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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

des Greises war aber verschlossen. Sie verließen die Rentmeisterei, in der das Stübchen des Mönches lag, durchschritten quer den Schloßhof und traten in das große, weite Schloß. Sie waren aber nicht durch das hohe Mittelportal eingetreten. Der Arzt führte den Mönch durch ein schmales, dunkles Seitenpförtchen, das offen stand.

„Wir müssen,“ sagte er zu dem Mönche, „durch den unbewohnten Theil des Schlosses und durch Hinterthüren zu der Kranken kommen. Das Bedientenvolk darf Sie nicht sehen, es könnten Verräther darunter sein. Ihr Besuch bei der Kranken würde ihnen deren nahen Tod anzeigen; man würde weitere Vermuthungen daran knüpfen.“

Sie stiegen eine schmale, dunkle Treppe hinauf; oben mußten sie lange Gänge durchschreiten, die matt erleuchtet waren. Der Doctor war auf dem langen Wege gesprächig, der Mönch desto einsylbiger.

„Sie hatten hier schon ein Abenteuer, Herr Pater? Der alte Conrad hat mir davon erzählt.“

Der Mönch antwortete nicht.

„Es sind hier,“ fuhr der Doctor fort, „überhaupt absonderliche Zustände. In alten Schlössern und Familien kommt das vor. Alter Samen artet aus. Nun, Sie werden es erfahren, wenn Sie öfter hierher kommen. Aber wenn Sie mein ganzes Gespräch mit dem Freunde Lumpensammler da hinten im Walde gehört haben –“

„Ich habe es ganz gehört.“

„Dann haben Sie schon ein gut Theil von den Dingen hier erfahren. Es war nur nicht viel Gutes, Herr Pater!“

„Nein!“

„Ja, ja, der alte Herr – Sie sahen ihn ja bei Ihrem Abenteuer – er ist wieder ein Kind geworden, sagte Ihnen der alte Conrad; hm, er ist wahnsinnig und das war er schon lange, schon sehr lange. Alter Samen artet aus, und bei dem Alten kam noch etwas Besonderes hinzu; kein Mensch weiß nur recht, was es war; aber Gutes war es wahrhaftig nicht, und davon ist all das weitere Uebel ausgegangen. Reichlich, Herr Pater! Da war seine einzige Tochter ihr Leben lang ein armes, unglückliches Geschöpf gewesen – ich habe sie nicht mehr gekannt; sie war früh gestorben – eine Wohlthat für sie; da sind seine beiden Enkel, – der junge Herr – ja, Herr Pater, der ist ein Kind, ein gutmüthiges Kind; aber mehr ist er auch nie geworden, nie gewesen; daß er gerade blödsinnig sei, darf man nicht sagen; Sie haben ihn ja auch gesehen. Und von seiner schönen Frau haben Sie gehört – aber von der jetzt nicht. Von der armen Frau, zu der wir gehen, muß ich Ihnen noch etwas sagen. Sie ist die Enkelin des alten Grafen – das vortrefflichste Wesen auf der Welt – aber still, Herr Pater –“

Der Doctor flüsterte die Worte. Er hatte seinen Schritt gehemmt und er horchte.

„Herr Pater,“ sagte er dann noch leiser, „gehen wir in jene Nische; aber treten Sie so leise wie möglich auf; wir dürfen nicht gehört werden.“

Sie waren mitten in einem der langen, halb erleuchteten Gänge, die sie zu durchschreiten hatten. Fünf Schritte von ihnen war eine tief eingeschnittene Fensternische, in diese führte der Arzt den Mönch. Sie gingen mit fast unhörbaren Schritten und standen darin in völliger Dunkelheit. Sie horchten von neuem und vernahmen einen raschen, leichten Schritt, der näher kam.

„Teufel!“ fluchte der Doctor in sich hinein.

Es war eine Ahnung in ihm aufgestiegen, die ihn vergessen ließ, daß er in Gegenwart des alten frommen Geistlichen fluchte.

„Halten wir den Athem an, wenn sie vorbeikommt,“ flüsterte er noch dem Mönche zu.

In dem dunkeln Lichte des Ganges kam eine hohe Frauengestalt vorbei. Sie war schwarz gekleidet; man hörte die Seide rauschen: ein Capuchon umgab ihren Kopf, verdeckte ihr Gesicht. Ihr Gang war eilig, leicht, dennoch stolz. Leise trat sie nicht auf; sie war also entweder in diesem dunklen, abgelegenen Gange auf rechtem Wege, oder sie hatte nicht daran denken können, hier von Jemandem gesehen oder auch nur gehört zu werden. Sie war vorüber gegangen.

„Pater,“ sagte der Arzt, „wissen Sie, wer das war?“

„Nein, Herr Doctor.“

„Es war die schöne Frau, von der Sie den Hauptmann, den Lumpensammler und mich sprechen hörten, die Gräfin, die Schloßherrin, die Gemahlin des schwachsinnigen Grafen, der Sie von dem Hunde befreite.“

Der Mönch erwiderte nichts.

„Und wissen Sie, wohin sie geht?“ fuhr der Arzt fort. „Zu dem Rendezvous geht sie! Zu dem Buhlen! Zu dem hübschen französischen Obersten. O, diese Franzosen! Nein, nein! Sie sind nicht schlechter, als Andere! Aber diese deutschen Weiber! Auf sie alle Schmach der Untreue, des Verraths, der Gemeinheit! Der Hauptmann hatte Recht. Da läuft sie zu dem Buhlen, die Ehrvergessene! Die deutsche Edelfrau zu dem Feinde ihres Vaterlandes, zu dem Unterdrücker ihres Volkes! O, und indem sie den einen Verrath begeht, fügt sie vielleicht den zweiten hinzu. Während ihre arme Schwägerin im Sterben liegt, verräth sie ihr den Gatten, und dieser Gatte ist einer der bravsten, der edelsten deutschen Männer. Sie haben den Namen des Freiherrn von ** gehört, Pater?“

Der Arzt sprach den Namen eines edlen deutschen Mannes aus.

„Ich habe ihn gehört,“ sagte der Mönch.

„Zu seiner sterbenden Gattin führe ich Sie. Ihn wollen die Franzosen in der heutigen Nacht abfangen, und dazu alle die Anstalten, von denen Sie den Hauptmann mit mir sprechen hörten. Er hat ihren Kaiser beleidigt; er hat sein Volk zum Widerstande gegen die französische Tyrannei aufgefordert. Da ist sein Tod beschlossen, da wird auf ihn gefahndet von allen Seiten, da ist er gehetzt, wie ein flüchtiges, edles Wild. Es gelang ihm endlich, über die Elbe in sicheres Land zu entkommen, seine Frau mit einem Kinde mußte er zurücklassen. Sie waren lange mit ihm geflohen; sie hatte den Mann, den sie liebte, auf den sie so stolz war, nicht verlassen wollen. Da erkrankte das Kind, mit dem Kinde sie, und er mußte allein weiter fliehen. Sie suchte und fand ein Unterkommen in dem Schlosse ihrer Väter. Ihr Kind starb, mit ihr selbst wurde es schlimmer. Sie fühlte, daß sie sterben müsse, und hatte nur noch einen Wunsch für das Leben: noch einmal den Gatten wiederzusehen. Und sie hatte den Wunsch wieder nicht: sie wußte, daß seine Befriedigung dem edlen Gatten das Leben kosten könne. Da konnte sie nicht leben und nicht sterben. Ich schritt ein. Mit keinem der Ihrigen konnte ich mich berathen, nicht mit dem wahnsinnigen Großvater, nicht mit dem schwachsinnigen Bruder, nicht mit jenem ehrvergessenen Weibe. Mit dem alten treuen Conrad sprach ich, dann mit dem ehrlichen Hauptmann, meinem Freunde und dem Freunde des Freiherrn. Er übernahm es, den Freiherrn herzuführen. Es mußte gewagt werden. Er war selbst früher Gensdarmeriehauptmann; er hatte dem Feinde des Vaterlandes nicht dienen wollen und darum seinen Abschied genommen. Er kennt Land und Leute, Wege und Schliche. Er holte den Freiherrn und er hat ihn in der Nähe. Aber seine Anwesenheit muß den Franzosen verrathen sein, denn sie haben überall ihre Spione. Ich hatte die Kranke auf das Wiedersehen vorbereiten müssen, sie hat ihre Freude gegen ihre Umgebung nicht verbergen können. Die Dienerschaft hat davon gesprochen, heimlich genug; die Spione haben es dennoch erfahren. Das Schloß und die ganze Gegend ist besetzt. Wir glaubten gleichwohl, es noch wagen zu müssen. Sie müssen sich wiedersehen, Beide. – Lassen Sie uns gehen, Herr Pater! Ich sollte eigentlich jenem ehebrecherischen Weibe nachgehen, ihr ihre Schande vorhalten, sie– O, und ich weiß nicht, was ich thue, während Sie bei der Kranken sind. Kommen Sie – Aber halt! Was ist denn das wieder? Da geht wieder Jemand in diesem alten Gange, in dem man sonst Monate lang wandeln kann, ohne einem Menschen zu begegnen!“

Der Arzt hatte wieder leiser gesprochen. In dem Gange nahete sich wieder ein Schritt, aus derselben Richtung, aus welcher die stolze Dame gekommen war, und ging ebenfalls rasch, ebenfalls nicht leise, aber er war schwerfällig.

„Sollten die Franzosen, die Verfolger des Freiherrn, in das Schloß eingedrungen sein?“ fragte sich der Doctor. „Alle Wetter, nein! Es ist der alte Graf, der Verrückte! Wie kommt der in diese Gegend des Schlosses? Wohin mag er wollen? Aber still! Keinen Laut! Der Alte hat Augen wie ein Luchs und Ohren wie ein Dachs.“

Sie verhielten sich still. Die lange, gekrümmte Gestalt des alten Grafen schritt mit raschem, schwerem Tritt vorüber. Der wahnsinnige Greis schien irgend etwas eifrig zu verfolgen; man

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