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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

nach dem ersten Aufstarren ihren neuen Gebieter da oben in der Thurmlaterne von Falkenrieth entdeckte. Sie lief dem Hause zu und kam im nächsten Augenblick mit ihrem Manne, dem Wärter, daraus wieder hervorgestürzt.

Als die beiden Leute auf der Terrasse vor dem Schlosse waren, rief Horst ihnen hinab, was sie thun sollten. Er warf ihnen den Schlüssel zur Portalthür, den er bei sich trug, in einem geschickten Bogenwurf zu und machte ihnen deutlich, daß sie mit einem schweren Holzstück oder einer Stange wider die Klappe über der Wendeltreppe anfahren müßten, um sie aufzusprengen. Der Mann ging zurück, um einen solchen Gegenstand aufzusuchen, und kam bald darauf mit einem langen Riegelholz wieder; nach fünf Minuten vernahm Eugenie unter ihren Füßen einen formidablen durch die ganze Thurmkappe zitternden Stoß, dann einen zweiten, und die Klappe fuhr krachend aus ihrer Klemme empor. Gleich darauf wurde sie von dem Arm des Wärters ganz aufgehoben, und der Oberkörper des Mannes tauchte durch die Oeffnung auf, um Eugenie und den jetzt von oben her aus der Laterne wieder herabvoltigirenden Horst mit dem Ausdruck höchster Verwunderung anzustarren.

Es war natürlich, daß, den fragenden Augen dieses Mannes gegenüber, Eugenie die Verlegenheit doppelt fühlte, in welche sie ohnehin gerathen mußte, als sie sich mit Horst wieder in der Freiheit sah; sie eilte davon zu kommen und flog die Treppe hinab, während Horst dem Wärter ein Trinkgeld gab und ihm mit möglichst unbefangener Miene erklärte, wie er mit der jungen Dame das Schloß besichtigt habe und wie, als sie auch das Innere des Thurmes sehen wollen, die Klappe hinter ihnen niedergeschlagen sei.

Horst nahm dann noch das Buch vom Boden auf und eilte Eugenie nach. Er erreichte sie nicht eher, als bis sie schon unten auf der Brücke war.

„Ich will Ihnen das Buch morgen bringen,“ sagte er, „darf ich?“

„Ach, das Buch,“ versetzte sie mit bewegter Stimme, „es ist an Allem schuld! Ich hatte mich heute beim Ausreiten daran erinnert, daß ich es in Falkenrieth liegen lassen und daß ich, da Falkenrieth nun Ihnen gehöre, es zurückholen müsse; ich ging dann durch die Zimmer, um von ihnen für immer Abschied zu nehmen … da sah ich plötzlich Sie auf der Brücke … schon auf der Terrasse, an der Thür … zu Tode erschrocken beim Gedanken eines Zusammentreffens mit Ihnen, nahm ich die Flucht, aber Sie, Sie folgten mir, Sie fürchterlicher Mensch …“

„Haben Sie es mir jetzt nicht vergeben? Was soll ich thun, um Alles das, was ich verschuldet, was ich durch meine sträfliche Unbesonnenheit verbrochen, wieder gut zu machen?“

„Nichts, nichts,“ rief sie hastig und vor Aufregung zitternd aus, „als mich jetzt allein lassen … Sie sollen mich allein heimreiten lassen … gehen Sie jetzt, gehen Sie gleich … der Wärter wird mir mein Pferd halten!“

„Nun, wenn Sie es befehlen,“ versetzte Horst gedehnt und unangenehm betroffen.

„Ja, ja, adieu … bis morgen!“

Horst verstand dies heftig geäußerte Verlangen Eugeniens, mit sich und Allem, was in ihr stürmte, allein zu sein, nicht, und darum fühlte er sich ein wenig gekränkt und niedergeschlagen dadurch; aber er fügte sich gehorsam in ihren Willen; er ließ ihr das Pferd vom Wärter vorführen und halten; sie schwang sich auf und ritt im Galopp davon… Horst war von dem Augenblick an, wo sie das letzte Wort zu ihm gesprochen, für sie gar nicht mehr dagewesen.

Er sah ihr lange nach … und dann, dann war es ihm, als ob ihn etwas zurückhielte in Falkenrieth; es widerstand ihm, sich davon sogleich zu trennen … er ging noch lange mit dem Wärter umher und hörte ihm schweigend zu, während der Mann ihm auseinandersetzte, wo und was für die Reparatur dringend nöthig zu thun sei.




8.

Mehrere Stunden nachher … es war Abend geworden und Horst wieder daheim; er saß in seinem Zimmer im Armsessel ausgestreckt, die erloschene Cigarre in der lässig niederhängenden Hand und tief in Träumen verloren durch die Fenster in die Dämmerung draußen blickend, als plötzlich die Thür aufgerissen wurde und Allmer hereintrat, sehr bleich, sehr aufgeregt aussehend und sehr unceremoniös sich Horst gegenüber in einen Sessel werfend.

„Ich bedaure, daß ich gezwungen bin, eine letzte Unterredung mit Ihnen zu suchen, Herr Baron,“ sagte er, „aber beruhigen Sie sich, sie wird desto kürzer sein.“

„Sie nehmen sehr cavalière Manieren mir gegenüber an, mein Herr Allmer,“ versetzte der junge Mann überrascht und gereizt. „Sie haben eine Forderung von mir angenommen, und ich begreife nicht, wie Sie diesen brüsken Ueberfall damit verträglich finden.“

„Ei was Forderung!“ rief Allmer unwillig aus, „ich habe nicht das geringste Interesse mehr, mich mit Ihnen zu schlagen … schießen Sie immerhin den albernen Vetter über den Haufen, Sie werden mir noch mehr Vergnügen damit machen, als sich selber!“

„Und was hat Ihre Entschlüsse so schnell und so vollständig verändert?“

„Ich bin Ihnen keine Rechenschaft darüber schuldig, glaub’ ich … worüber ich Ihnen Rechenschaft schuldig bin, ehe wir aus einandergehen, das ist etwas Anderes, und die komme ich Ihnen zu geben!“

„Rechenschaft, mir? Ich glaubte …“

„Rechenschaft über Ihre Statue, Ihre Flora, an der Sie so gewaltig hängen!“

„Ach, die Flora!“ sagte Horst … „in der That, ich gab Ihnen den Auftrag zu forschen …“

„Es bedarf nicht langen Forschens. Die Flora hat der alte Schollbeck. Der alte Mensch hat mich verführt, sie ihm zu überlassen, ohne mir im geringsten anzudeuten, welchen eigentlichen Werth solch ein Kunstwerk habe … Ich ahnte ihn nicht … was versteh’ ich von Kunstwerken! Er gab mir hundert Thaler dafür. Ich nahm sie gern. Ich hatte Drainirungen vorzunehmen und die Cassen waren leer; ich glaubte allen Dank zu verdienen, daß ich hundert Thaler mehr hineinschaffte für die alte Scharteke. Jetzt, wo ich erfahren habe, daß solch ein Ding zehnmal mehr werth ist, daß der alte Spitzbube mich auf’s Ruchloseste überlistet hat, zwingt mich mein Gewissen, Ihnen den wahren Sachverhalt mitzutheilen … Sie werden jetzt sofort Schollbeck auf Herausgabe anklagen, Sie werden den Proceß unbedingt gewinnen; ich war gar nicht autorisirt, zu der Veräußerung, und ich bin zu jedem Zeugniß in Ihrem Interesse erbötig …“

„Sie sagen mir da seltsame Dinge, Allmer,“ versetzte Horst ruhig in die erhitzten Züge des Mannes blickend. „Also Herr von Schollbeck hat die Flora … und ich soll einen Proceß darum beginnen … Sie wollen mein Zeuge sein … in der That, Sie haben einen fürchterlichen Haß auf die Familie meines Nachbars geworfen … Sie haben mir alles mögliche Schlechte von ihnen mitgetheilt, Sie haben mir gerathen, durch den Ankauf von Falkenrieth einen Lieblingswunsch von Fräulein Eugenie zu zerstören … jetzt soll ich den alten Herrn noch durch einen Proceß verfolgen … und dazwischen erbieten Sie sich doch wieder zum Champion für Herrn von Ambotten … seltsam das in der That, und Sie werden es wohl natürlich finden, daß ich einige Aufklärung wünsche, bevor ich mich von Ihnen zum Werkzeug der Absichten machen lasse, die Sie ohne jeden Zweifel bei alledem haben…“

„Das ist eine sehr beleidigende Voraussetzung,“ fuhr Allmer auf; „ich habe Ihnen immer ehrlich gesagt, was meine Ueberzeugung war.“

„Gestatten Sie mir, mein werthester Herr Allmer, daß ich daran zweifle,“ fuhr Horst in seiner kühlen Ruhe fort. „Ich habe aus zufälligen Unterredungen, die ich mit Herrn von Ambotten und mit Fräulein von Schollbeck hatte, den Schluß gezogen, daß Sie beflissen gewesen sind, mir falsche Vorstellungen von meinen Nachbarn zu machen, und daß Sie in einem andern Verhältniß zu denselben stehen, als Sie vorgeben.“

„Es kann mir sehr gleichgültig sein, welche Schlüsse Sie ziehen,“ versetzte Allmer aufspringend; „ich habe Ihnen gesagt, was ich Ihnen noch sagen wollte …“

„Aber ich nicht das, was ich Ihnen noch sagen wollte, deshalb verweilen Sie noch einen Augenblick … Sie haben von meinem heutigen Abenteuer mit Fräulein Eugenie gehört, das hat Sie beunruhigt, und deshalb haben Sie es für an der Zeit gehalten, Ihre letzte Karte auszuspielen, mich in einen Proceß wider Schollbeck zu hetzen – ist es nicht so?“

„Von einem Abenteuer … das Sie mit Eugenie gehabt, hab’ ich nichts gehört,“ fiel Allmer heftig ein, „aber ich rathe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_706.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)