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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

nächst den Garde-Jägern zu Pferde Napoleon’s unmittelbare Leibwache, unterscheiden.

„Dragoner wollt Ihr sein!?“ schnaubte der Major, das, was sie wirklich sein sollten, ist aus ästhetischen Rücksichten wiederum nicht auszudrücken. „Haben die Kerle nicht reiten gelernt? Donnerwetter, vor einem solchen lumpigen Graben zu stutzen. Vorwärts!“ Mit der Spitze seiner Pfeife deutete er den Seinen die Richtung an und setzte, der Erste voran, über den Graben.

Ein Wuthgebrüll seines endlich zum Aeußersten gereizten Regiments hatte seine letzten Worte verschlungen. Der Graben und dahinter noch ein zweiter wurden von den Dragonern überflogen. Von seinem edlen Renner pfeilschnell über alle Hindernisse des Bodens fortgeführt, war ihr Führer ihnen jedoch an die fünfzig Schritt voraufgeblieben. Blindlings warf derselbe sich auf den vor der Front seines Regiments haltenden feindlichen Commandeur, ein rasch ausgetauschter Hieb und der Franzose wankte im Sattel. Doch Platen hatte in seinem Eifer auf dessen Adjutanten nicht geachtet, im selben Augenblick klaffte von dessen Klinge sein Gesicht von der Stirn bis zum andern Backen, seine bloßgelegten Zähne vermochten über den wüthenden Schmerz die auch unter diesem letzten Sturmritt treu bewahrte Pfeife nicht zu halten, der Meerschaumkopf glitt zur Erde, sein scheugewordenes Pferd führte den Verwundeten gerade seinem anstürmenden Regiment entgegen.

„Kiek, kiek, jetzt is em ooch die Piepe utgegangen!“ Wie Donnerruf pflanzte der Jubel sich fort durch das Regiment. Den Anprall der Dragoner hätten die französischen Leibwächter wohl, wie so manchen früheren wüthenden Angriff, ruhig abgewettert, indeß dies Höllengelächter machte sie verwirrt, bestürzt. Die Karabinersalve, womit sie nach althergebrachter französischer Reitersitte den Gegner zu erschüttern gedachten, ging beinahe wirkungslos in die Luft, im nächsten Moment sahen sie sich gesprengt und Schulter an Schulter mit dem siegreichen Feinde eine weite Strecke zurückgerissen.

Der Triumph der braven Litthauer würde vollständig gewesen sein, wofern sie ihr bis dahin immer mit Glück beobachtetes Verfahren, unmittelbar nach gelungener Attake wieder in die eigne Schlachtordnung zurückzukehren, auch diesmal eingehalten hätten. Allein im Feuer des Sieges und der Verfolgung dachte Niemand daran, den Befehl hierzu zu ertheilen. Platen zum allerwenigsten. Rasend vor Wuth, befand er sich vielmehr unter den Vordersten, welche blind und toll den Franzosen nachjagten. Bei der Uebermacht des Feindes konnte die üble Frucht dieser schlimmen Versäumniß ganz unmöglich ausbleiben. Eben noch Sieger, sahen sich die Dragoner plötzlich von zwei feindlichen Regimentern von links und rechts zugleich angegriffen. Die Grenadiere zu Pferde, außer sich vor Zorn und Beschämung über die erlittene Niederlage, drehten wieder um. Mann schlug sich wider Mann, doch der ungleiche Kampf schwankte keine Minute. Der Schwall wälzte sich rückwärts. Indeß noch nicht genug. Der französische Kaiser war selber zur Stelle geeilt und hatte die seine Begleitung in den Schlachten bildenden reitenden Garde-Jäger dem Feinde in den Rücken geworfen. Der Weg über die Gräben zeigte sich abgeschnitten. Die Richtung nach der weiter unterhalb noch auf den Hügeln aufgestellten preußischen Infanterie mußte mitten durch den Feind genommen werden. Die Tapfersten drängten sich um die Standarte zusammen. Wie viele in dem Bemühen, sich durch die feindliche Uebermacht, den Säbel in der Faust, Bahn zu brechen, stürzten, dennoch glückte das verzweifelte Wagstück. Nahe an die Hälfte der tapfern Männer war darüber freilich verloren gegangen.

Vielleicht, daß es indeß auch dem geretteten kleinen Rest nicht gelungen wäre, sich durchzuschlagen, wenn York in Person nicht, was von den beiden vorhin geworfenen Regimentern sich noch unter seinen Händen befand, zusammengerafft und sich damit dem Feinde in den Rücken und in die Flanke geworfen hätte. Der unerwartete Stoß wirkte freilich nur einen Moment, und schon im nächsten sah sich dieses ohnehin bereits so schwer erschütterte Häuflein in nicht minder furchtbar drangvolle Enge genommen. Der Oberst Unruh von den westpreußischen Dragonern erhielt in diesem Getümmel einen Lanzenstich in den Unterleib und verdankte seine Rettung nur der Schnelligkeit seines Pferdes; kaum daß die beiden Generale noch den Anschluß an die Infanterie wieder zu gewinnen vermochten.

„Der Major ist todt oder gefangen, rettet den Major!“ Was von den Litthauern noch zusammenhielt, hatte sich, den Vermißten herauszuhauen, nochmals in den Feind gestürzt. Im Grunde war der kühne Führer jedem dieser tapferen Reiter doch tief in’s Herz gewachsen. Die lithauischen Dragoner und der „tolle Platen“, wie der Major in der ganzen preußischen Armee genannt wurde, gehörten eben einfach zusammen. Das Aeußerste mußte zu seiner Rettung versucht werden. Auch dieser letzte Sturm war wirkungslos von den feindlichen Massen abgeprallt. Als die Letzten flüchteten auch die Litthauer der gänzlich geworfenen preußisch-russischen Cavallerie nach auf Chateau-Thierry zu. Nur die brandenburgischen Husaren hielten im Thale der Marne bei dem jetzt auf sich allein angewiesenen Fußvolk noch aus. Das erste ostpreußische und das westpreußische Grenadierbataillon wurden gesprengt, doch das Leib-Regiment warf sich erneut mit dem Bajonnet auf die feindlichen Geschwader und trieb dieselben zurück. Die brandenburgischen Husaren hieben nach, und unter der nicht minder standhaften Haltung der preußischen Infanterie auf den Hügeln ward endlich der Eingang zur Stadt gewonnen.

Es war ein böser Unglückstag für den wackeren Platen, dieser 12. Februar. Durch die Grenadiere hatte er sich zwar glücklich durchgeschlagen, allein Niemand kann seinem Schicksal entfliehen. Das Blut aus seiner Wunde blendete ihm die Augen, und statt sich links zu halten, war er nach rechts, gerade mitten unter die Gardejäger hineingestürmt. Zehn, zwölf derselben hatten sich auf ihn geworfen, der Degen ward ihm aus der Hand gewunden. An jedem Arm von einem der bärtigen Burschen gehalten, wurde er, er wußte selber nicht wie ihm geschah, im Fluge dem Standorte des Kaisers zugeführt. Die Eile der Feinde war zu groß und ihr Fang schien ihnen zu sicher, als daß sie daran gedacht hätten, ihren Gefangenen nach altem Kriegsgebrauch zuvor von seinem Pferde absitzen zu lassen, vielleicht, daß sie dies auch aus Rücksicht auf die anscheinend schwere Verwundung des Majors unterlassen haben mochten.

Der Mann im grauen Ueberrocke und dem kleinen Hütchen hatte unter dem Flammeneifer, mit welchem er die Vorgänge auf dem Schlachtfelde verfolgte, nur einen kalten gleichgültigen Blick auf Platen und seine Begleiter geworfen. Das Glas kam kaum von seinen Augen. Adjutanten stürmten heran und wurden mit zwei Worten abgefertigt. Mit jeder neuen Wendung des Kampfes schien sich die Ungeduld des großen Schlachtenfürsten zu steigern. Am Ende litt es ihn nicht mehr auf derselben Stelle, quer über Feld sprengte er den Truppen nach.

Der Major war zwischen seinen beiden Wächtern der vorigen Bewegung gefolgt, allmählich sammelten sich seine Gedanken wieder. Er schaute sich um. Nach rechts, in der Richtung nach Chateau-Thierry, versperrten die im Gefecht befindlichen feindlichen Truppen jeden Ausweg, jedoch nach links breitete sich unter dem hier sehr steilen Abfall der Hügel eine von unzähligen Gräben, Hecken, Dämmen durchschnittene Fläche aus, und weiterhin, dem Flusse zu, reichten die letzten Ausläufer des vorerwähnten Waldes bis fast unmittelbar an das Ufer.

Es war das so recht ein Terrain, um den besten Fuchsjäger für seinen Hals fürchten zu lassen, allein um so sicherer erschien für Platen die Aussicht, einmal wieder frei, seinen Verfolgern das leere Nachsehen zu lassen. Noch fühlte er sein gutes Roß zwischen den Schenkeln, und die paar Hecken und Gräben – pah! er hatte gelegentlich wohl schon um geringeren Preis einen noch gefährlicheren Ritt unternommen. Der Zufall zeigte sich ihm überdies günstig, der einzige Knopf, der seinen Mantel über der Brust zusammengehalten hatte, war unter dem Hin- und Herzerren bei seiner Gefangennahme abgerissen. Leise, fast unmerklich, lockerte er das Kleidungsstück um die Schultern, er brauchte – freilich bei dem steilen Abhang unmittelbar vor ihm ein furchtbares Wagstück – bei dem ersten scharfen Satz seines Pferdes nur die Arme nach hinten auszustrecken, um den beiden reitenden Jägern den Mantel statt des Mannes in Händen zu lassen.

Mit einem kurz ausgestoßenen „Ha!“ hatte Napoleon den Kopf aufgeworfen. Seine flammenden Blicke flogen rückwärts. „Die Artillerie heran! Wo bleibt die Artillerie?“ herrschte er zu seiner Umgebung gewandet. „Schnell! schnell!“ Die Stimme klang wie belegt unter der ihn verzehrenden Ungeduld. Wieder tönte das „Ha!“ Es war der Moment, wo die Spitze der preußischen Infanterie sich in die Vorstadt von Chateau-Thierry hineinzuziehen begann, nur noch einige Minuten und dieselbe mußte sich hinter den hier der Reiterei entgegentretenden vielen Annäherungshindernissen

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