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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Pariser Bilder und Geschichten.
Die Zuaven.

Paris gleicht einem offenen Buche, aus dem man stets neue Dinge lesen kann. Gott allein weiß, wie vielen Poeten und Romanschreibern, Journalisten und Gelehrten dieses abenteuerliche Buch zur Quelle dient, aus der sie die seltsamen oder belehrenden, die heiteren oder rührenden Gegenstände schöpfen, die sie der Leserwelt mittheilen. In der That, diese Quelle scheint unversiechbar. Je mehr man Paris – dies moderne Babylon, wie es mit Recht genannt wird – nach allen Richtungen durchstudirt und durchstöbert, desto merkwürdigere Standpunkte bietet es den Forschungen des aufmerksamen Beobachters.

Nicht das am wenigsten Interessante, welches die interessante Weltstadt an der Seine dem Fremden vor Augen führt, ist ihr Straßenleben in seinem ewigen Wechsel, seiner bunten Mannigfaltigkeit von charakteristischen Erscheinungen, welchen allen mehr oder minder die französische Beweglichkeit und Grazie, der französische Esprit ein Gepräge aufdrückt, das es vom Straßenleben aller anderen Großstädte auf das Bestimmteste unterscheidet.

Der Soldat der verschiedensten Waffengattungen, der vornehme Guide als eigentlicher Leibwächter des Kaisers, die prachtvollen Centgardes, die blitzenden Kürassiere mit den gewaltigen Roßschweifen ihrer antiken Helme, die reichbetreßten Jäger zu Pferde, wie die einfache Rothhose der Infanteristen, – sie Alle sind stehende Typen in diesem unablässig verwandelten Kaleidoskop des Straßenlebens, und überdies Lieblinge des Publicums, denn der Pariser ist wie jeder Franzose ein großer Freund des Militärs; die Lieblinge der Lieblinge, die besonders gehätschelten und gepflegten Schooßkinder der Pariser und – der Pariserinnen aber sind die Zuaven, jene merkwürdige halborientalische Truppe, die einen höchst charakteristischen Theil der französischen Armee bildet.

Der Zuave trägt auf seinem glattgeschorenen Kopfe einen weißen Turban mit rothem Kopfeinsatz, an dem eine große gelbe Quaste herabhängt; seine Uniform besteht aus kurzer, offener Jacke und Weste von blauem Tuche, die mit schnörkelhaften Verzierungen von gelber Borte reich ausgeschmückt sind; seine rothen Hosen von türkischem Schnitt, die über dem Knöchel gebunden werden, sind sehr weit; enge, kurze Gamaschen von weißem Leder umschließen seine Füße derart, daß nur die äußerste Spitze der Schuhe sichtbar wird. Um den Leib gürtet er eine breite blaue Binde und über dieselbe einen schwarzen Ledergurt, an welchem ein kurzes, ziemlich breites Seitengewehr herabhängt, das er gleichzeitig auf die Miniébüchse, mit der er bewaffnet ist, als Bajonnet aufpflanzen kann. Wie man sieht, ist diese Uniform ziemlich phantastisch, und ein Bataillon Zuaven, das mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel auf dem Boulevard vorüberzieht, gewährt einen bunten, heitern, zugleich aber auch sehr imposanten und kriegerischen Anblick. Mit ihren bärtigen, sonnengebräunten, ausdrucksvollen Gesichtern erwecken die braven Soldaten unwillkürlich Antheil und Sympathie und verwunden die Herzen mancher Schönen.

Die Zuaven haben den sogenannten „Zouaoua’s“ ihren Namen entlehnt, Abkömmlingen eines Kabylen-Stammes, welche die Leibwache des Dey’s von Algier ausmachten. Im Jahre 1830 kam der Marschall Clauzel auf den Gedanken, aus ihnen regelmäßige Bataillone zu bilden. Nach und nach stellte man unter diese barbarischen Horden auch civilisirte Soldaten ein, die ihren wilden Cameraden sehr bald das beständige Leben unter freiem Himmel, den Scharmützel-Krieg, die Kunst, Hinterhalte zu legen – kurz, die ganze heitere Seite des Partei-Krieges ablernten, der eine gewisse Poesie nicht abzusprechen ist. Dieses militärische Zigeunerleben, das ohnedies von den klimatischen Einflüssen unter dem heißen afrikanischen Himmel sehr begünstigt ward, sagte dem leichten, unabhängigen Sinn des französischen Soldaten ungemein zu, und so bildete sich nach und nach die kühne und verwegene Truppe aus, die man jetzt Zuaven nennt und die mit ihrem Spitznamen die „Schakals“ der Armee heißen. Der Krieg ist ihr Element, der Kampf ihr Bedürfniß, das Wort Gefahr ist ihnen unbekannt, kein Hinderniß scheint ihnen unüberwindlich. Jubelnd rücken sie in ihren bunten Anzügen auf den Feind an, indem sie – den Cancan tanzen.

Es mag keine leichte Aufgabe sein, diese wilde Schaar anzuführen, und es gehört sicherlich eine feste Hand und ein eiserner Wille dazu, um sie in den Fesseln der militärischen Disciplin zu erhalten; auch findet man unter den Generalen, von denen sie nach und nach commandirt worden sind, die bedeutendsten Namen der französischen Armee, wie Espinasse, Chasseloup-Laubat, Cavaignac, Lamoricière, Bosquet, Bourbaki, Canrobert – alles muthige Löwen, welche die „Schakals“ sehr wohl zu behandeln verstanden. Obgleich die Fahnen der Zuaven sehr durchlöchert sind, so kann man doch in den Falten dieser glorreich zerfetzten Banner die nachstehenden Siege ziemlich deutlich lesen: „Belagerung von Constantine“, „Rückzug von Medeah-Mascara“, „Schlacht am Oued-Fodelah“, bei „Isly“, an der „Alma“, bei „Inkerman“, am „Malakoff“ und die Namen sämmtlicher Schlachten aus dem jüngsten italienischen Feldzuge.

Eigentliche Orientalen giebt es heutzutage nur noch wenige unter den Zuaven; dagegen hat Paris der Armee den stärksten Tribut an „Schakals“ geliefert, meistens junge Leute, die irgendwie in ihrer Carrière verunglückt waren. Rechnet man nun zu dieser Jugend noch einen Stamm alter Soldaten, die, zum Unterschiede von dem jungen Anflug, Mahomeds genannt werden, so hat man die mosaikartig zusammengestellte Schaar beisammen, welche die bunte Zuaven-Compagnie bildet.

Die Tapferkeit des Zuaven ist über alles Lob wie über allen Zweifel erhaben; sie steckt schon in seiner Uniform. Nach dem Ausspruche eines alten Zuaven, den ich als competenten Richter anerkennen muß, sind die Eindrücke, die der Kampf hervorbringt, etwa folgende: Beim ersten Schuß denkt man an Gott, beim zweiten an seine Mutter, der dritte erweckt instinctmäßig den Trieb der Selbsterhaltung und man empfindet das widerwärtige Gefühl der Furcht; da kommt aber der vierte Schuß und trifft einen Cameraden, das fließende Blut ruft das Gefühl der Rache hervor, und beim fünften Schuß denkt man schon gar nicht mehr an sich selbst, alle geistigen Kräfte vereinigen sich in dem einzigen Wunsche, den gegenüberstehenden Feind zu vernichten. Nach und nach entwickelt sich die Schlacht immer mehr, die Colonnen rücken näher aneinander heran, der Pulverdampf umhüllt wie ein dichter Schleier die Schrecknisse des Kampfes, und wie Milton’s Engel, die im Chaos mit einander rangen, fechten die Kämpfenden blindlings und wie in der Finsterniß! Die Gefahr erhöht und stählt nur ihren Muth, der sich nach und nach in die vollkommenste Todesverachtung verwandelt. So erklären sich auch die zahllosen Beispiele von Unerschrockenheit, an denen die Geschichte der Zuaven überreich ist.

Bei Balaklava wird einem Signalisten die rechte Hand abgeschossen, er nimmt sein Signalhorn in die linke Hand und sagt: „Meine Mutter wollte durchaus, daß ich das Geigenspiel erlernen sollte, nun ist es ein wahres Glück, daß ich mir diese Mühe erspart habe!“ In der Schlacht an der Alma mußten die Zuaven auf Befehl des Marschalls Saint-Arnaud einen hohen, ganz glatten Erdwall stürmen, und nachdem sie dieses fast unglaubliche Kunststück mit unsäglichen Anstrengungen und unter mörderischem Feuer ausgeführt hatten und auf der Höhe anlangten, befanden sie sich ganz unvermuthet in einem schönen Weinberge, den die Russen stark besetzt hielten. Sie vertrieben nun zunächst die Russen und machten sich sodann über die Weintrauben her – die Kanonen donnern, die Kartätschen hageln auf sie herab, aber sie lassen sich durchaus in ihrem Genusse nicht stören und rufen, indem sie der feindlichen Artillerie die Trauben entgegenhalten, im näselnden Tone der Pariser Obstverkäuferinnen: „Echte Weintrauben von Fontainebleau, süß wie Honig! zwei Sous die Traube, sechs Sous das Pfund!“

Der Zuave ist mit dem Tode vertraut; er hat diesen düstern Gast oft und sehr nahe gesehen und fürchtet ihn nicht. Trotz seiner scheinbaren Gleichgültigkeit gegen heilige Dinge ist er im Grunde ein ganz guter Katholik, hält große Stücke auf den Feldgottesdienst, schmückt den dazu erforderlichen Altar so schön wie möglich mit Blumen aus und hat für die Feldprediger, die seinem Corps beigegeben sind, eine hohe Achtung. Einer dieser Geistlichen, ein junger Priester aus der Pariser Diöcese, der Abbé Parabère, erfreut sich der ganz besonderen Gunst der Schakals, weil er brav ist wie ein Löwe und sein heiliges Amt ganz unerschrocken im dichtesten Kugelregen ausübt. Bei Inkerman wird ihm sein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_568.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)