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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

haben wir kein Mittel. Wir … in unserem gegenseitigen Verhältniß wenigstens nicht! Wär’ es anders, Fräulein Eugenie … wäre nicht dies räthselhafte Mißtrauen, dieser unverdiente Abscheu, welchen Sie mir beweisen … so wäre es vielleicht nicht so; so wäre eine Möglichkeit, daß wir uns über ein Rettungsmittel verständigten!“

Eugenie blickte ihn fragend an, mit einem wahrhaft hülfeflehenden Blick. Horst war grausam genug, diesen Blick nicht zu beachten, ihn nicht zu beantworten. Er sagte nur: „So aber kann nicht die Rede davon sein! Nehmen Sie immerhin an, daß ich zu stolz bin, nur davon zu sprechen. Wir können nichts thun, als warten, bis man unruhig um unsertwillen wird, bis man uns sucht, bis man das ganze Haus durchstreift hat und endlich auch in diesen Thurm gelangt.“

„O mein Gott, das ist ja ganz entsetzlich!“ machte Eugenie ihrem Jammer in einem wahren Angst- und Entsetzensschrei Luft.

„Wenigstens eine kleine Geduldprobe,“ sagte Horst ruhig. Dann nahm er das am Boden liegende Buch auf, blätterte darin und setzte sich bequem auf den Boden nieder, den Rücken gegen die Wand lehnend.

„Wollen Sie mir erlauben, daß ich mir mit Ihrem ‚Pferde des Phidias‘ die Zeit ein wenig vertreibe?“ sagte er.

Sie nickte leis mit dem Kopfe, offenbar überrascht und verwundert ihn anstarrend.

Horst begann anscheinend ganz ruhig zu lesen. Von Zeit zu Zeit schielte er freilich ganz unmerklich über die Blätter zu Eugenien hinüber. Sie stand, sich wie müde an die Wand lehnend, halb abgekehrt von ihm, die Arme über der Brust verschränkt, die Blicke auf den Boden geheftet. Von Zeit zu Zeit schweiften diese Blicke verstohlen zu Horst hinüber … immer fragender, immer häufiger, immer sprechender.

Horst schien immer tiefer in seine Lectüre versunken.

Nach einer langen Pause machte sie eine Bewegung, die ihn aufzufahren zwang; sie schlug die Hände zusammen, sie rief wie mit dem Tone einer zornigen Verzweiflung, wie aus tiefster Brust: „O mein Gott, ich möchte sterben!“ Und dann stieß sie mit der Stirn an die Wand, und blieb in dieser Stellung, Horst halb den Rücken zukehrend.

Der junge Mann ließ jetzt die Vorspiegelung, als ob er lese, fallen; er legte das Buch sanft in seinen Schoß und hielt die Blicke auf Eugenie geheftet. Es war, als ob er auf etwas harre … der Ausdruck gespannter Erwartung lag in seinen bewegten Zügen. Aber die Erwartung schien sich nicht erfüllen zu wollen. Eine lange Pause verging, worin Eugenie so stumm und regungslos dastand, wie es je die marmorne Statue der Flora gethan. Eine Viertelstunde verstrich so. Da endlich regte die Statue sich … sie blickte plötzlich um sich, Horst hatte kaum Zeit, das Buch wieder aufzugreifen.

„Ich begreife nicht, wie Sie so ruhig lesen können,“ sagte sie unwillig, „mir ist es nicht möglich, länger in dieser Lage auszuhalten … meine Kniee tragen mich nicht länger …“

„Lassen Sie sich nieder, wie ich es that. Was wollen Sie … man muß sich in die Nothwendigkeit zu fügen wissen! Wünschen Sie das Buch vielleicht zurück?“

„Und doch,“ versetzte Eugenie, ohne diese Frage einer Antwort zu würdigen, „doch sagten Sie vorhin, es gäbe ein Mittel, Hülfe herbeizurufen…“

Ueber Horst’s Züge flog ein Ausdruck von Genugthuung bei diesen Worten Eugeniens.

„Allerdings,“ versetzte er lebhaft. „Es giebt eins. Aber besorgen Sie nicht, daß ich es Ihnen vorschlagen werde!“

„Besorgen …“

„Ja,“ fuhr Horst in demselben Tone, der etwas von Vorwurf und etwas von tiefem Gekränktsein hatte, fort. „dies Mittel setzt ein freundliches Einvernehmen voraus, und Sie haben mir hinlänglich angedeutet, wie vermessen es von mir sein würde, ein solches zwischen uns je zu hoffen! Ich würde Sie beleidigen, wenn ich mein Mittel nennte, und das ist nicht im Entferntesten meine Absicht. Ich bin ohnehin zerknirscht genug, daß meine Unbesonnenheit Sie in diese Lage gebracht hat; ich werde mir meine Unvorsichtigkeit nie verzeihen!“

Eugenie sah ihn fragend und mit einem Ausdruck an, der ganz und gar nichts mehr von dem früheren, halb zornigen, halb angstvollen Gereiztsein verrieth. Es lag im Gegentheil etwas wie ein rückhaltloses Hülfeflehen darin.

„Haben Sie denn kein Erbarmen mit mir?“ sagte sie nach einer Pause leise, mit zitternder Lippe.

„Gewiß, das größte … um so mehr, da ich ganz fühle, wie entsetzlich Ihnen dies Eingeschlossensein mit einem Manne sein muß, der sich, Gott weiß weshalb, in so hohem Maße Ihre Ungnade, Ihren Haß, Ihr unbegrenztes Mißtrauen zugezogen hat. Sie haben mir das Alles aber so unverhüllt und rückhaltlos gezeigt, daß ich es als völlig fruchtlos und überflüssig betrachten muß, dagegen anzukämpfen, und statt mein Rettungsmittel zu nennen, lieber der Zeit überlasse, uns zu befreien, und unterdessen zum ‚Pferde des Phidias‘ zurückkehre.“

„Der Zeit,“ rief Eugenie aus, „aber, mein Gott, wie lange kann es währen … die Wärtersleute drüben sind daran gewöhnt, daß ich stundenlang in Falkenrieth sitze und da lese, Briefe schreibe, arbeite … vor Abend würden sie vielleicht nicht auf den Gedanken kommen, nach mir zu sehen, zu suchen!“

„So müssen wir bis Abend warten,“ sagte Horst mit einem Seufzer und legte sich ruhig auf die Seite, den Kopf auf den Arm stützend.

„Ich sehe,“ antwortete Eugenie, „Sie verlangen, ich soll Sie um Verzeihung wegen meines Betragens bitten … das ist es, was …“

„O nein, nein, nein!“ fiel Horst lebhaft, sich aus seiner Stellung erhebend, ein, „nicht das ist es, was ich verlange.“

„Und was verlangen Sie denn?“

„Nichts. Gar nichts. Die Welt, in welche ich hier gerathen bin, hat mir so wenig freundliches Entgegenkommen gezeigt, sie hat so rasch die froheste Hoffnung, mit der ich das Haus meiner Väter wiederbetrat, zerstört, daß ich beschlossen habe, sie sehr bald wieder zu verlassen. Wenn man mich zurückstößt, so bin ich zu stolz, noch einmal wiederzukommen. Ich werde dahin zurückgehen, wo ich zwar keine Beschäftigung und keinen Zweck mehr habe, aber wenigstens unter Menschen bin, die mir freundlich gesinnt sind!“

Horst ließ, nachdem er dies mit einem offenbaren Ausdruck von Trauer und Schmerz gesprochen, den Kopf wieder auf seine Hand sinken.

„Aber, mein Gott,“ sagte Eugenie mit einem Tone sehr großer Ueberraschung, „weshalb sollten Sie solche Menschen nicht auch hier finden, wenn Sie selbst ihnen in einer Weise entgegenkommen, die zeigt, daß Sie Werth auf eine solche Gesinnung legen?“

„Habe ich etwa das Gegentheil gezeigt?“

„Nun, ich meine doch … wenn Sie damit beginnen, meinen armen harmlosen Vetter erschießen zu wollen …“

„Das ist ein Vorwurf, der vielleicht mich trifft; vielleicht habe ich in dem Punkte Unrecht gehabt. Aber Sie wissen nicht, wie tief verwundet ich mich fühlte. Ich hatte seit Tagen nur noch für den einen Augenblick gelebt, wo ich Sie wiedersehen würde. Ich hatte Alles überhört, was mir mein Administrator von der Unzugänglichkeit Ihres Vaters erzählt …“

„Was Allmer Ihnen erzählt von der Unzugänglichkeit meines Vaters?“ unterbrach ihn lebhaft Eugenie.

„Nun ja,“ fuhr Horst fort, „ich glaubte zu wissen, daß Sie mich freundlich empfangen, mit Theilnahme den rückkehrenden Nachbar in seiner Heimath begrüßen würden, aus der er so lange verbannt war … ein einsames Herz, das verlassen allein steht in einer kalten, öden Welt, hat solche Hallucinationen, mein gnädiges Fräulein; und nun wurde ich in rücksichtsloser, grober Weise zurückgewiesen … und das, das empfand ich tief, sehr tief, mehr als ich es Ihnen heute sagen mag; daher ließ ich mich hinreißen zu etwas, das … nun, dessen Beurtheilung ich Ihnen preisgebe!“

Eugenie hörte Horst’s Worten zu mit einem Ausdruck der unverstelltesten Verwunderung.

„Aber um’s Himmelswillen,“ sagte sie, „wenn Sie Werth auf die Art, wie ich Sie in Ihrer Heimath begrüßte, legten, weshalb kauften Sie dann Falkenrieth?“

„Weshalb ich Falkenrieth kaufte? Nun, weil es mir gefiel … mehr noch, weil ich davon in Ihrer Gegenwart bei unserm ersten Zusammentreffen hier gesprochen und ich Ihnen nicht als ein Charakter erscheinen wollte, der unbedacht Vorsätze faßt, die er später nicht ausführt, und mehr noch aus einem Grunde, den … den ich Ihnen nicht gestehen kann …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_691.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)