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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Zuschauer und Zuschauerinnen und eine starke Cavallerie- und Infanterie-Abtheilung, sowie eine Menge kostbar aufgezäumter Pferde erblickten, auf denen vornehme Würdenträger hergeritten waren. Die Schildwachen in Constantinopel halten Niemand auf, der – ohne sie eines Blickes zu würdigen – mit der Miene der Sicherheit einherschreitet. Diese Miene nahmen wir an, drangen glücklich vor bis zur Moschee und erreichten einen sehr günstigen, freilich aber auch äußerst sonnigen Standpunkt.

Vor uns lag ein breites Thor, welches in den Garten und zum Kiosk des Sultans führte. Durch dieses Thor mußte der Beherrscher der Gläubigen eintreten und den ganzen Raum bis zum Eingange in die Moschee durchschreiten. Da wir kaum zwanzig Schritt von dem Eingange entfernt standen, so konnten wir darauf rechnen, unsere Schaulust gehörig befriedigt zu sehen.

Die Moschee an dem süßen Gewässer ist ein kleines, weiß abgetünchtes, viereckiges Gebäude mit zwei ziemlich niedrigen Minarets. Der Eingang für den Sultan besteht aus einem bescheidenen, von zwei Säulen getragenen Porticus aus weißem Marmor, von dessen Fußboden zu beiden Seiten Stufen hinabführen und der so hoch ist, daß er einem Reiter bis an den Steigbügel reicht. Ein schwarzer „Läufer“, d. h. ein schmaler Teppich, kreuzte die weiße Marmorplatte des Porticus und war bestimmt, den Fuß des Sultans gegen die Berührung mit dem kalten Stein zu schützen; aber nur den Fuß des Sultans, keines Andern, denn er allein hat als Groß-Khan der Tatarei das Vorrecht des schwarzen Teppichs.

Es war zwölf Uhr, die Sonne brannte heftig, die Zuschauer mehrten sich; viele wohlbeleibte Türken mit Fez und großen goldenen Epaulettes fanden sich ein; der Sultan erschien nicht. Da spannten unsere Damen, um sich vor den glühenden Sonnenstrahlen zu schützen, die Sonnenschirme auf. Sogleich wurde ihnen aber von den Türken bedeutet, in der Nähe des Sultans dürfe Niemand einen Sonnenschirm öffnen, ja es müsse sogar ein Jeder, der an einem Kiosk des Sultans vorübergeht, den Schirm schließen, selbst wenn sich der Beherrscher der Gläubigen auch nicht in dem Kiosk befinde; denn der Sonnenschirm sei ein ausschließliches Privilegium des Sultans.

Endlich ertönten Commandowörter, die Truppen präsentirten, die Musik schmetterte und in dem Portal uns gegenüber erschien der Sultan, er allein zu Pferde, seine Begleiter sämmtlich zu Fuß. Will der Sultan ausreiten, so werden ihm stets drei Pferde vorgeführt, von denen er sich eins aussucht. Diesmal war seine Wahl auf einen mehr stark als elegant gebauten Grauschimmel gefallen, der unter seiner vornehmen Last gemessen einherschritt.

Der Sultan Abdul Asis, ein schwarzbärtiger Herr in rothem Fez, trug die türkische Generals-Uniform, auf welcher zwei Diamantsterne blitzten. Er zählt dreißig und einige Jahre und ist der Bruder des vorigen Beherrschers der Gläubigen; denn es succedirt in Constantinopel nicht unbedingt der Sohn dem Vater, sondern stets der älteste Prinz des Hauses. Die Stirnen der anwesenden Türken neigten sich vor dem „Schatten Gottes“ bis zur Erde; aber weder von diesen Ehrfurchtsbezeigungen, noch von dem militärischen Gruße der Truppen nahm der Sultan auch nur die allergeringste Notiz. Er blickte weder rechts noch links und schien weder zu hören, noch zu sehen. Er achtete so wenig auf die ihn umgebende Menge, wie Jemand auf die Bäume achtet, der in tiefen Gedanken durch einen Wald reitet.

Sein Gefolge bildeten die Paschas, die Minister und die sonstigen höchsten Würdenträger des Reichs, lauter wohlgenährte Gestalten im Reform-Ueberrock, mit mehr oder minder Goldstickerei auf den Aermeln. Diener sah man nicht; sie stehen zu niedrig, um sich bei solchen Anlässen zeigen zu dürfen. Der ganze Zug war zu beiden Seiten von einer wandelnden Hecke, der Leibwache des Sultans, eingefaßt. Sie besteht aus je zehn schönen Jünglingen der reichsten und angesehensten Familien der verschiedenen Völker, welche unter dem türkischen Scepter leben. Wir bemerkten Aethiopier, Nubier, Aegypter, Beduinen, Araber, Drusen, Kurden, Arnauten, Bulgaren, Montenegriner etc. sämmtlich in ihren mit Gold, Silber, Sammet und Seide prangenden, buntfarbigen Nationaltrachten und mit den kostbarsten Waffen ausgerüstet. Nur die Edlen der Moldau und Walachei, sowie diejenigen Serbiens haben sich noch nicht dazu verstehen wollen, ihre Söhne zu Leibgardisten herzugeben; vielleicht werden aber die Wünsche des Sultans – wenigstens was die Moldau und die Walachei betrifft – durch Vermittelung des Fürsten Cusa erfüllt werden, den man bei seinem Aufenthalt in Constantinopel mit Aufmerksamkeiten überschüttet hat.

In der That, die jetzige Leibwache des Sultans ist allein eine Reise nach Constantinopel werth, denn wo fände man eine ähnliche Musterkarte von Menschenracen, Costümen und Waffen! Die Mannigfaltigkeit der Turbane, die Schneepracht der weißen Burnusse, die Wunderlichkeit der Fußbekleidungen lassen sich ebensowenig beschreiben, wie die vornehmen, unbekümmerten Mienen, die fremden dunklen Augen und die schlanken Urgestalten der edlen Jünglinge. Während wir diese Leibwache mit den Blicken verschlangen, ritt der Sultan langsam an uns vorüber, trat aus dem Bügel auf den schwarzen „Läufer“ und verschwand in der Moschee. Die hohen Würdenträger erstiegen die Stufen zu beiden Seiten des Porticus und folgten dem Sultan, das Betreten des schwarzen Teppichstreifens sorgfältig vermeidend. Zu gleicher Zeit formirten mehrere von den mit goldenen Epaulettes geschmückten Türken vor der Moschee einen Kreis und erhoben ein infernalisches Geheul, welches sie drei Mal wiederholten. Es war dies, wie man uns sagte, das übliche Lebehoch auf den Sultan. Kaum war es verhallt, so rief der Muezzin vom Minaret herab zum Gebet. Auf diesen Ruf begaben sich alle Rechtgläubigen in die Moschee, während es den Ungläubigen überlassen blieb, sich die Zeit bis zur Beendigung des Gebets zu vertreiben. Und es gebrach keineswegs an Unterhaltung. Die Moschee war nämlich so klein, daß sie die Zahl der anwesenden Türken nicht zu fassen vermochte. Die Ausgeschlossenen versammelten sich nun in Reihen vor den geöffneten Thüren, zogen Schuhe und Röcke aus, knieten auf diesen nieder und verrichteten darauf ihr Gebet mit dem üblichen Neigen und Beugen. Zu den Ausgeschlossenen gehörte beinahe die ganze Leibwache. Aber da das Sprüchwort „Jugend hat nicht Tugend“ im Orient eben so wahr ist wie im Occident, so fiel es fast keinem der schönen Jünglinge ein, sich in die Reihen der Knieenden zu drängen. Sie zogen es vor, unter den Zuschauern umherzulungern und sich die fremden Damen anzusehen, denen dies eben recht war. Die Ceremonie in der Moschee hatte ihr Ende erreicht, aber der Sultan blieb gleichwohl in derselben.

„Was zögert der Sultan?“ fragten wir.

„Er zieht sich um,“ lautete die Antwort.

„Für die kurze Strecke von der Moschee zum Kiosk?“

„Er kehrt nicht nach dem Kiosk zurück.“

„Wohin begiebt er sich?“

„Das wird sich finden.“

Wenn der Sultan seinen Aufenthalt wechselt, was gewöhnlich des Freitags nach dem Gebet zu geschehen pflegt, so bezeichnet er den neuen Kiosk nicht eher, als bis er zu Pferde steigt. Bei so bewandten Umständen kann von Vorbereitungen zum Empfange des Sultans nicht die Rede sein, ja der Beherrscher der Gläubigen findet in der neuen Residenz weder etwas zu essen, noch etwas zu trinken. Gleichwohl darf es ihm an nichts von dem gebrechen, woran er gewöhnt ist, sei es in Bezug auf Personen oder Sachen. Es bleibt daher für das lebende und todte Inventar eines aufgegebenen Landhauses nichts übrig, als dem Sultan in das neue zu folgen.

Nichts war uns erwünschter, als zu erfahren, daß Abdul Asis nach dem Gebet den Kiosk an dem süßen Gewässer verlassen und sich nach einem anderen, am Bosporus gelegenen Sommersitze begeben werde; da stand uns der Genuß bevor, sein ganzes Haus, den Harem nicht ausgenommen, an uns vorüberziehen zu sehen. Kein Gläubiger befand sich mehr in der Moschee, der Sultan aber kam nicht und kam nicht.

„Was macht der Sultan?“ fragten wir.

„Er trinkt Kaffee und raucht,“ lautete die Antwort.

Jetzt zeigte sich auf dem süßen Gewässer das reich vergoldete Kaik des Padischa. Es war mit dreißig Ruderern bemannt. Sie trugen den rothen Fez, das weißgelbliche, vorn offene Hemde von durchsichtigem Seidenzeuge, schneeweiße Pumphosen bis an’s Knie und rothe Schärpen um den Leib. Hinter dem Polstersitz des Sultans kauerte ein Neger mit einem großen Sonnenschirm von rothem Sammet.

Gleich darauf erschien Abdul Asis im Fez und dunklem Paletot, ohne jegliches Zeichen seiner hohen Würde, auf dem schwarzen Teppich in der Thür der Moschee. Die Paschas und Minister, unter ihnen auch Omer Pascha, welche sich nach dem Gebet der Thür gegenüber, abgesondert von den Zuschauern, aufgestellt hatten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_649.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)