurch gehemmten Entwickelung des Gehirns von Blödsinn begleiteten Zustand als Kleinköpfigkeit, Mikrocephalie.

Wie kann nun ein solches vorzeitiges, Blödsinn mit sich führendes Hartwerden (oder Verknöchern) und Kleinbleiben der Hirnkapsel (des Schädels) zu Stande kommen? Die Wissenschaft ist zur Zeit noch nicht im Stande, mit Sicherheit darüber genaue Auskunft zu geben; auch sind die Ursachen ohne Zweifel verschiedenartige. Mit großer Wahrscheinlichkeit läßt sich aber annehmen, daß eine dieser Ursachen eine widernatürlich große Menge desjenigen Stoffes im Blute ist, welcher die Verknöcherung zu Stande bringt, den Knochen ihre Härte und Festigkeit verleiht und ohne welchen die Knochen weich, biegsam, knorplig-häutig bleiben. Dieser Stoff heißt „Knochenerde“ und besteht vorzugsweise aus phosphorsaurem Kalk, dem etwas kohlensaure Kalkerde und phosphorsaure Talkerde beigemischt ist. Die Knochen erhalten diese Erde aus dem Blutstrome; in’s Blut gelangt sie durch die genossenen und verdauten Nahrungsmittel, und diese nehmen sie aus der uns umgebenden anorganischen Natur, aus dem Erdboden und Mineralreiche auf. Der Zahn der Zeit zernagt den kalkhaltigen Fels zu Trümmern; diese werden Staub; Wind und Regen bringen den Staub in die Ebene, dort düngt er den Acker, die Wiese, und dient der Pflanze als Nahrung, welche, von Thieren und Menschen verzehrt, denselben die erdigen Stoffe zuführt, aus denen die Knochen sich aufbauen und erhalten. Auch das harte Trinkwasser, welches Kalksalze enthält, sorgt für den Bedarf unseres Leibes an Knochenerde. – Was der Mangel an Kalkerde in der Nahrung anrichten kann, läßt sich am besten bei den Hühnern wahrnehmen, die, wenn sie nicht Kalk genug zu sich nehmen, Eier nicht mit harter, sondern mit ganz weicher, hautartiger Schale legen.

Da wir nun wissen, daß die Knochenerde durch die Speisen und Getränke unserm Blute und durch dieses den Knochen zugeführt wird; da wir ferner mit ziemlicher Sicherheit vermuthen können, daß, wenn zu viel oder zu wenig von dieser Erde in das Blut geschafft wird, die Knochen, als hauptsächlichste Ablagerungsstelle für dieselbe, auch am meisten dadurch zu leiden haben: so ist es doch sicherlich erlaubt, zu fürchten, daß, wenn einem kleinen Kinde, zumal dem Säugling, dessen Knochen noch nicht vollständig gehärtet sind, eine kalkreichere Nahrung, als sich gehört, verabreicht wird, dadurch die noch weichen Knochen desselben widernatürlich schnell, nämlich vor der gehörigen Zeit, hart werden, die Hirnkapsel also viel zu zeitig unausdehnbar wird. Beim Erwachsenen mit vollständig ausgebildeten Knochen schafft der gesunde Körper den im Uebermaß genossenen Kalk durch den Urin wieder fort, ohne daß derselbe während seines Verweilens im Blute auffallende, der Wissenschaft bis jetzt bekannte Störungen veranlaßt hätte. Beim Kinde findet er dagegen in den noch nicht verknöcherten Partien eine bequeme Ablagerungsstätte.

In der Muttermilch befindet sich die Knochenerde in solcher zweckmäßiger Menge und Beschaffenheit, daß sie die Verknöcherung der noch weichen kindlichen Knochen weder widernatürlich beschleunigt, noch verlangsamt. Die Milch ist deshalb auch, abgesehen von ihren übrigen, dem kindlichen Körper ebenfalls angepaßten und unentbehrlichen Bestandtheilen (besonders Käse und Butter), das allein naturgemäße und zweckmäßige Nahrungsmittel für den Menschen in seinem ersten Lebensalter. Nur ganz dumme Mütter können sagen: „Mein Kind wird von der Milch nicht satt “ – Bei kranken Frauen will man die Milch reicher an Mineralbestandtheilen, zu denen ja die Salze der Knochenerde gehören, gefunden haben, und deswegen schon dürfen kränkliche Mütter und Ammen nicht stillen. – Die Kuhmilch enthält weit mehr Mineralbestandtheile, als die Mutter- und Ammenmilch, und es muß deshalb dieser Milch, beim Aufziehen des Kindes damit, etwas Wasser, sowie auch Milchzucker und Sahne zugesetzt werden. – Eine mehlige, breiige Nahrung ist für das Kind im ersten Lebensjahre die allergefährlichste, insofern sie viel zu reich an erdigen und unverdaulichen Stoffen und viel zu arm an nährenden Bestandtheilen ist. – Auch das Wasser, welches zur Verdünnung der Kuhmilch benutzt wird, ist nicht unberücksichtigt zu lassen, da ein mit großen Mengen Kalksalzen versetztes, sogen. hartes Wasser die kindlichen Knochen doch vielleicht auch vorzeitig hart machen könnte. Kalkreiches Quell- und Brunnenwasser läßt sich durch halb- bis einstündiges Kochen in einem offenen Gefäße weich und zum Gebrauche für Kinder tauglich machen. Die durch Kohlensäure aufgelösten Kalksalze werden nämlich durch das beim Sieden des Wassers stattfindende Entweichen der Kohlensäure in ihren festen Zustand zurückgeführt und scheiden sich dann in dem getrübten Wasser bei der Ruhe als ein weißlicher oder bräunlicher Bodensatz ab, von dem man das Wasser vorsichtig abgießt. In Gefäßen, welche zum andauernden Erhitzen größerer Quantitäten Wassers dienen, setzt sich der Kalk oft in harten steinartigen Krusten ab und wird Kesselstein (fälschlich Salpeter) genannt.

Angefüttert könnte also der Blödsinn dadurch werden, daß man einen jungen Weltbürger seine naturgemäße Nahrung, und das ist die Menschenmilch, nicht saugen läßt, sondern denselben durch künstlich zubereitete, wohl gar durch breiige Nahrung aufzieht und daß man dadurch zum vorzeitigen Hartwerden des Schädels, sowie zum Kleinbleiben des Gehirns Veranlassung giebt.

Bock. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_511.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)