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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

ungehindert hinausfallen und sich mit dem Schimmer des Mondes vermischen, der hell und voll am Nachthimmel schwebte und sein bläuliches Licht außen über die Veranda ergoß, während das gelblichere der Lampe sie innen erfüllte.

Eugenie ging unruhig bewegt in ihrem Zimmer umher. Bald trat sie auf die Schwelle der Glasthür und blickte sinnend in die Sommernacht hinaus; dann wandelte sie in ihrem Zimmer auf und ab, dann setzte sie sich an den runden Tisch in der Mitte und stützte die Stirn auf ihre Hand. Schwere und beängstigende Gedanken arbeiteten unter dieser Stirn und ließen ihre Brust unter rascheren Pulsschlägen wogen. Sie dachte an Allmer … sie suchte nach voller Klarheit über ihr Gefühl für diesen Mann, der seit einer Reihe von Monaten um sie warb; der es verstanden hatte, ihres Vaters stillschweigende Genehmigung für diese Bewerbung zu erlangen; der sich mehr als die Rechte eines Nachbars in ihrem Familienkreise errungen; der von dem Tage an, wo er des Alten Herz durch die Statue gewonnen, sich mit seinem Umgang, mit seinem Rath in Haus Schollbeck unentbehrlich gemacht; den sie wegen seiner männlichen Eigenschaften, seiner Energie, seiner Kenntnisse achtete; dessen gehaltenes Wesen sie anziehend gefunden und den sie zuletzt … lieben? nein, fürchten gelernt!

Fürchten … das war es; sie fürchtete ihn, seine Nähe hatte eine magische Gewalt für sie, die Luft wurde ihr schwer und drückend wie eine Gewitterluft, wenn er kam, und wenn sie seine Blicke auf sich gerichtet wußte, war es ihr, als ob sie diese Blicke fühlen könne wie eine beängstigende Last. Und niemals war sie sich über dies Gefühl bewußter geworden, als seit einigen Tagen, seit ihre Gedanken sich mit dem jungen Manne beschäftigt hatten, den sie im Schloß Falkenrieth gesehen, mit dem sie sich so viel beschäftigt hatten, dem sie mit lebhafter Sorge gefolgt waren auf seiner leichtsinnigen geldlosen Künstlerfahrt … und als Eugenie dann von der Ankunft Horst’s vernommen und ihr klar geworden, daß ihr Künstler von Falkenrieth und der junge Baron eine und dieselbe Person sei – wie theilnehmend hatte sie da an den armen, alleinstehenden, in ein verlassenes, verödetes Hans zurückkehrenden jungen Mann gedacht, den keine Seele, die ihm nahe stehe, umgab, kein freundlicher Gruß an der Schwelle seines Vaterhauses willkommen heiße, und wie sehr hatte sie verlangt, ihn wiederzusehen, um ihm sagen zu können, daß man in Schollbeck des neuen Nachbars sich freue, daß man so herzlich bereitwillig sei, ihm ein Asyl gegen die Vereinsamung zu bieten; wie hatte sie sich auf das neubelebende Element gefreut, welches in ihr ländlich stilles Dasein kommen werde! Und … für all diese freundliche Beschäftigung mit ihm – wie hatte dieser junge Mann sie belohnt? Wie ein böser Dämon mit lauter Feindschaft und Tücke; es war, als habe er nichts Eifrigeres zu thun gehabt, als alle drei Bewohner von Schollbeck an der empfindlichsten Seite zu verwunden und zu kränken – den Vater bedrohte er durch seine eigensinnigen Nachforschungen nach der Statue, die Allmer dem alten Herrn auf sein Andringen schon vor ein paar Jahren, freilich ohne besondere Befugniß, für eine ganz geringe Summe verkauft hatte und die seitdem des Vaters Augapfel geworden, die der alte von der Sammelwuth besessene Mann nicht zurückgeben konnte, ohne sein Herz dabei brechen zu fühlen; dann hatte Horst Eugenien gekränkt, indem er ihr Falkenrieth geraubt … es war Eugeniens heißester Wunsch, Falkenrieth zu besitzen, sie hatte das ganze Capital, welches sie selbst persönlich aus der Erbschaft ihrer Mutter besaß – zehntausend Thaler – dafür längst geboten und die sichere Hoffnung gehegt, daß, da kein anderer Käufer sich gemeldet, es ihr für diese Summe zugeschlagen würde! Und nun hatte dieser Horst nichts Eiligeres zu thun gehabt, als es ihr für immer und ewig zu entreißen, diese unvergleichliche Perle von einem kleinen Besitzthum, das sie längst als ihr gehörend in Gedanken in Besitz genommen. Und endlich diese letzte abscheuliche Grausamkeit, den armen harmlosen Vetter Florens, diesen unschuldigen Mann mit der Seele eines Kindes, auf Pistolen zu fordern … es war wahrhaft abscheulich. Eugenie war in tiefster Seele empört, sie zürnte diesem Horst nicht, nein, sie haßte, sie verabscheute ihn, und – dachte den ganzen Tag an ihn, vom Morgen bis in die Nacht; sie hätte Alles thun können, um sich an ihm zu rächen, ihn zu bestrafen – sie hätte Allmer ihre Hand reichen können, wenn sie gewußt, daß ihn das ärgere, stachele – aber ach, das, gerade das hätte ihn gewiß am wenigsten geärgert!

Sie stand wieder auf; sie trat auf die Schwelle der Glasthür und dann unter die Veranda, und hier lehnte sie sich auf das Geländer und sah in den dunklen Park hinaus. Nach einer Weile wurde Eugenie in ihren Gedanken durch ein Geräusch unterbrochen, das sie unten zu vernehmen glaubte; es war wie ein leiser Schritt und das Knicken eines Zweiges im Gesträuch. Gleich darauf war Alles wieder still.

Aber nein, nur eine kleine Pause hindurch, während welcher sich Eugenie beruhigt gesagt hatte, daß irgend ein Thier, ein Nachtvogel das Geräusch gemacht, war es still, dann tönte der leise Schritt wieder … er kam näher und näher, wurde lauter und fester… Eugenie blickte ängstlich gespannt in das Dunkel der Gebüsche hinunter – eine Gestalt löste sich aus dem Schatten los, es war ein Mann, der geraden Wegs und eilig auf Eugeniens Veranda zuschritt … nun stehen blieb und sich umsah … nun näher kam und Eugenie endlich den Ausruf entlockte: „Florens, bist Du es? Was treibst Du so spät da?“

„Ich bin’s, Eugenie – darf ich zu Dir heraufkommen? Ich möchte Dir etwas sagen.“

„Du darfst kommen … ich will Dir öffnen!“

Sie ging in ihr Zimmer zurück und schloß die Thür wieder auf, die sie für die Nacht schon verriegelt hatte; dann ging sie, die offenstehende Thür, welche in ihr Schlafzimmer führte, anzuziehen. Nach kurzer Weile kam mit möglichst leisen Schritten Florens herein. Als er in den Lichtkreis der Lampe trat, nahm Eugenie wahr, daß er blaß und aufgeregt aussah.

„Was hast Du, Florens, was ist, daß Du so spät da unten umherschweifst?“

„Ich habe ihn gesehen … er stand …“

„Ihn … wen hast Du gesehen?“

„Wen anders, als Horst!“

„Horst?“

„Ja, ihn, soeben!“

„Das ist seltsam,“ fiel Eugenie eigenthümlich erregt von dieser Nachricht ein.

„Er stand wohl eine Viertelstunde und starrte nach Deiner Veranda hinauf. Du lehntest Dich über die Brüstung und blicktest so in derselben Richtung hinaus, daß man hätte darauf schwören können, Du sähest ihn wieder an!“

„Gott weiß, ich hatte keine Ahnung …“

„Ich glaub’ es; er stand ganz im Schatten. Ich weiß auch, weshalb er sich da umtrieb … ich habe ihn schon vor mehreren Stunden beobachtet; er war den Abend gegen Sonnenuntergang drüben auf dem andern Flußufer, auf der Höhe, wo Du die Rasenbank hast anlegen lassen; da saß er, Büchse und Waidtasche neben sich, aber in der Hand hielt er ein Taschenperspectiv und durch das blickte er unverwandt hierher.“

„Hierher, nach unserm Hause?“

„Nach unserm Hause, und in unserm Hause, gerade an der Westseite, ihm gegenüber, standen alle Fenster auf, daß die niedergehende Sonne voll und glänzend hineinschien … just in den Saal, worin Deines Vaters Sammlungen aufgestellt sind.“

„Du meinst doch nicht …“

„Er müßte blind gewesen sein, wenn er sie nicht gesehen hätte, und blind war er nicht, wahrhaftig nicht, und zudem hatte er ein Perspectiv, das er gar nicht vom Auge brachte!“

„O mein Gott,“ sagte Eugenie erschrocken, „dann hat er gewiß, ganz gewiß die Flora gesehen, und wir sind in seinen Augen auf’s Fürchterlichste bloßgestellt!“

„Das sind wir,“ sagte Florens seufzend.

„Das ist schrecklich!“

„Und schrecklich wird der Lärm sein, den dieser böse Mensch nun erheben wird,“ fuhr Florens fort, „er wird einen Scandal machen, der Allmer ruinirt und auf Deinen Vater das übelste Licht wirft!“

„Es ist ganz entsetzlich!“ rief Eugenie aus, vor Aufregung außer sich.

„Wenn nur Dein Vater an der unseligen Statue nicht so sehr hinge …“

„Dann sollte man sie in den Fluß schleudern, wo er am tiefsten ist.“

„In der That, ich gäbe viel darum, wenn sie da läge,“ sagte Florens.

„Aber wozu ist er jetzt eben in unserm Park so dicht an unserm Hause gewesen? … kannst Du Dir das deuten, Florens?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_674.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)