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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Gesang und Musik“. Die Theaterzettel der Bühne zu Niederndorf sind noch in alter Weise geschrieben und zwar mit all den orthographischen Kennzeichen einer ländlichen Feder; die strebsamen Histrionen von Erl dagegen ließen sich die ihrigen auf gelbes Papier nicht unzierlich drucken. Darauf ist zu lesen, daß sich die Theatergesellschaft entschlossen habe, heuer aufzuführen: „Mangolf von Rottenburg, oder: Der Kampf um Mitternacht. Ein großes Ritterschauspiel mit Geister- und Schlachtenvorstellungen, auch Musik und Gesang in fünf Aufzügen.“ Der Anfang war auf zwei Uhr Nachmittag festgesetzt; die Dauer auf vierthalb Stunden.

Auch historische Merkwürdigkeiten sind hier viele zu finden, aus der Römerzeit und aus dem Mittelalter. Ein gar wunderbares Oertlein ist das alte Neubeuern, ein räthselhafter Flecken. Es liegt auf der rechten Seite des Inns, fast außerhalb des Verkehrs der Menschenwelt, denn die Landstraße nach Tirol zieht sich auf der linken Seite dem Strom entlang und die junge Eisenbahn befolgt dieselbe Richtung. Früherhin gingen oft Jahre vorüber, ehe den einsamen Bewohnern ein fremdes Menschengesicht entgegentrat, wenn es nicht etwa ein wandernder Scheerenschleifer oder ein versprengter Handwerksbursche gewesen. Jetzt treibt der mächtige Trieb der Sommerfrischler, sich gegenseitig auszuweichen, wohl auch hin und wieder einen Culturmenschen in das öde Nest.

Der alten Veste Neubeuern gegenüber, am linken lebendigen Ufer des Stroms, erhebt sich das alte Schloß von Brannenburg und das gleichnamige Dorf. Ersteres, das schon mancherlei Herren gesehen, ging vor etwa zwanzig Jahren durch Kauf an den italienische Marchese Pallavicini über, der sich hier so sehr gefiel, daß er eine glänzende Erneuerung der alten Burg zu unternehmen beschloß und diese auch fast zum Ziele führte, bis allerlei Verdrießlichkeiten mit den Eingeborenen ihm den Besitz verleideten, so daß er ihn jüngst an eine württembergische Gesellschaft veräußerte, welche eine wissenschaftliche Ausbeutung der schönen dazu gehörigen Wälder vorhaben soll – eine Absicht, die nicht Jedermann zu Gefallen ist, am wenigsten den Malern, denen jetzt oft der Gegenstand ihrer Baumstudien fast unter dem Pinsel weggehauen wird.

Dieses Brannenburg genießt schon seit Jahrzehnten den Ruf einer besonderen Annehmlichkeit. Die sanfte Erhebung, auf welcher es erbaut ist, gewährt den meisten der zierlichen Häuser eine malerische Lage, die schönen dichtbelaubten Baumgruppen verleihen dem Orte im Sommer lieblichen Schatten, und die mancherlei Ausflüge, die sich von hier aus unternehmen lassen, erheitern das Leben der Sommerfrischler. Auch ein Wirthshaus steht in dem Dorfe, das von langen Jahren her als gut und wohlfeil bekannt ist und deshalb schon viele berühmte und unberühmte Leute unter seinem Dache gesehen hat. Vor allen haben die Münchner Maler daselbst, wie früher auf Frauenchiemsee, gleichsam eine Gerechtigkeit, das gastliche Haus als ihr eigenes zu betrachten und darin ihr fröhliches Wesen zu treiben nach Herzenslust. Davon werden wir erst am Schlusse noch Einiges erzählen dürfen.

In diesem Dorfe ging nun eine gar lebhafte und malerische Scene vor, gerad’ als wir heuer dort einrückten, dieselbe Scene, welche die kunstreiche Hand des Herrn Theodor Pixis für die Gartenlaube gezeichnet hat. Es war eben Fronleichnamstag und wir kamen just recht, die große Procession an uns vorübergehen zu sehen, bekanntlich die höchst gefeierte der katholischen Christenheit. Sie fällt immer auf den Donnerstag nach dem Dreifaltigkeitssonntag, entweder in die letzte Hälfte des Mai oder in die erste des Juni, also in die Zeit, wo das Jahr am schönsten ist. Am Vorabend schon eilt die Jugend des Dorfes in die üppigen Fluren hinaus und pflückt die Blumen des Frühlings, um sie auf den Pfad zu streuen, den das „hochwürdige Gut“ in der Hand des frommen Kirchenhirten dahinwandeln wird. Auch der Birkenwald muß seine jungen Sprossen hergeben, um das hohe Fest zu schmücken. Mit den laubigen, wehenden Bäumen werden die Wände der Pfarrkirche und die Häuser verziert, an welchen der Zug vorübergeht. Auf dem Lande ziehen diese Processionen durch Feld und Wald, über Berg und Thal auf längst bestimmten Steigen, über welche schon die Processionen der Urväter geschritten. Von Alters her sind denn auch in jeder Gemeinde vier Orte ausgezeichnet, wo die wandernde Andacht sich zur Ruhe setzt und etwas auspustet. Solche Orte nennt man Evangelien, und es werden dieselben an diesem Tage mit tragbaren Feldaltären zum Gottesdienste zierlich zugerichtet. Meist ist es eine alte Linde oder ein anderer ehrwürdiger Baum, in dessen Schatten das Evangelium celebrirt wird. Das Gewicht der Sache liegt aber darin, daß der Herr Pfarrer, in seinem schönsten Ornate, nachdem sich der Zug gestellt hat und das Volk auf den Knieen liegt, vom Feldaltare herab ein Stück aus dem Evangelium, z. B. den Stammbaum Jesu Christi, singend vorträgt. Alles lauscht den feierlichen lateinischen Klängen, und wenn sie zu Ende, ertönen die Böller, die Blechmusik fällt ein, die Rauchfässer hauchen ihre wohlriechenden Dämpfe aus. Der Gebirgsschützenhauptmann, dessen Compagnie heute in höchster Gala ausgerückt, läßt sein kriegerisches Commando erschallen, und so wallt der lange Zug dahin bis zum nächsten Evangelium und zwar immer mit lautem, wenn auch gedankenlosem Gebete und mit hellem Gesange der Schuljugend und der ländlichen Bassisten, die der Lehrer im Hymnenvortrag eingeübt.

Hoch darüber wehen im Winde die Kirchenfahnen, kleine, meist rothe Wimpel an himmelhohen bemalten Stangen, welche zu tragen, wenn die Luft nur etwas bewegt, eine wahre Herculesarbeit für die rüstigsten Leute der Gemeinde ist. In vielen Dörfern besteht auch unter dem Vorsitz des Kaplans ein Jungfernbund, dessen Gelübde aber für die Genossinnen nicht sehr drückend sind. Es versteht sich von selbst, daß an solchen Tagen auch der Jungfernbund in die Erscheinung tritt und zwar in seiner ganzen Lieblichkeit. Die Mädchen tragen dann im blonden Haare duftende Blumenkränze und sind sämmtlich in die Farbe der Unschuld gekleidet. Sie gehen paarweise mit gesenkten Augen, etwa einen Lilienstengel in der Hand, vor dem hochwürdigen Gute einher. Den kräftigsten unter diesen Jungfrauen wird auch die Ehre zu Theil, die Heiligenbilder zu tragen.

Auf jedem Altar in der Kirche – es sind deren gewöhnlich drei – steht nämlich Jahr aus Jahr ein ein hölzernes Bild, welches an solchen Tagen herabgenommen, auf eine Tragbahre gesetzt und so den zarten Schultern der weiblichen Jugend überantwortet wird. Am herrlichsten prangen die Bilder der Gottesmutter, welche in ihrer prächtigsten Feiertagstoilette, mit Seidendamast in Goldbrocat geputzt, über den Häuptern der tragenden Mädchen majestätisch einherschwebt.

Alles dieses aber, was wir bisher beschrieben, zusammengefaßt, ergiebt eine Augenweide, deren Reiz sich selbst der eingefleischteste Ketzer nicht entziehen kann; viel eher wird er zugestehen, daß eine solche Procession für eine Alpenlandschaft die farbigste Staffage ist, die sich erdenken läßt.

Es war ein prächtiges Bild, das sich uns bot. Vor uns zunächst der Kirchthurm und die Vorhalle des Gotteshauses, diesen gegenüber aber die Fenster und die hohen Mauern des Schlosses. In der Ferne glänzt der Inn und über diesem erhebt sich als eine Veste aus dem Mittelalter das Schloß von Neubeuern und der weithin gesehene Römerthurm. Aus der Dorfkirche tritt soeben unter dem Baldachin der ehrenwerthe Herr Pfarrer, im goldenen Rauchmantel, der das hochwürdige Gut, eine goldene Monstranz mit der heiligen Hostie, weihevoll in beiden Händen hält. Vor ihm geht ein andrer Diener der Kirche, der ein Crucifix trägt. Um ihn herum reihen sich die sittsamsten Knaben des Dorfes, heute im weißen Chorhemde, wohl geübt, das Rauchfaß zu schwingen, die Klingel zu schellen und lateinisch zu ministriren. Das Publicum ist, mit einer später zu besprechenden Ausnahme, nur ein andächtiges. Doch sind die Männlein und die Weiblein, die hier betend umherstehen und auf die Kniee gesunken, meist herzugewandertes, mitunter auch fremdes Volk; denn die Eingebornen erscheinen an solchen Tagen möglichst vollzählig unter den Bittgängern, um dadurch die Länge und die Pracht des Aufzugs zu vermehren. Der würdige Landmann, der dort oben mit gebeugtem Haupte seiner Andacht pflegt, ist also sicherlich ein Bergbauer, der seinen entlegenen Hof in der Höhe am dämmernden Morgen verlassen hat und voll hausväterlichen Pflichtgefühls bald wieder zu seinen Kleinen zurückkehren will, obgleich es sich öfter ereignet, daß er vor der offenen Thür des Wirthshauses seine guten Vorsätze wieder vergißt und der harrenden Gattin erst am späten Abend in rosigster Sonntagslaune in die Arme sinkt. Der erwachsene Sohn, der zu seiner Seite steht, bleibt vielleicht noch etwas länger an jenem freudenreichen Orte, dem er der großen Entfernung halber nur so selten seine Aufmerksamkeit bezeigen kann; leicht möglich, daß er nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_646.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)