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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Den Herrn haben Sie mir aber doch wohl in etwas zu dunklen Farben geschildert … den Vetter Florens von Ambotten, der mir ganz und gar nicht wie ein durchtriebener Spitzbube, sondern als die kindlichste und harmloseste Seele von der Welt vorkommt …“

„In der That?“ fiel Allmer mit einem offenbar sehr spöttischen Lächeln ein.

„In der That,“ versetzte Horst nachdrücklich und fast geärgert, „dieser Vetter hat mich versichert, daß mein Besuch in Schollbeck erwartet würde, daß der alte Herr sich freuen werde, mich zu sehen, daß man keineswegs dort so abgeschlossen sei …“

„Dieser Vetter!“ sagte Allmer just mit demselben nicht näher zu deutenden Tone, womit der Vetter früher gesagt hatte: ‚O Allmer!‘ „Nun, es ist ja möglich,“ fuhr er dann kaustisch fort, „daß man in Schollbeck sich gegen Sie anders zeigen wird, als gegen Andere; daß der Alte Ihnen gegenüber seinen Menschenhaß und seine Grämlichkeit ablegt; daß der Vetter seine Eifersucht auf Fräulein Eugenie und seine Neigung zu bösen Streichen und Tücken Ihnen gegenüber verleugnet …“

„Halten Sie ein, Allmer,“ rief hier Horst lachend aus … „dieser Florens von Ambotten sollte Neigung zu Tücken und bösen Streichen hegen, das ist ja ganz unglaublich!“

„Wir werden sehen!“ sagte Allmer ruhig.

Horst schüttelte schweigend den Kopf.

„Es ist unglaublich!“ sägte er noch einmal und ritt dann schweigend neben Allmer her, der diesen Abend die entschiedenste Wortkargheit an den Tag legte.




5.

Es war am andern Tage zwischen elf und Mittag, als Horst, einen zum Groom beförderten Knecht hinter sich, auf die Brücke zuritt, welche den Zugang zum Haus Schollbeck bildete. Als sein Pferd den ersten Schritt auf die Brücke setzte, kam ein großgewachsener Mann, der vor dem Pförtnerhause auf einer Steinbank gesessen und sich mit dem Verfertigen von Krammetsvogeldohnen beschäftigt hatte, herangeschritten, mit der ziemlich barschen Frage: „Wohin wollen Sie?“

„Ich wünsche Herrn von Schollbeck zu sehen!“

„Herr von Schollbeck ist nicht daheim.“

„Nicht daheim?“ wiederholte Horst überrascht.

„Dann wünsche ich dem gnädigen Fräulein gemeldet zu werden.“

„Das gnädige Fräulein ist mit dem gnädigen Herrn … auch nicht daheim!“

„Auch nicht daheim? das ist seltsam; ich habe mich gestern ansagen lassen … gehen Sie doch, um zu sehen, ob sie nicht doch daheim ist, melden Sie Baron Alfred Horst … und wenn das Fräulein wirklich nicht da ist, so melden Sie mich bei Herrn von Ambotten an.“

„Herr von Ambotten ist schon vor einer Stunde mit der Angelruthe ausgegangen …“

„Herr von Ambotten ist mit der Angelruthe ausgegangen?“ rief Horst aus und warf sein Pferd herum … „wahrhaftig, das ist ein wenig überraschend für mich!“

Ein helles Roth des Zornes färbte seine Züge, als er sich zum Heimkehren wendete.

„Gröber,“ sagte er für sich, „kann man freilich nicht abgewiesen werden – wenn man sich ausdrücklich angekündigt hat! Wenn man eingeladen ist, zu kommen! Das Wetter soll diesem heimtückischen, falschen Menschen von Vetter auf den Kopf fahren … so Recht hatte also Allmer, als er mich vor den Leuten warnte und diesen Vetter einen Schelm nannte!“

Horst war in tiefster Seele gekränkt. Es war nicht allein die beleidigende Weise, wie man sein Entgegenkommen aufgenommen, es war mehr als das, es war eine unsägliche Bitterkeit in ihm, daß er von Eugenie’s Schwelle so hochmüthig zurückgewiesen war. Seit er das Mädchen gesehen, hatte er nicht aufgehört, an sie zu denken, er hatte sich in glückliche Träume verloren bei dem Gedanken an sie … er hatte ja ganz allein ihretwegen das kleine Schloß Falkenrieth gekauft, ihretwegen, weil sie seiner gespottet hatte, und noch mehr, weil er sie dort gesehen, weil es für ihn ein auf immer mit dem Gedanken an sie verbundener Gegenstand war. Und jetzt … sagte man ihm bei der ersten Annäherung mit einer fast naiven Rücksichtslosigkeit und Grobheit, daß man ihn nicht sehen und nichts von ihm wissen wolle … es war in der That eine Beleidigung, die sich kaum so ohne Weiteres hinnehmen ließ; es war mehr, als was ein Edelmann vertrug. Horst murmelte einen leisen Fluch zwischen den Zähnen und gelobte sich, wenn er diesem Vetter wieder begegne – nein, er beschloß, diesem Vetter lieber gleich, sobald er zu Hause angekommen, eine Herausforderung zu schicken, auf der Stelle ihm zu zeigen, daß er sich nicht höhnen lasse; und mit der ihm eigenen Raschheit, in der Hitze der Aufregung stachelte er sein Pferd zum Galopp, um nur möglichst bald heimzukommen und seinen Vorsatz ausführen zu können. - -

Eine Stunde später saß die Familie von Schollbeck im Schatten des alten epheuumrankten Thurmes um einen runden Sandsteintisch, umgeben von den blühenden Gesträuchen der Anlagen, die den alten Seitenthurm des Hauses umfingen. Der menschenfeindliche alte Herr von Schollbeck, ein Mann von etwa sechszig Jahren, lag in einem Schaukelstuhl aus leichtem Rohrgeflecht und sah mit gerunzelter Stirn auf seine Tochter Eugenie, die auf einer Bank von Gußeisen Platz genommen hatte und gedankenvoll das Haupt auf den Arm stützte, der auf der Lehne der Bank ruhte. Der Vetter saß ihr gegenüber und zeichnete, wie es schien, eben so nachdenklich mit einer Gerte Figuren in den Sand zu seinen Füßen.

„Du blickst seit einer Viertelstunde vor Dich nieder, Eugenie, und sagst nichts,“ bemerkte der kleine, ziemlich starke und aus seinen hellen Augen unter dichten grauen Brauen her so verdrießliche Blicke werfende alte Herr endlich.

„Was kann ich sagen?“ versetzte Eugenie mit einem traurigen Blicke ihren Vater streifend. „Es ist schlimm, einen bösen Menschen zum Nachbar zu haben … aber was kann man anders thun, als ihm ausweichen? Die Statue ihm ohne Weiteres zurücksenden willst Du nicht …“

„Nein, nein, nein!“ rief Herr von Schollbeck heftig den Kopf schüttelnd aus, „das nicht, das ist unmöglich. Ich bin Allmer schuldig, Alles zu thun, damit Horst nicht erfährt, daß die Statue unter meinen Sammlungen ist … ein Mensch wie er würde Allmer das größte Verbrechen daraus machen, daß er die Statue weggegeben, er würde ihn als ungetreuen Verwalter der Unterschlagung anklagen … ich darf nicht, ich darf nicht!“

Eugenie schwieg. Auf dem Gesichte des Vetters war deutlich zu lesen, daß irgend ein Gedanke in ihm arbeitete, den er nicht aussprach, vielleicht in der Sorge, entschiedenes Fiasco damit zu machen.

„Was willst Du sagen, Florens?“ fragte Eugenie ihn nach einer Pause, in der sie die Züge des Vetters beobachtet hatte.

„Ich meine,“ sagte er jetzt, ein wenig scheu in die Züge des alten Herrn blickend, „wenn wir es heimlich machten …“

„Heimlich – was?“

„Wenn wir heimlich die Statue in Horst’s Haus auf ihre alte Stelle zurückbringen ließen … dann würde er ja zufrieden sein und …“

„Du bist ein Thor, Florens!“ fiel hier Herr von Schollbeck ein; „heimlich … ein Edelmann thut nichts heimlich, und zudem würde das ihn erst recht anstacheln, Nachforschungen anzustellen, und würde Allmer deshalb gefährden!“

„Ja, Allmer!“ sagte der Vetter wieder mit einem ganz eigenthümlichen Tone.

Eugenie legte mit einem freundlichen Lächeln die Hand auf Florens’ Schulter und sah ihn mit einem Blicke an, dessen Sprache der Vetter nicht im geringsten verstand und die in klaren Worten nichts anderes sagte, als: Du Guter, wie wenig ahnst Du, daß die Hauptsache die ist, daß mein Vater lieber sein Leben ließe, als das kostbare Marmorbild, die Perle seiner Kunstschätze oder dessen, was er so nennt!

„Es handelt sich ja auch nicht allein um die Statue,“ fuhr Herr von Schollbeck ärgerlich fort, „es handelt sich um einen Nachbar, der ein böser Mensch ist, der mit Allmer, statt ihm bis an sein Lebensende für das zu danken, was er für die verschuldete Herrschaft gethan, im ersten Zusammentreffen Streit gesucht hat; der dann, sobald er vernommen, daß es Eugeniens und auch mein Lebenswunsch war, Falkenrieth, das unmittelbar an unser Gut stößt, zu erwerben, es uns vor der Nase weggekauft, und der uns endlich um eines Paars verlaufener Rinder willen mit allen möglichen gerichtlichen Chicanen bedroht … um all’ den Verdruß, der uns noch von ihm bevorsteht, handelt es sich …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_659.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)