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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Signalisirungsorganismus; vergegenwärtigen Sie sich die Masse von Expropriationsprocessen, welche der Baugesellschaft erwuchsen; hören Sie, wie enorm die Frequenz ist, der sich diese „Ratteneisenbahn“ – so nennt sie der Volkswitz wegen der Nachbarschaft der von Rattenschaaren bevölkerten Cloakenröhren – schon nach den ersten Monaten seit ihrer Eröffnung zu erfreuen hat; sehen Sie, wie leicht ihre Benutzung gemacht ist, wie gefahrlos die unterirdischen ihrer sechs Stationen durch bequeme Wendeltreppen zu erreichen sind, – und, nicht wahr? all das böse Blut, das uns neuerdings John Bull’s bornirte Danomanie und Deutschfresserei bereitet, darf uns nicht von dem Bekenntniß abhalten, daß hier eine große Aufgabe mit wunderbarem Geschick und wunderbarem Erfolge gelöst ist. Lassen wir uns nicht beirren von den hin und wieder laut werdenden Stimmen, die uns einreden möchten, das Ganze sei eigentlich nicht viel mehr als Kinderspiel gewesen, von einer unerhörten Leistung der Technik nicht im Entferntesten dabei die Rede, Alles, was man in dieser Hinsicht erzählt, ebenso in das Reich der Fabel zu verweisen, wie die Rauch und Dampf selbstverzehrenden Locomotiven, von denen man bei der Untergrundeisenbahn geflunkert, und die gar meinen, Liechtenstein und Reuß-Greiz hätten gerade so gut ihren subsolarischen Schienenweg haben können, wenn sie nur gewollt hätten.

Wer’s gesehen hat leibhaftig vor sich, wie wir, wer gar neulich ein Stück durch die Unterwelt gefahren ist, der läßt sich von solcher prosaisch neidischen Anschauung nicht anstecken, der bleibt dabei, daß er vor diesem neuen Triumphe des Menschen über die todte Natur mit Anstand staunen darf. Und das Alles ist, wie neulich berichtet, nur ein Anfang, nur die Verwirklichung eines von dem Dutzend anderer noch viel weitergreifender genialer Projecte. Wie lang wird es dauern, so ist ganz London, wie überbrückt von Bahnviaducten, so unterhöhlt von einem Netze unterirdischer Schienenstraßen, wie eine Wiese von Maulwurfsgängen, nicht blos der feste Grund und Boden, auch die Themse, unter deren Bett bereits zwei Gesellschaften Eisenwege zu bauen im Schilde führen, und wer mag diesem hochfliegenden britischen Unternehmungsgeiste seine Schranken vorzeichnen? Hat doch vor zehn Jahren auch Niemand von dieser Unterweltbahn geträumt.

Uns schwindelt im Gedanken an die Consequenzen, die sich daran knüpfen und in’s Grenzenlose hinüberspinnen. Verhüllen wir lieber wieder mit Nacht und mit Grauen diese zwar wohlgeregelte, immer aber unheimliche Unterwelt! Ach, wie ist’s doch schön zu athmen hier oben im rosigen Licht, heute wirklich im rosigen Lichte, in dem uns Alles ringsum gebadet scheint, die einförmigen gleich breiten und gleich hohen Ziegelhäuser, die Miniaturgärten davor, die unvermeidlichen Eisenstakete darum, die staubgepuderten Bäumen rechts und links, selbst die Messingplatten über den Thüren, die uns zu wissen thun, daß Mr. B. eine „Dancing Academy“ hält – minder hochstylig, der Tanzmeisterei obliegt –, Mr. C. „Professor of Music“ und Mr. X. „Teacher of foreign languages“ (Lehrer fremder Sprachen) ist – Alles kommt uns so freundlich, so hell, so anheimelnd vor nach unserer Zauberschau der Unterwelt. Alles so lockend, auch dort die große Inschrift „Coffee as in France“ – Kaffee wie in Frankreich –, daß wir beinahe Gefahr laufen, vorwitzig diesen englisch-französischen Kaffee zu riskiren, lähmte nicht die nüchterne Pedantin Erfahrung alsbald wieder den Schwung unserer unbedachten Gelüste, uns daran erinnernd, daß man die Götter nicht versuchen soll, daß in England kein Mann und keine Frau versteht, was Kaffee heißt, außer dem Koch in Verey’s elegantem französischen Restaurant an Regent- und Hanoverstreet-Ecke und etwa einem und dem andern türkischen Divan in Haymarket, wo man nach Theaterschluß, das heißt, beim Morgengrauen, einfällt, wohin Sie, Verehrteste, aber bei Leibe nicht folgen dürfen. Selbst drüben das Eckhaus, das sich von allen übrigen Gebäuden der Straße durch seine anspruchsvollere Architectur, durch einen gewissen vornehmen Aplomb unterscheidet, selbst dies, trotz dem grimmen britischen Leuen, der auf seinem Dache wacht, und dem andern, welcher unten den Eingang behütet, ist von einem Schimmer reizender Heiterkeit umflossen. „college of Health“ – Gesundheitscollegium – „founded (gegründet) 1828 prangt in mächtigen Goldlettern an seiner Vorderfronte. Sie meinen, daß hier vielleicht die hochgelahrte Doctorzunft von Großbritannien und Irland ihre gewichtigen Versammlungen und Consultationen abhält, daß von hier das Licht der Arzneikunst ausstrahlt über das vereinigte Königreich, nicht wahr? Nichts von alledem, der stattliche Bau ist nichts anders als eine große Burg der Reclame, ein Palast des Schwindels, eine Frucht des Humbug. Hier werden die vielgenannten Morrison’schen Pillen, die „vegetabilische Universalmedicin“, einzig und allein fabricirt und noch immer über die halbe Erde verschickt. Der glückliche Erfinder der Panacee und Besitzer des Gesundheitscollegiums verausgabt zwar Jahr aus Jahr ein fast ein fürstliches Vermögen für Annoncen und Reclamen, hat aber schon lange sein Schäfchen in’s Trockene einer kolossalen Rente geborgen; denn trotz Wissenschaft und Wahrheit und trotz des – Bock’s in der Gartenlaube bleibt der alte Spruch „Mundus vult decipi“ ewig neu und ewig probat. –

Aber da grollt’s schon wieder schauerlich herauf aus der Tiefe. Flüchten wir darum aus diesen untermaulwürfelten Regionen; glücklicher Weise giebt’s ja vorläufig Gebiete, wo London noch auf solider Grundlage ruht. Im „Bus“ da ist noch Platz und in dem drüben im Edgeware Road vielleicht auch. Ein Gang durch Hydepark und die Kensington-Gärten muß vergnüglich sein heut’ nach unserer Entdeckungswanderung, doppelt vergnüglich gerade weil die Stadt leer ist und der Park frei von dem Firlefanz von Saison und Fashion. Eilen wir, schon zieht der Conducteur die Schnur zum Kutscher.




Erinnerungen aus Italien.[1]
Die deutschen Künstler in Rom.

Unter den angehenden Malern und Bildhauern in Deutschland gilt es noch heute als ein unbestrittener Satz, daß die Meisterschaft in ihrer Kunst nur durch einen Aufenthalt in Italien gewonnen werden könne. So weit sie damit eine Reise nach Italien verstehen, mag solche Ansicht im Rechte sein; aber ein dauernder Aufenthalt deutscher Künstler in Rom kann nach meinen Beobachtungen für ihre Leistungen nur lähmend und nachtheilig werden.

Ich suchte gleich nach meiner Ankunft in Rom das Café greco auf, von alten Zeiten her bekannt als der Sammelplatz der deutschen Künstler, wo auch Goethe oft zu sitzen pflegte. Aber schon hier hat sich Vieles geändert; die Künstler leben jetzt weit zersplitterter, als sonst, und nur ein Theil von ihnen ist hier noch regelmäßig zu treffen. Es war rein zufällig, daß ich einen alten Bekannten und deutschen Maler, als er vorüberging, erkannte. Nach den ersten Begrüßungen führte er mich von dort in den deutschen Künstlerverein.

Dieser Verein hat sein Local, wie die Künstler mit Stolz zu sagen pflegen, in dem Palast mit der berühmten Fontana di Trevi. Es ist ein origineller Gedanke, die Vorderseite eines Palastes, statt sie mit Thüren und Fenstern zu versehen, aus einem bis an das Dach ansteigenden Geröll mächtiger Felsblöcke zu bilden, zwischen denen an allen Orten starke Quellen hervorsprudeln und springen, deren Wasser, von Schalen aufgefangen, zuletzt in ein breites Becken sich ergießen, welches die Hälfte des Platzes vor dem Palaste einnimmt. Die labende Kühlung, welche es verbreitet, läßt Arbeiter, Frauen und Kinder zu allen Tageszeiten hier sich sammeln, auf den Rampen und Treppen des Wasserbeckens ausruhen und dem Geräusch zuhören, womit der Wasserfall den Platz bis in die angrenzenden Straßen erfüllt. Es gefiel mir an diesem Springbrunnen vor Allem, daß die Marmorbilder, mit denen er geziert ist, nicht in der hergebrachten Weise benutzt sind, um das Wasser aus ihren Mäulern, Nasen oder Trompeten hervorspringen zu lassen. Diese Bildsäulen zeigen überall rein menschliche Stellungen und Tätigkeiten, mit dem Ausdruck des Behagens, welches in


  1. Als Probe eines in der nächsten Zeit im Verlage von J. Springer in Berlin erscheinenden Werkes aus der Feder v. Kirchmann’s, des bekannten Abgeordneten zur preußischen Nationalversammlung.
    D. Red. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_617.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2021)