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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die heute keine Gletscher mehr tragen, wie die schottischen Gipfel, die Ketten der Vogesen und des Schwarzwalds, waren damals ebenso mit Gletschern gekrönt, wie heute die Alpen. Gewaltige Ströme entsprangen aus diesen Eismeeren und führten den feinen Gletscherschlamm, den Löß, durch die Thäler hinab dem Meere zu. Die Umgrenzung des Festlandes und der Meere war damals eine andere. Die Wüste Sahara war ein Meer, das wahrscheinlich direct mit dem rothen Meere zusammenhing; die Säulen des Herkules dagegen und wahrscheinlich auch die Dardanellen waren geschlossen, während das schwarze Meer weithin die russischen Steppen überfluthete und jedenfalls mit dem kaspischen Meere bei Astrachan, vielleicht selbst mit dem Aralsee zusammenhing. Die Küstenketten, welche heute das Mittelmeer umgeben, bildeten also einen geschlossenen Ring, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Landenge von Suez, über welche hinaus die Wasser des Mittelmeeres mit denjenigen des rothen Meeres zusammenflossen. Dieser Küstenring des Mittelmeeres war also nach Süden durch die Wüstenmeere, nach Norden durch die Steppenmeere, nach Nordwesten durch die Gletscher der Pyrenäen und Alpen von allem übrigen Lande abgeschlossen und bildete so ein zusammenhängendes Ganze mit eigenthümlicher Fauna und Flora. Schon längst ist es den Naturforschern aufgefallen, daß die Begrenzung des Mittelmeeres eine ganz eigene, ihr zukommende organische Bevölkerung besitzt, gleich weit verschieden von der transalpinischen in Mitteleuropa, wie von der eigentlich afrikanischen im Süden. Noch neulich erst hat mein Freund, Professor Martius in Montpellier, darauf aufmerksam gemacht, wie sehr die Pflanzen und Thiere der Provence und Italiens mit denen Algeriens übereinstimmen, und wen die Sache interessirt, der mag die näheren Belege dieses Satzes in der Revue des deux mondes nachlesen, wo die charakteristischen Züge des nördlichen Küstenlandes von Algerien mit denen der Provence zusammengehalten und denen der Sahara gegenüber gestellt werden. Der Löwe war früher in Griechenland heimisch, die Hyäne in Sicilien, der Makakea-Affe lebt noch auf dem Felsen Gibraltars, und selbst bis auf den Menschen erstreckt sich die Scheidung in Afrika, indem der Neger im Küstenlande nur eingeführt, aber erst südlich von der Sahara eigentlich heimisch ist.

Wie im Süden unseres Continentes, so zeigten sich aber auch im Norden desselben bedeutende Verschiedenheiten. England bildete eine Halbinsel und hing mit der Bretagne zusammen – ein großer Theil Nordfrankreichs, Belgiens und Hollands so wie der norddeutschen Ebene stand dagegen unter Wasser. Dänemark hing mit Schweden zusammen, so daß die Ostsee nach Westen hin vollkommen geschlossen war, während sie durch ein breites Meer um Finnland herum mit dem weißen Meere zusammenhing und also nur einen Arm des Eismeeres darstellte – selbst ein wahres Eismeer, indem überall von Norwegen, Schweden und Finnland her die Gletscher bis in dieses Meer hinein durch die Thäler sich ergossen. Scandinavien mit Finnland bildete also damals eine Art Spitzbergen oder Grönland und die früheren Theile Deutschlands mit einem Theile Frankreichs und Ost-Europas eine rings umfluthete Insel, die aber freilich mit England direct durch die französischen Westgebiete zusammenhing.

Diese Eiszeit, sagen wir, ging zurück; der Canal, der Sand, die Meerengen von Gibraltar und den Dardanellen brachen durch, die Landenge von Suez, die Wüsten, Steppen und Ebenen hoben sich aus den Wellen, und die Gletscher zogen sich allmählich in ihre jetzigen Grenzen zurück. Zu den Bildungen aber, welche diese Rückzugspenode bezeichnen, in den Schwemmgebilden, welche man auch als Ablagerungen der Diluvial-Periode bezeichnete (ohne daß diese Bezeichnung im Sinne der heutigen Geologen die mindeste Beziehung zu der rein hypothetischen, niemals stattgefunden habenden Sündfluth hätte, in diesen Schwemmgebilden und in den Höhlen, welche zu dieser Zeit ausgefüllt wurden, finden sich die ersten Spuren des Menschen auf europäischem Boden.

Sehen wir zuerst nach, in welcher Gesellschaft.

Theils mit ausgestorbenen, theils mit noch lebenden Thierarten, die aber häufig auch von dem Orte ausgewandert sind, an welchem jetzt ihre Knochen gefunden werden, stößt man auf menschliche Ueberreste. Da giebt es Arten, welche man als Höhlen-Arten bezeichnet hat, weil ihre Knochen bis jetzt vorzugsweise oder einzig in Höhlen und Grotten gefunden wurden – mehrere Bären, worunter besonders der gewaltige Höhlenbär – die Hyäne, der Tiger, der Panther der Höhlen – Alles von den jetzigen Arten verschieden und, wie es scheint, vollkommen ausgestorben. Aber mit den ausgestorbenen Raubthieren lebten auch noch fest im Norden vorkommende, der Luchs, der Vielfraß, der Wolf, oder bei uns noch einheimische, wie der Fuchs, der Igel, der Maulwurf. Alle diese Raubthiere nährten sich von Nagern, Wiederkäuern, Dickhäutern, bei welchen ähnliche Verhältnisse vorkommen, indem einige Arten ganz ausgestorben, andere nur ausgewandert, andere noch an denselben Orten wohnhaft und einheimisch sind. Ausgestorben sind Arten von Biber, Hase, Eichhorn, Wühlmaus; der irische Riesenhirsch, von welchem man in einzelnen Torfmooren ganze Skelete fand, als sei das Thier dort eingesunken; der Riesendamhirsch, Antilopen, Steinböcke, Ochsenarten, Elephanten, Nashörner, Flußpferde und Mastodonten, während das Rennthier, der Lemming, der Auerochs, das Elen ausgewandert sind und Gemse, Steinbock, Murmelthier, Mufflon, Stachelschwein und andere Arten noch in unseren Gegenden wohnen, aber theilweise sich auf hohe Gebirge zurückgezogen haben, deren Klima dem der nordischen Länder entspricht.

Man kann diese Periode die Periode des Höhlenbären nennen, da dieser wohl am häufigsten vorkommt und seine Zähne besonders leicht kenntlich sind.

Der Mensch fand also eine mit Wild reich besetzte Tafel vor, sobald er sich nur der Thiere bemächtigen konnte.

Es ist in der That wahrscheinlich, daß er sich vorzugsweise von Fleisch nährte, denn man hat nur sehr wenige Pflanzenreste, die ihm zur Nahrung gedient haben könnten, gefunden. Das Feuer kannte er jedenfalls, Asche und Kohlen haben sich überall an seinen Nahrungsstellen gezeigt, zuweilen mochte wohl ein platter Stein als Heerd dienen. Er kratzte das Fleisch sorgfältig von den Knochen, die häufig Spuren dieses Abkratzens tragen; er nagte an den jungen Knochen die Gelenkknorpel ab bis auf das Bein; er spaltete die langen Knochen, um das darin enthaltene Mark zu genießen, er öffnete den Schädel, um das darin enthaltene Gehirn zu verzehren. Also ein Jägerleben. Das Fleisch wurde wohl auf heißen Steinen geröstet oder auch an Spießen gebraten; gewiß aber nur in geringem Grade, denn es finden sich kaum Knochen, welche einigermaßen vom Feuer ergriffen oder verkohlt wären. Das Jagdthier zu erlegen und mit höchst mangelhaften Werkzeugen zuzubereiten, kostete gewiß zu viel Mühe und Anstrengung, als daß der Mensch nicht im äußersten Grade sparsam mit der schwer erbeuteten Nahrung hätte umgehen sollen.

Die Instrumente und Waffen, deren sich der Mensch in dieser ersten Zeit bediente, waren äußerst mangelhaft. Feuersteinkiesel und Knollen wurden mit anderen Steinen so gespalten und dann später langsam und mühselig durch leichtes Behauen zugeschärft, daß sie eine unregelmäßige Schneide erhielten und nun theils als Waffen, theils als Messer benutzt werden konnten. Je nach der Form und Größe haben die Alterthumsforscher diese bearbeiteten Steine Aexte oder Messer genannt. Außerdem dienten noch Bärenkiefer mit abgebrochenem Ende und vorstehenden Backzähnen als Waffen, vielleicht auch als Instrumente zum Bearbeiten der Erde; Geweihstücke der Hirsche, besonders die Augenzinken, die mit dem daran befindlichen Stamme einen Haken oder sonst eine Waffe darstellten; endlich zugespitzte Holzstücke, die wohl als Piken dienen konnten. Bis jetzt hat man keine Spur von Wohnungen oder Gräbern aus dieser Periode gesunden; die Knochen liegen kunterbunt zwischen den Thierknochen und in den Anschwemmungen; die Steinäxte an den Orten, wo sie aus den Kieseln der Kreide und den Feuersteinknollen herausgeschlagen wurden. Die Steinäxte und Messer haben offenbar mehr zufällige Formen, die aus der Spaltbarkeit des benutzten Kiesels hervorgingen; man suchte ihnen dann eine Schneide oder Spitze zu geben, indem man an den geeigneten Rändern kleine Stücke absprengte. Niemals zeigen die Aexte aus dieser Periode eine weitere Bearbeitung, Schleifung oder Politur, wie später, sie sind nur roh ausgeschlagen. Auch Bruchstücke eines rohen Töpfergeschirrs, Thon mit Sand und kleinen Kieselstückchen zusammengeknetet und an der Sonne oder im Feuer getrocknet, aber nicht gebrannt, findet man hier und da. Offenbar konnten diese porösen Gefäße höchstens zum Auffangen von Flüssigkeiten, nicht aber zum Kochen dienen.

Sie waren also ärmer als Robinson, diese Menschen, ärmer in doppelter Beziehung, weil sie niemals etwas Besseres gekannt hatten, und dann, weil Robinson doch einige Bruchstücke der Cultur aus seinem gestrandeten Schiffe gerettet hatte.

Außer ihren rohen Instrumenten haben diese Menschen auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_639.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)