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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

seines Meerschaumkopfes. Endlich brach der Sturm doch noch über die Uebelthäter los, die vorige Scene erneute sich im verzehnfachten Maße.

Wieder attakirte das Regiment und abermals. Nur die brandenburgischen Husaren unter dem berühmten Sieger von Möckern, dem tapferen Obersten Sohr, befanden sich demselben noch zur Seite, und von dem Feinde waren diesen beiden Regimentern gegenüber mindestens schon fünf bis sechs Cavallerie-Regimenter, Chasseurs à cheval, Dragoner und Uhlanen vorgezogen worden. Auch das Dorf rechts hatte denselben preisgegeben werden müssen. Immer weiter breitete sich die feindliche Schlachtlinie aus, bereits näherte sich eine nach rechts vorgeschobene französische Umgehungscolonne, ebenfalls mit mehreren Cavallerie-Regimentern an der Spitze, dem mehrerwähnten Fichtengehölz. Die eigene preußische Infanterie mochte in ihrer rückgängigen Bewegung mit ihren vordersten Massen etwa die gleiche Höhe erreicht haben, und die beiden vorhin schon in so großer Gefahr schwebenden Landwehrbataillone sah man auf halbem Wege nach jenem Gehölz aufgestellt, um den Vertheidigern desselben zur Stütze zu dienen. Das Knatterfeuer der Tirailleurs setzte keinen Augenblick aus, und die Salven der Infanterie dröhnten dazwischen. Die Schwierigkeit, die Artillerie in dem aufgelösten Boden schnell genug von der Stelle zu bewegen, verhinderte glücklicherweise die Franzosen von ihrem Geschütz den entsprechenden Gebrauch zu machen, wogegen namentlich in der festen Stellung auf den Hügeln die preußisch-russischen Geschütze ein nicht abreißendes Feuer unterhielten. Die bunt durcheinander geblasenen Reitersignale von jenseit der Höhen ließen dort auf nicht minder hartnäckige Kämpfe als hier schließen. Die Sonne leuchtete jetzt hell und warm von dem fast wolkenlosen Himmel, und nur der über den kämpfenden Massen dicht geballte Pulverdampf erschwerte noch die allgemeine Uebersicht. Chateau-Thierry erwies sich jetzt nahe genug, um zwischen den Häusern der diesseits der Marne gelegenen Vorstadt das noch immer wenig gelichtete Gewirr der vorausgezogenen, durch die gestrige Schlacht aufgelösten russischen Truppen mit bloßem Auge deutlich unterscheiden zu können.

Der Ernst des Moments und die mit jedem Augenblick gesteigerte Gefahr hatten bei den lithauischen Dragonern längst die Pfeifen vollends verschwinden lassen, nur der Major qualmte als Ersatz dafür gleich einer Schmiedeesse und fluchte als gelegentliches Intermezzo alle Teufel der Hölle über seine Leute. Das Regiment, so brav es sich bisher gehalten, vermochte ihm heute nichts recht zu machen. Allmählich begann seine Gereiztheit indeß auch bei seinen Untergebenen die gleiche Empfindung zu wecken. Die Officiere hatten ihres Unwillens gar kein Hehl. Die Dragoner murrten, von all den in den Bart gebrummten Flüchen und Verwünschungen grollte es wie ein fort- und fortrollendes Donnerwetter in den Gliedern.

„Da haben wir die Geschichte! Daß doch gleich neun und neunzig …“ Die von dem Major ausgestoßene merkwürdige Fluchcomposition ist in der Schriftsprache nicht gut wiederzugeben. „Regiment, Marsch! Marsch!“ Die Attake ließ die gleiche Absicht des Feindes gar nicht erst zur Ausführung kommen. Der blitzschnelle Angriff durfte als ein Meisterstück genommen werden. Das nächste französische Reiterregiment sah sich auf das zweite geworfen, und bevor das dritte sich noch aus diesem Knäuel von ansprengenden Reitern und Pferden herauszuwickeln vermochte, waren die Dragoner schon wieder gerichtet und geordnet. Indeß hinter denselben sauste es die Hügel niederwärts, die dort postirte russische Abtheilung schien in einem Augenblick aufgelöst. Alles flüchtete, rannte, wogte an den noch fest geschaarten preußischen Massen vorüber nach Chateau-Thierry zu. Auch in der entgegengesetzten Richtung vor dem Fichtengehölz und diesseit desselben erblickte man ein unentwirrbares Getümmel.

„Major, mit dem Regiment in Zügen links abgebrochen! Dragoner, auf, rettet die Schlacht!“ York war mitten durch das Getümmel auf diese seine alten Schlachtgefährten zugesprengt. „Hauptmann von Schack,“ kehrte er sich zu seinem ersten Adjutanten, „die brandenburgischen Husaren zurück hinter die Infanterie! Dieselbe muß fortan die feindlichen Angriffe mit Kugel und Bajonnet allein abwettern, dann die Cavallerie schwadronsweise nachgehalten. Sie bleiben bei Sohr.“

Ein Regiment Dragoner der Kaisergarde, auf welches die Litthauer jenseit der Hügel zuerst gestoßen waren, hatte schlimme zwei, drei Minuten zu verleben gehabt. Grimmig klapperten die wuchtigen Plempen derselben auf den blankpolirten Helmen der stolzen Gardereiter, nicht wenige derselben bezeichneten, todt oder verwundet, am Boden ausgestreckt, die Richtung dieses ebenso glücklichen wie kühnen Sturmritts.

„Ihr seid doch immer auf dem rechten Fleck!“ begrüßte York die wackern Degen bei ihrer Rückkehr. „Major von Platen, ziehen Sie sich mit Ihrem Regimente mehr rechts an die übrige preußische Reiterei heran …“

Der General batte sich unterbrochen. Die Feinde hatten weiter abwärts von Neuem angegriffen. Die Flucht zeigte sich diesseits dort allgemein. Salve um Salve krachte von der auf den Hügeln aufgestellten preußischen Infanterie, zwei mehr in der Mitte vorgeschobene preußische Cavallerie-Regimenter, das eine die durch ihre weißen Kragen und Aufschläge erkennbaren westpreußischen Dragoner, das andere ein schlesisches Landwehr-Cavallerie-Regiment, versuchten die die preußischen Vierecke bestürmenden feindlichen Reitermassen in die Flanke zu fassen; allein es lag kein rechter Schwung in ihrem Anreiten und das Mißlingen ihrer Attake durfte deshalb gleich mit deren Beginn gemuthmaßt werden. Drei oder vier Reiter sprengten, was die Pferde laufen wollten, hinter den vorgegangenen Schwadronen weg, gerade auf die um den General versammelte Gruppe zu. „Excellenz,“ rief der Vorderste diesem schon aus der Ferne zu, „es bleibt mir nichts, als an Ihrer Seite bis zum Letzten auszuhalten! Meine Russen sind mir unter den Händen zerstoben.“ Es war der General Sacken, statt des Federhuts trug er jetzt eine wahrscheinlich vom Schlachtfelde aufgeraffte Soldatenmütze auf dem Kopfe, sein halb abgerissener Mantelkragen bewies, wie sehr er sich dem Feinde ausgesetzt haben mußte. Die Verzweiflung stand in leserlichen Zügen auf seinem Antlitz geschrieben.

„Noch ist nichts verloren, Excellenz,“ versuchte York den russischen Führer aufzurichten. Sein Gesicht wies noch dieselbe unzerstörbare Ruhe wie vorhin, nur der scharfe Blick, womit er augenblicklich mehr noch die Vorgänge hinter sich im Thale der Marne, als sich gegenüber verfolgte, verrieth die Spannung seines Innern.

„Brav!“ murmelte er hochaufathmend, „das waren die Füsiliere des Leibregiments, sie haben die feindliche Cavallerie mit dem Bajonnet durchbrochen. Braver Sohr! Wie seine Husaren den Franzosen in die Eisen sitzen! So recht! kehrt und wieder Ordnung gemacht. Der arme Wollzogen mit seinem Landwehr-Regiment ist freilich abgeschnitten, es ist unmöglich, daß er sich an die übrigen Truppen noch wieder heranzieht, allein wenn er und seine beiden Bataillone sich dort an dem Saume des Fichtengehölzes nur noch fünf Minuten behauptet und die Brigade dort auf den Hügeln nur noch ebenso lange ausdauert, ist der Rest des Corps gerettet.“

„Heiliges Kreuz-Million …“ – das „Donnerwetter“ folgte erst noch nach wer weiß wie vielen Zwischengliedern – „haben die Kerle denn keine Sporen an den Beinen?“ war der Major von Platen vorhin bei dem Anreiten der beiden preußischen Regimenter aufgefahren. „Das ist der Unruh mit seinen Weißkragen. Diese …“ Die gebrauchte Bezeichnung spottet erneut jeder schriftlichen Wiedergabe. „Pfui Deibel! Wer dem“ – abermals ein wahrhaft ungeheuerliches Kraftwort – „ein Regiment anvertraut hat, der mag’s noch am jüngsten Tage verantworten. Da – da – da haben wir die Geschichte!“

Der Boden erbebte von dem Hufschlag der heranstürmenden feindlichen Geschwader, in einem Augenblick stürzte die preußische Reiterlinie, vom Feinde fast getragen, zurück. Wie die brandende See wogte es hoch auf um die preußischen Vierecke unterwärts auf den Hügeln. Der Ruf der Trompete, das Wirbeln der Trommeln, das Gekrach der Salven gingen völlig in dem rasenden „vive l’Empereur!“ der siegestrunkenen französischen Eisenreiter verloren.

„I, Ihr verdammten Racker, Euch soll ja … Regiment Trab! Marsch! Marsch!“ Ein breiter Graben hielt die heranstürmenden Litthauer auf. Noch eine ziemliche Strecke dahinter hatte, um deren Anprall zu erwarten, ein französisches Reiterregiment, den Karabiner am Backen, Halt gemacht. Die gewaltigen Bärmützen der bärtigen Gesellen, die prallen Lederhosen mit den großen Reiterstiefeln und die blaue Uniform mit den breiten weißen Rabatten ließen in diesen im Sonnenlicht funkelnden Schwadronen das berühmte Regiment der französischen Grenadiers à cheval,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_554.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)