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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Ein Lachen ließ rechts und links sich hören in dem Gedränge der Freunde, die auf dem Waldpfade nicht ohne Mühe mit Umgehung von Wurzeln, Sträuchern, Stämmen einander nahe blieben. „Ei, erfreut Dich dieser Rasen und das Laubgehölz nicht?“ fragte Heideloff, „weil sie Jahr für Jahr immer wieder dieselben sind? So sind die Ideale der Kunst freilich alt, aber unsterblich. Nur muß es ein Frühling, ein jugendwarmer Geist sein, der sie zum Blühen hervorruft. Sind Euch die hergebrachten Schauspiele nicht geistreich genug, bietet Euer eigenes Feuer auf, Ihr beredten, witzigen Denker. Nichts ist so sympathetisch, als neuentstehende Poesie! Wenn ich eine Schulaufgabe bekomme, eine Art Ornament auszuzeichnen oder einen Gartenplan, da hängt der Alltagsgeist über meinem Reißbret. Hör’ ich aber den Entwurf einer dramatischen Dichtung, wie unlängst von Dir, Schiller, das Scenar des ‚Jahrmarkts‘, der ein Vorspiel werden soll für das Geburtsfest des Herzogs, gleich sind meine Sinne in Bewegung, Vor- und Hintergründe steigen mir auf, ich sehe Figuren und Gruppen mit einem Leben der Motive und einer Kraft der Farben, die durch das Mitgefühl mit der Bildungslust des Dichters, durch den Reiz der Erwartung, ich kann nicht sagen wie, gehoben sind!“

„Glaubt mir,“ rief Schlotterbeck, „die Tage vorigen Monats auf dem Krankenzimmer waren die glücklichsten, seit ich hier bin.

Was helfen uns alle Mittel, zu zeichnen, zu schraffiren, zu malen, wenn unsere Empfindung nicht erregt ist? Die quillt auf, wenn uns der Dichter die Welt interessant macht. Als ich im Bett zu hören bekam, woran Schiller schrieb und was er unter der Decke hielt, wenn der Inspector hereinkam, war’s mir nicht anders, als wüchs’ ich inwendig und auswendig und säh’ über die Berge in neue Länder. Nun verstand ich, warum Dannecker zu ihm springt, so oft er kann. Und Hoven mußte ich glücklich preisen, der seit Jahren solche keimende und steigende Phantasieen mit Schiller theilt. Diesen neuesten großen Stoff – nicht wahr, Du, Hoven, hast ihn auf die Idee gebracht? Wir hören doch bald mehr davon …?“

Da Hoven’s Augen dem Fragenden Geduld winkten, ergriff wieder Heideloff das Wort: „Nein, sage selbst, Schiller, hab’ ich nicht Recht, daß das erst eine Akademie wird, wenn wir so zusammen, Ihr Dichter voran, große Gebilde zur Reife bringen, nicht verschnörkelte Recepte, sondern wahre Pflanzungen der schönen Kunst, daß wirklich Griechenland in Deutschland neu wird, Poesie und Geschmack in unserm Schwabenland heimisch werden und es verherrlichen!“

„Aber seht,“ rief Hoven, „hier ist’s prächtig, hier wird’s gut!“

Man war auf einem freieren Platz des Wäldchens angekommen, wo zwischen den Bäumen die Aussicht auf jenseitige Hügel sich öffnete und der lehne Rasen unter den Büschen, erwärmt von der steigenden Sonne, angenehme Ruheplätze bot. Der Hauptmann lud ein, sich hier zu lagern und die leichten Erfrischungen zu genießen, die von den Bedienten gereicht wurden. Er selbst machte sich’s in der Mitte des Kreises bequem, etwas erhöht an einer kleinen Böschung, von wo er alle übersehen konnte. Seine Blicke waren jedoch so wenig gespannt, daß sich merken ließ, er wollte die jungen Leute in ihren Unterhaltungen ungestört gewähren lassen. Sie saßen, lagen und schwatzten denn auch nach Herzenslust in verschiedenen kleinen Cirkeln umher.

Schiller’s Freunde hatten sich am äußersten Ende des Platzes um einen Buchenstamm gesetzt, und man konnte erkennen, daß der Hauptmann dieses Grüppchen mit etwas mehr Freiheit begünstigte, als die anderen. Hier hielt endlich Heideloff sich nicht länger. „Nun heraus damit, Schiller! Ich brenne darauf schon den ganzen Weg her! Ich hoffe, Du hast Dein Versprechen nicht vergessen.“

„Ich dachte mir auch schon,“ sagte Dannecker mit herzlichem Ton, „daß Du es bei Dir hast.“

Schlotterbeck sah bittend, Kapf erwartend her, und Hoven bemerkte: „Höre, Fritz, der Augenblick ist wirklich geschickt dazu. Da drüben spielen Einige Fangens, Andere botanisiren in der Nähe herum, die Aufseher trinken; der Hauptmann läßt uns Zeit, ein wenig tiefer in’s Dickicht zu gehen und in Ruhe Dich lesen zu hören.“

„Wenn Ihr mögt –“ sagte Schiller, sich rasch erhebend, indem eine Röthe seine Wangen überflog.

Sie bogen ein in den Wald und schweigend gingen sie dem Holzweg eine Strecke’ nach. Unter einer Buchengruppe machte Schiller Halt. Er lehnte sich stehend an einen mächtigen Stamm und zog sofort das Manuskript seiner Räuber hervor. Rechts vor ihm stellte sich Dannecker vor einen anderen Baum, an dessen Seite sich Hoven und neben diesem Heideloff niederließ. Zur Linken von Schiller stimmte sich Schlotterbeck hinter ihm gegen denselben breiten Stamm, der des Dichters Rückenwand machte, und weiter vorn saß hier Kapf auf den Wurzeln einer Fichte, gegenüber von Heideloff.

Augenblicks war dieser Kreis geschlossen, und Schiller begann ruhig mit Erinnerung an das, was er den Cameraden schon mitgetheilt und theilweise vorgelesen. Dann trug er weitere Scenen vor, zwischen welchen er wieder Manches kurz erzählend ergänzte, das noch nicht ausgeführt war. Die Freunde folgten der Darstellung mit solcher Begierde, daß kein Laut sie unterbrach, wo nicht etwa Kapf sich von einem kühnen Witz oder einem drastischen Auftritt einen kurzen Ausruf entlocken ließ. Im Fortschritt zum vierten Act nahm Schiller’s Feuer im Lesen und die Spannung der Hörer zu. Es kam zu der nächtlichen Scene, wo Räuber Moor den Alten aus dem Gefängniß des Thurms hervorzieht und in dem schauerlichen Greis den todtgeglaubten Vater erkennt. Als Schiller die Anrede an ihn, die sich aus der furchtbar aufgewühlten Brust des Sohnes hervorkämpft, mit leidenschaftlicher Gewalt über seine glühenden Lippen dröhnen ließ, da zuckte unglaubliche Erschütterung durch die hingerissenen Freunde, und nach einem Augenblick des Entsetzens brachen unaufhaltsam die Ergüsse ihrer Bewunderung los.

„Kerl,“ rief Kapf, „Du hast in Deinem Papier Orkane, die einen umwerfen.“

„Aber,“ fuhr Hoven darein, „wie im Sturm der Blitz mit eins die ganze Landschaft in Gründen und Kanten erhellt, so flackt in diesen erschreckenden Handlungen eine hohe Schärfe der Wahrheit auf.“

„Ja,“ stammelte Dannecker, „groß, unwiderstehlich groß!“

Schiller stand anscheinend ruhig da, aber das Hämmern in seiner Brust verrieth die kochende Aufregung, in die sein eigenes Werk ihn hineingerissen. Gewiß labte sich sein Herz am Anblick der erschütterten Freunde, und wer weiß, ob je wieder ein Dichterlohn ihn so hoch erhoben, als der in diesem Waldwinkel. Dennoch war er der Erste, der vom herrlichen Augenblick der göttlichen Freude zum raschen Abschied rief. „Aber nun, Freunde, leise zurück,“ sagte er, „damit nicht auch Andere, als der Hauptmann, uns vermissen.“

„Da hab’ ich wahrhaftig,“ rief Schlotterbeck, „ganz vergessen, wo ich bin, und ich werde wie im Traum zurückkommen. Aber Du, Victor, hast Dein Taschenbuch auf dem Kniee gehabt. Hast Dir wohl Notizen gemacht für die Scene und skizzirst schon eine Dekoration?“

„Doch nicht,“ antwortete Heideloff, indem er sich vom Wurzelboden erhob; „denn so viel hab’ ich gemerkt: Das läßt sich mit keiner Decoratwn von Guibal, Scotti und Colomba in’s kleine Komödienhaus des Herzogs hineinbringen, es würde Wände und Decken, Bühne und Baldachinloge auseinandersprengen wie eine Bombe. Um so weniger kann ich diese Vorstellung im Walde, unsern engen schmelzend heißen Ring in dieser großen freien Scene vergessen, und darum hab’ ich mir geschwind mit zitternder Hand diesen Platz und Schiller in unserer Mitte stehend hier skizzirt.“

Alle, auch Schiller mit blinzenden Augen, steckten die erhitzten Köpfe über dem Blatt zusammen, über demselben Blatte, das jetzt vor den Augen unserer Leser liegt. Es ist eine theure Reliquie des Mannes, der damals als Jüngling für die Verbindung der Poesie und der Malerei schwärmte. Es ward mit rührender Pietät als ein Heiligthum bewahrt vom glücklichen Sohne eines solchen Vaters; es wird nicht entweiht dadurch, daß es endlich durch die Gartenlaube ein Eigenthum und ein Erinnerungsblatt an die stille kleine Wiege unserer großen Literatur für die ganze deutsche Nation wird.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_631.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)