Seite:Die Gartenlaube (1864) 627.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Ausdruck an, worin etwas von zurückweisender Kälte lag. Aber zugleich war sie augenscheinlich verlegen und verwirrt durch diese plötzliche Erscheinung, und sie fragte ein wenig stotternd: „Ich verstehe Sie nicht … mein Pferd ist doch nicht …“

„Ist aus Verzweiflung über die Vernachlässigung von Seiten seiner Herrin aus dem Stalle gelaufen und durchgegangen.“

Die Dame sprang auf und machte einen hastigen Schritt der Thür zu.

„Beruhigen Sie sich, mein gnädiges Fräulein, ich habe es eine Viertelstunde von hier im Walde aufgefangen und zurückgebracht. Es steht jetzt an seiner Krippe so ruhig wie das Pferd des Phidias an seinem Fries.“

„Dann muß ich Ihnen in der That dankbar sein,“ sagte die Dame leise und langsam, den Fremden jetzt ruhiger musternd und ein wenig widerstrebend, einem unbekannten Menschen danken zu müssen … „ich hoffe es ist unverletzt?“

„Es ist Alles unverletzt daran bis auf die Zügel, die ich wieder zusammengeknotet habe.“

„Nun, in der That, ich bin Ihnen sehr verbunden,“ wiederholte das junge Mädchen mit einer kurzen Verbeugung und nahm den Hut und die Handschuhe auf, um zu gehen.

„Darf ich Sie nicht bitten, mir eine Auskunft über dies kleine Schloß zu geben?“ fragte der junge Mann, während sie den Hut auf ihren blonden Locken befestigte. „Ich bin fremd hier, fremd geworden wenigstens…“

„Das Schloß heißt Falkenrieth und war ursprünglich ein Jagdhaus der Fürsten von W. Man sagt, einer der Fürsten habe es zur Sommerfrische für seine …“

Das junge Mädchen zog, während sie dies sagte, langsam ihre Handschuhe an und schien bei den letzten Worten plötzlich auf eine Schwierigkeit dabei zu stoßen, so daß sie über dem heftigen Niederstreichen des widerspenstigen gelben Leders vergaß, was sie sagen wollte.

„Falkenrieth? der Name lautet hübsch!“ bemerkte der Fremde.

„Es gehört jetzt zur Concursmasse der gräflichen Familie von Wasenstein, und die sucht es zu verkaufen, weil es nur Erhaltungskosten macht und der kleine Waldbering, der ringsumher dazu gehört, sehr wenig einbringt in dieser entlegenen Gegend …“

„Es ist ganz allerliebst und eine würdige Schöpfung einer verliebten Fürstenphantasie,“ versetzte der junge Mann. „Man sollte es allen Neuvermählten im Lande für ihre Flitterwochen einräumen, wie die Thurmstube auf dem Stephansthurm zu Mainz. Kann man die übrigen Räume sehen?“

„O ja,“ fiel die junge Dame, gesprächiger werdend, ein; und als ob es ihr eine Befriedigung gewähre, die kleine Schöpfung Jemandem, der ein Auge für seine Schönheit verrieth, zu zeigen, ging sie lebhaften Schritts der nächsten Flügelthür zu und öffnete sie.

Der Fremde blickte in ein kleineres, weiß und rosaroth decorirtes Zimmer, dessen Farben sich besser erhalten hatten, als die des ovalen Saales.

„Das reinste Rococo, das man sehen kann,“ bemerkte er; „man kann den Styl Louis Quinze nicht geschmackvoller durchgeführt finden! Es ist nur schade, daß alle Einrichtung fehlt. Welch’ schöne Marmortische auf vergoldeten Löwenklauen und Bockfüßen, welche prächtigen eingelegten Schränke und Boule-Arbeiten würden wir sonst sehen!“

„Das ist Alles längst fortgeschleppt,“ antwortete die Dame, „das Gebäude steht schon lange vollständig leer … Sie sind wohl Künstler?“ wandte sie sich dann plötzlich an den jungen Mann.

„Künstler? … nun ja; aber wer darf sich so nennen? Wer darf von sich sagen, in dem, was seine Hände stümpern, sei von ihm ein Strahl der ewigen Schönheit eingefangen?“

„Ich sah es, weil Sie ein Auge für diese Sachen haben,“ fuhr die junge Dame jetzt, seitdem sie den Fremden in eine bestimmte Lebensstellung eingerückt erblickte, mit weit größerer Unbefangenheit fort. „Sie werden Studien in unserer Waldgegend machen wollen, und es freut mich, daß Sie dies vorhaben. Wir haben so wundervolle Partieen, und doch ist es so selten, daß sich hierher ein Künstler verirrt!“

„Leider komm’ auch ich nicht zu solchen Studien hierher, ich bin, wie gesagt, nicht anmaßend genug mich Künstler zu nennen, und mein Dilettiren beschränkt sich auf Kneten von Thon und Bosseln von Stein – ich pfusche in die Plastik!“

„Plastik?“ wiederholte die junge Dame; „ein seltenes Talent, das am höchsten stehen soll, obwohl ich in seine Geheimnisse nicht recht einzudringen verstehe, die Plastik hat und behält etwas Todtes, Kaltes für mich …“

„Trotz Ihrer Lectüre?“ fragte der Fremde, indem er auf das zu den Füßen des Meleager liegen gebliebene Buch deutete.

„Trotz des Pferdes des Phidias und alles Geistvollen, was darin über die plastische Darstellung eines atheniensischen Gaules gesagt ist … ich bin hier in der romantischen Waldeinsamkeit groß geworden, zwischen einfachen Scenerien, die nur durch Linien und Farben wirken – die Romantik soll sich mit der Plastik nicht vertragen …“

„Sind Sie musikalisch?“

„Auch das nicht!“

„Dann sind Sie für die Plastik nicht verloren!“

„Sonst wäre ich es?“ fiel sie lächelnd ein – „aber,“ sagte sie sich wendend, „der atheniensische Gaul hat mich an den meinen erinnert; es wird Zeit, daß ich heimkehre. Wollen Sie sich noch umschauen in dem Gebäude, so thuen Sie es, aber schließen Sie die Thür und geben Sie den Schlüssel drüben im Wirthschaftsgebäude bei den Wärtersleuten ab.“

„Ich habe genug für heut’ und werde später wohl zurückkehren,“ sagte der Fremde … „ich hätte große Lust, das hübsche Schlößchen zu kaufen. Was wird es kosten?“

„Sie? kaufen?“ rief die junge Dame mit einem Tone wie unangenehme Ueberraschung aus, und mit einer Miene, aus der alle Heiterkeit verschwunden war, zu ihm zurückblickend. Der Blick auf seine äußere Erscheinung aber schien sie zu beruhigen.

„Man fordert mehr als zehntausend Thaler dafür,“ fuhr sie fort, indem sie durch die Thür des Salons schritt und, nachdem der Fremde ihr nachgekommen, zu schließen versuchte, eine Mühe, bei welcher der junge Mann ihr zuvorkam.

Sie gingen schweigend über die Brücke. Am Ende deutete die Dame auf eine kleinere Thür im Wirtschaftsgebäude und sagte: „Geben Sie da den Schlüssel ab. Adieu, mein Herr!“

Sie wandte sich mit einem halb freundlichen, halb stolzen Nicken des Hauptes von ihm ab und ging zu ihrem Pferde. Der junge Mann öffnete die ihm bezeichnete Thür und trat in eine kleine Küche; es war Niemand darin, auch in der hinterliegenden Kammer nicht. Er legte deshalb den Schlüssel auf den Tisch und kehrte zurück.

„Es ist Niemand da,“ sagte er, der Dame nacheilend, „Niemand, der Ihnen behülflich sein kann, und Sie müssen sich deshalb schon meine Dienste gefallen lassen.“

Ohne ihre Einwilligung abzuwarten, holte er das Pferd aus dem Stalle, zog die Sattelgurte an und führte das Thier an einen daliegenden kurzen Holzblock, der das Aufsteigen erleichtern konnte. Die Dame sprang darauf, aber bevor sie aufstieg, untersuchte sie die kleine Satteltasche.

„Mein Gott, nun ist das Tuch und das Taschenbuch, das ich hineingesteckt hatte, verloren!“ rief sie klagend aus.

„Wenn Sie es darin gelassen haben, so ist es freilich herausgefallen, der Sattel hing unter dem Bauch des Thieres … hatte das Taschenbuch Werth für Sie?“

„Gewiß, großen … ich möchte es um Vieles nicht missen –“

„So will ich suchen, den Spuren des Pferdes nach, die es bei seinem Ausbrechen hinterlassen hat …“

„O nein, nein, nein, das sollen Sie nicht,“ fiel die Dame geängstigt und erschrocken vor dieser neuen Verpflichtung gegen den Fremden ein.

„Aber wenn es Werth für Sie hat … und da Niemand anders da ist …“

„Doch, doch, da kommt schon Jemand!“

In der That hörte man Schritte, die Schritte eines eilig Laufenden; im nächsten Augenblick kam ein Bauernbursche von etwa fünfzehn Jahren um die Ecke des Wirthschaftsgebäudes gelaufen, über dessen geröthetes Gesicht die hellen Tropfen Schweißes niederperlten. Er hielt ein feines gesticktes Taschentuch und das Buch in der Hand.

„Gnädiges Fräulein, ist das Ihres?“ rief er athemlos aus.

„Ja, ja,“ sagte sie hocherfreut, „das ist brav von Dir, mein Junge!“

„Ich fand es auf der Wiese drüben im Sundern,“ sagte der Junge luftschöpfend … „und da dacht’ ich’s gleich, daß es

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_627.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)