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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

darf: „le peuple c’est ma muse“, so hat er gleich diesem auch eine Lisette, und in der That eine französisch parlirende, nur daß diese weit entfernt ist von der etwas frivolen Anmuth und Koketterie, welche Beranger an seinem echt französischen Mädchen aus dem Volke in lustigen Liedern besingt. Um so mehr können wir über Reuter’s Lisette lachen.

Ich brauche wohl dem Leser kaum noch zu sagen, daß Lisette Niemand anders ist, als das Gallion, das uns die Thüre geöffnet. Es giebt keine glücklichere Figur für einen komischen Roman.

Lisette ist von Geburt ein Dorfmädchen aus dem Großherzogthum Sachsen-Weimar. Sie hütete in ihrer Jugend die Gänse der Dorfgemeinde, wie Johanna die Schafe ihres Vaters hütete in dem Flecken Dom Remi, der in dem Kirchspiele liegt von Toul. Und wie Johanna ward sie berufen zur „Jungfrau von Orleans“. – Nichts Geringeres als die französische Februarrevolution von 1848 griff gestaltend in das Leben Lisettens ein. Der Thron Louis Philipp’s mußte zertrümmert

Fritz Reuter.

werden, um dem thüringischen Bauernkinde eine ungeahnte Laufbahn zu eröffnen. Bekanntlich war in Folge jener politischen Katastrophe die Herzogin von Orleans mit ihren beiden Kindern, dem Grafen von Paris und dem Herzog von Chartres, nach Eisenach geflüchtet, wo sie das oben erwähnte großherzogliche Palais auf dem Marktplatze, der Georgenkirche gegenüber, als Residenz hezog. Monsieur Hubert, der Intendant der Herzogin, der mit seiner Familie seiner Gebieterin nach Deutschland gefolgt war, hatte eine im Hausgesinde entstandene Lücke auszufüllen, und Lisette wurde – ich weiß nicht durch wen empfohlen – als Dienstmagd von ihm engagirt. So kam sie an den Hof der Herzogin von Orleans. Ihre häuslichen Verrichtungen brachten sie täglich mit der hohen Frau und den kindlichen Prinzen, von denen der erstgeborne Prätendent der französischen Königskrone war, in Berührung, die sich durch Lisettens thüringische Unbefangenheit, welche sie auch in der Hofsphäre behauptete, zu einer intimen gestaltete. Tüchtig und brav, wie sie war, verharrte sie in dieser Stellung bis zum Tode der Herzogin. Sie begleitete dieselbe auf ihren Reisen. So hielt sie sich mit den Orleaniden längere Zeit bei dem exilirten greisen Königspaare in Claremont auf, dem englischen Landsitze des Königs der Belgier, den dieser bekanntlich seinem Schwiegervater Louis Philipp eingeräumt hatte. Auch in Paris ist Lisette mit Monsieur Hubert gewesen, der vermutlich in geheimer Mission dort mit den Orleanisten berathschlagt hatte. So hat Lisette in den höchsten Kreisen der Gesellschaft die große Welt gesehen, die dauernde Eindrücke in ihren Erinnerungen zurückließ. Sie schwärmt noch heute für die Herrlichkeiten der Champs Elysees, die sie natürlich „Schamps Elise“ spricht. – Ueberhaupt liebt Lisette es, ihr wohlerworbenes Französisch nicht unter den Scheffel zu stellen, besonders wenn Gäste bei Reuter’s sind. Das Wort „Ja!“ scheint sie sich ganz abgewöhnt zu haben, sie sagt nie anders als: fui, Matam! fui, Mussiö!; sie würde gewiß auch am Traualtar, falls ein etwas verspätetes Liebesglück sie noch einmal dahin stellen sollte, die Frage des Priesters beim Ringwechsel statt mit „Ja!“ mit einem herzhaften fui beantworten. So pflegt sie auch die Anordnungen der Hausfrau bei Tische laut in’s Französische zu übersetzen. „Lisette, ein Teller!“ „Fui Matam, une assiette!“ „Lisette, ein Glas Wasser für den Herrn!“ „Foilà! öng ferr d’o pour Mussiö!“ Beim Präsentiren der Schüssel wird sie selten das „plöt i?“ (plaît-il?) vergessen, sowie sie auch der Unterhaltung bei Tische von Zeit, zu Zeit mit einem für sich gesprochenem c’est ça zu folgen pflegt. – Weit drolliger aber als ihr Französisch ist ihr Deutsch, das gar nichts von thüringischem Dialekt und thüringischer Ausdrucksweise an sich hat. Es scheint, als hätte sie sich dasselbe aus dem gebrochenen Deutsch der französischen Dienerschaft der Herzogin von Orleans angeeignet. Die Komik dieser eigenthümlichen Sprechweise wird noch erhöhet durch die unbegreiflichen Redensarten, welche Lisette mit lakonischer Sicherheit überall anzubringen weiß, wo solches nur möglich und unmöglich erscheint. So z. B. daß sie den Fremden „in dieser Hinsicht“ anmeldet. Ich hörte von ihr den Ausdruck: „in dieser Hinsicht ist das eine Betrachtung!“ „fui, das ist so Gebrauch von die Ordnung!“ etc. – Zu diesen abgelegten Hofredensarten besitzt Lisette noch mehrere abgelegte Hofkleidungsstücke. So erscheint sie an hohen Festtagen in einer Robe, welche weiland die Frau Herzogin von Orleans getragen. Wie viele treue Orleanisten könnte sie mit kleinen, ordensbandgroßen Fetzen dieser Reliquie glücklich machen! Natürlich paßt zu dieser Gewandung keine Crinoline, die Lisette ohnedies als eine Erfindung der neuen französischen Kaiserära verabscheut, wie sie überhaupt Napoleon III. als Feind des Hauses Orleans haßt. Als vor einiger Zeit bei Reuter die Zeitung vorgelesen wurde, in welcher von einer Erkrankung Kaisers Napoleon die Rede war, sagte Lisette, welche während einer Beschäftigung im Zimmer aufmerksam zugehört hatte: „Wenn der schterbt, dann trauer ich roth!“

Daß Lisette durch ihr Leben am Hofe etwas Aristokratin geworden ist, darf uns nicht wundern. Sie weiß es sehr zu schätzen, gegenwärtig wieder in Diensten einer Herrschaft zu stehen, die, nach mancherlei Aufmerksamkeiten zu schließen, deren sich dieselbe erfreut, eine hervorragende Bedeutung haben muß, obwohl Lisette das Ding nicht recht zu begreifen vermag. Aber sie ist gar nicht damit zufrieden, daß die Fremden so ohne alles Ceremoniell Zutritt zu der Herrschaft finden. Nicht selten daher trifft sie im Hause auf eigene Hand Anordnungen, die der Hausordnung am Hofe der Herzogin von Orleans entnommen zu sein scheinen und die zu beseitigen es der ganzen entschiedenen Intervention der Frau Reuter bedarf. –

Ob die Liebe in Lisettens Leben eine Rolle spielt, möchte ich aus Erwägungen, die zu verlautbaren ungalant wäre, bezweifeln. Indeß das Wort „unmöglich“ ist aus dem Lexikon des menschlichen Herzens gestrichen, und so auch wohl aus dem Lisettens.

In der That scheint Fritz Reuter ein besonderer Günstling des Zufalles zu sein, der ihm eine Figur wie diese gerade in den Weg geworfen hat. Für den Humor unseres Dichters dürfte Lisette ein prächtiges Seitenstück zu der unvergleichlichen Mamsell Westphalen sein, wenn erstere auch keine mecklenburgische Faser an sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_589.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)