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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Ging doch unser König ihr mit dem besten Beispiel voran. Als er vor zwei Jahren die Rundschau im Leipziger Regierungsbezirk hielt, widmete er den Heine’schen Etablissements einen ganzen Tag. Diese Auszeichnung hat Manchem über die eigentliche Bedeutung des Mannes erst die Augen öffnen müssen!“

„Ist die Nothwendigkeit solcher Augenöffnung auch an sich ebenso beklagenswerth als ihr Gelingen für die Zukunft erfreulich, so hat dies wenigstens bis jetzt dem armen Plagwitzer Weg nicht weiter geholfen.“

„Ja, der Plagwitzer Weg!“ erscholl es im langgedehnten Unisono über das ganze Boot.

„Welche absonderliche Bewandtniß hat es denn damit?“

„Wie Allen wohl bekannt, hat unser Heine sich in Leipzig große Grundbesitzungen geschaffen und in Plagwitz erworben, wie wir ja in einer halben Stunde selbst sehen werden. Es mußte ihm nun darum zu thun sein, Leipzig und Plagwitz, das er durch die erste Leipziger Dampfschifffahrt verbunden hat, auch durch einen Landweg auf kürzester Strecke zu verbinden. So weit Heine auf eigenem Gebiet von Leipzig und Plagwitz aus dies ausführen konnte, ist’s geschehen, auch eine Brücke gebaut, unter welcher selbst beim höchsten Wasserstand seine Schiffe und Boote passiren. Dazwischen liegt jedoch städtisches und Universitäts-Eigenthum – und darüberweg darf bis heute nur der Fußweg führen, den wir soeben linker Hand dem Ufer sich nähern sehen und von dem aus uns abermals der fröhliche Gruß einer Völkerwanderung unter Regenschirmen entgegenjubelt!“

„Hoch! Hoch! Wiederum Böller, Fahnen, Blumen. Wie wimmelt es jetzt von Kähnen um die Boote, und dazwischen schlüpfen die langen schlanken ‚Grönländer‘ dahin, eine rüstige Gesellschaft ‚Leipziger Seeleute‘, welche richtige Grönländer Gondeln in Gebrauch haben. Welch ein Fest! Aber wie nöthig auch, um unsern Heine die Schmerzen des Plagwitzer Weges auf Augenblicke vergessen zu machen.“

„Da kommen wir zum Hochzeitswehr – rechts dort! Das weiß auch von einem Stück Heine’scher Arbeit zu erzählen. Heine hatte bis 1862 zur Entwässerung der Leipziger und Plagwitzer Grundstücke circa 9000 laufende Ellen Schleußen, theils aus Thonröhren, theils aus Backsteinen bestehend, angelegt, das fehlende Gefälle aber durch unter dem Grunde der Elster angelegte mächtige eiserne Ducker ermöglicht.“

„Diese Riesenarbeit war hier mit besonderer Schwierigkeit auszuführen, denn der Stadtrath machte es Heine zur Bedingung seiner Concession zu diesem Bau, daß die Duckers hier groß genug seien, um künftig sämmtliche Schleußen der südwestlichen Vorstadt von Leipzig aufzunehmen, weil für sie keine andere Entwässerung möglich sei. Diese Bedingung vertheuerte die Arbeit um etliche tausend Thaler, vor denen die Stadtcasse gerettet war.“

„O die Stadtcassenfanatiker! So nennt sie Heine, – und doch gehen die Herren vom Rath nicht auf ein Anerbieten ein, wie es sicherlich noch kein Bürger seiner Stadt gemacht hat. Hören Sie Heine’s eigene Worte. Da habe ich sein jüngstes Schriftchen, es sind ‚Betrachtungen über die Elster-Regulirung bei Leipzig‘, vom Mai 1864, und da heißt es: ‚Ich habe dem Rathe der Stadt Leipzig das Anerbieten gemacht, auf meine Kosten ein großes Wehr zu erbauen, um die Hochwasser an der Westseite der Stadt Leipzig abzuführen, für welche Arbeit mich die Trockenlegung eines mir gehörigen Areals von nur zwanzig Acker entschädigen soll. Dabei habe ich, als Nebenproduct dieser Vorschläge, einen mit Händen greifbaren, sofortigen Gewinn von etwa 80,000 Thalern für die Stadtgemeinde nachgewiesen und die Trockenlegung von etwa sieben Millionen Quadratellen Fläche zugesagt, deren kleinster Theil in kürzester Zeit ein Vermögen von einer Million Thaler für die Stadtgemeinde und etwa 300,000 Thaler für die Universität repräsentiren muß, ganz abgesehen von den Vortheilen für die Verkehrsverhältnisse der Stadt überhaupt. Für alle diese Vortheile habe ich nichts verlangt, als eine Wasserkraft, die der Stadt gegenwärtig beinahe mehr kostet, als sie einbringt, wenn man die Wehre auf dem Mühlenconto bucht, wohin sie doch gehören. Ich habe dabei die Beseitigung aller dem Unternehmen etwa entgegenstehender Berechtigungen übernommen, welche als wirkliche Rechte Dritter nachgewiesen werden; ich habe mich dabei ferner selbstverständlich der competenten Strompolizeibehörde untergeordnet und beanspruche die gedachte Wasserkraft nicht eher, als bis ich die Wahrheit der von mir in Aussicht gestellten Erfolge durch factische Herstellung wirklich erwiesen habe. Aus Rücksicht auf das von den Herren Technikern (einer Regulirungs-Commission) seit zehn Jahren bearbeitete Regulirungswerk fanden meine billigen Vorschläge bisher keine Berücksichtigung; auch die einstimmig beschlossenen, auf Annahme meiner Offerte gerichteten Anträge der Herren Stadtverordneten ruhen gegenwärtig in der Hand des Stadtraths zu Leipzig, und ich vermuthe, daß sie lange ruhen werden.‘“

„Ist denn so etwas möglich?“

„Armer Heine!“

„Nichts als Plagwitzer Wege!“

„Amen! Ihr Herren. Die Natur ist hier zu reizend, um sie uns durch den Stadtrath verderben zu lassen. Wie lieblich ist dieses Wäldchen, zwischen dem der Fluß mit heimlicher tiefer Verschwiegenheit seine festliche Last dahinträgt! Sie nennen’s das Ritterspürchen und die tiefste Stelle des Flusses das Ritterloch. Prächtige Hainbuchen und Eichen! Es wird einem hoch und deutsch zu Muthe bei ihrem Anschauen. Verzeihen Sie es mir, wenn es mich gerade hier zu der Frage drängt: Was haben diejenigen Männer Leipzigs, welche sich ihrer Bürgerwürde bewußt sind, bisher für ihren Mitbürger Heine gethan? Haben sie sich nicht damit begnügt, zuzusehen, was ihre Stadtverordneten ausrichten werden, und geduldig mit zu murren, wenn sie nichts ausrichteten? Haben sie sich ermannt zu allen gesetzlichen Mitteln, um durch gemeinsames und einmüthiges Auftreten die Stimme der Bürgerschaft selbst bis zum schwersten Gehör vordringen zu lassen? Nein! – Nicht einmal in der Presse haben sie sich seiner angenommen, auch da, wie überall, dem einen Manne den ganzen Kampf allein überlassen. – Betrachten Sie diese Eichen recht genau! Wer an einem solchen Kampfe keinen Theil nimmt, den soll auch ihr ehrendes Blatt nicht schmücken.“

Lebewohl, Du stiller Wald! Du hast heute keine Macht, die Gemüther der Männer zu beruhigen. Mochten doch viele derselben gerade durch diesen Triumphzug muthiger Arbeit nicht nur von dem Unrecht, das Andere, sondern von dem, das sie selbst durch ihre passive Stellung zu seinen Kämpfen an Heine begangen, recht schmerzlich überzeugt worden sein. –

Vorbei sind wir am Ritterloch. Bald sehen wir links drüben die stattliche Brücke, welche die Grenze zwischen dem Leipziger und Plagwitzer Gebiet bildet, dann noch eine kurze Fahrt und wir verlassen den Fluß, der, nun getheilt, als Luppe und Elster sich der Saale zuwendet, während wir durch ein Schleußenthor in den breiten Plagwitzer Canal einbiegen.

Welch ein Leben! Hier erst ist die ganze Menge der Boote, Barken, Gondeln, Kähne, Grönländer zu überblicken, hier zeigen die hohen ansteigenden Ufer bis zur „Königsbrücke“ am dermaligen Ende des Canals die herbeigeströmte Menschenmasse, hier ist auch das Ziel des Festzugs, der nun die Fahrzeuge aller Art verläßt, um sich in des Festgebers Besitzung, seine stattliche Wohnung mit dem geräumigen und geschmackvollen Park zu begeben, wo Leib und Seele erquickt werden sollen mit Speisen und Freuden.

Wir ziehen es jedoch vor, erst des Mannes hiesige Bau- und industriellen Werke zu betrachten. Bei der Herfahrt im Canal sahen wir zuerst links und rechts am Lande großartige Ziegelfabriken; die Brennerei selbst ist ausgezeichnet durch die rauchverzehrende Construction der Oefen; die an sich einfache Einrichtung befreit die Nachbarschaft gänzlich von den sonst so beschwerlichen Unannehmlichkeiten großer Feuerungsanlagen.

Weiter erblickten wir zur Linken ein Fabrikgebäude mit schlanker Esse. Hier wurden anfangs die langhaarigen sogenannten Halb-Plüsch-Teppiche nach englischer Weise fabricirt; Mangel an Betriebscapital nöthigte, das Etablissement der jetzt einträglicheren mechanischen Stickerei zu widmen.

Am Ende des Canals zur Rechten erhebt sich ein zur Farbeholzbereitung dienendes Dampfsägewerk, das für Leipziger Handelshäuser arbeitet. Alle diese Bauten Heine’s entstanden, während zugleich unter seinen rastlosen Händen aus einem ärmlichen Dorfe ein blühender Ort, der einem Städtchen gleicht, wie durch Zauberkraft emporstieg. Die Unternehmungen in Plagwitz begann Heine in den Jahren 1854 und 1855, und in wenigen Jahren erwarb er sämmtliche Bauergüter des Dorfes mit allen dazu gehörigen Feldern und Wiesen. Er war dadurch in der Lage ohne irgend ein Hinderniß die schönsten und breitesten Straßen anzulegen, die mit Obstbäumen, Linden und Ahorn zu beiden Seiten bepflanzt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_694.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)