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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

welche man „Sechsbätzener“ nannte. Sie betrug vierundzwanzig Kreuzer rheinisch und ist in Folge der letzten Münzconvention aus dem Verkehr verschwunden.

Unser Peter aus Wombach hatte einst seine Haferernte gut verkauft und regalirte den Schullehrer mit einer Flasche Wein. Beide kamen auf die Idee, einmal in „gute Gesellschaft“ d. h. in den Spielsaal zu gehen, und da der Bauernkittel dort nicht zugelassen wurde, so lieh der Schulmeister unserem Peter einen dunkelblauen Leibrock und Vatermörder. Hiermit ausstaffirt, setzte Peter einen Sechsbätzener auf Roth. Dieselbe Farbe kam viermal hintereinander heraus. Peter hatte den Satz aus Unverstand stehen lassen und wurde erst nach dem vierten Spiel durch den Lehrer veranlaßt, ihn zurückzuziehen. Er hatte fünf Gulden sechsunddreißig Kreuzer gewonnen, neben seinem Einsatz. Das war viel für einen Bauern, der nicht an größere Summen baaren Geldes gewöhnt ist. Er kaufte seiner Frau ein schönes buntes Kopftuch; mit dem Reste des Geldes bezahlte er die Steuern. Er blieb ein solider Mann. Aber die Sache ging ihm im Kopfe herum. Während er den Erntearbeiten oblag, dachte er oft daran, wie sauer er sich hier plagen müsse im Schweiße seines Angesichts, um ein paar Kreuzer zu verdienen. Und wie leicht war es doch gewesen, die paar Gulden zu erwerben! Er hatte seinen Sechsbätzener hingesetzt; das Rad der Roulette war ein paar Mal herumgegangen; der Mensch, der es drehete, hatte ein paar unverständliche Worte vor sich hingeschnurrt, und siehe da, der Sechsbätzener hatte sich verdreißigfacht. Der Weizen hatte schnell und schön geblüht. Und dabei war Peter in vornehmer Gesellschaft gewesen, in einem schön decorirten und hell erleuchteten Saal, wo es nach allerlei fremdartigen Gerüchen duftete, aber nicht nach Tabak und Schnaps. Er hatte den Leibrock und die Vatermörder eines Gelehrten angehabt und man hatte ihn respectvoll behandelt, und die Leute, die ihn so respektvoll behandelten, waren doch anscheinend vornehm, weit vornehmer, als der Schulze und der Amtmann, die ihn, statt mit „Sie“, mit „Er“ oder „Du“ anredeten und in der Regel übergrob waren.

Gegenüber solchen Verlockungen rief sich Peter alle gute Lehren seiner seligen Mutter in das Gedächtniß zurück, ihr „Wie gewonnen, so zerronnen“, ihr „Bauer-Brod – sauer Brod, aber ehrlich Brod“. Er erinnerte sich, wie oft sie ihn gewarnt hatte vor dem Kartenspiel, vor dem alten einbeinigen Sergeanten und seinem Freund, dem „Säuschnitter“, welche zu betrügen pflegten und einmal seinen seligen Vater beinahe in eine Criminalgeschichte verwickelt hätten, woran er so unschuldig war, wie ein neugeboren Kind. Er gedachte des „Vetter Anton“, der, von Haus aus ein vermögender Bauer, an das Kartenspiel und durch das Spiel an die Verzweiflung und durch die Verzweiflung an den Trunk gerathen war und einen frühen Tod fand, seiner Familie nichts hinterlassend, als den Bettelstab. Er sah noch jetzt das Bild des Vetter Anton vor Augen, wie der, wenn er die Nacht durch mit dem „Einbein“ und dem „Säuschnitter“ bei Branntwein und Karten gesessen, mit blaugrauem Gesicht und übernächtigen gerötheten Augen, im Dorf herumlotterte und zur Arbeit nicht zu brauchen war. Er gedachte zurück, wie sich Einer nach dem Andern von dem Vetter Anton zurückzog und wie zuletzt, als der nichts mehr hatte, was er verspielen konnte, sogar der Sergeant und der Schweineschneider sich mit geflissentlich an den Tag gelegter Verachtung von ihm abwandten. Damit wußte er den Lockungen so lange zu widerstehen, bis der Herbst kam, das Roulettespiel in Schwalbach aufhörte und der Spielbaron ging. Am 10. September wurde die Bank geschlossen und die Versuchung war vorbei. Der Lehrer war zwischenzeitig auf eine bessere Schulstelle versetzt worden. Sonst wußte Niemand von der Sache. Die Brücke nach dem Gebiete des Lasters war vollständig abgebrochen. Peter lächelte zuweilen still vor sich hin. Seine Frau fragte ihn, warum. Aber er sagte nichts. In Wirklichkeit freute er sich, daß er den Fallstricken entronnen war, und als er in den Psalmen las: „Herr, ich danke Dir, daß Du mich erlöset hast aus den Netzen und Stricken der Jäger“, da meinte er im Stillen, das paßte auch auf seinen Fall.

Nach der schweren arbeitsamen Zeit des Herbstes kam der Winter, wo unsere Bauern nichts zu thun haben. Sie schlafen lange, bei Tag liegen sie auf der Ofenbank und rauchen ihre Pfeife. Der Müßiggang macht böse Gedanken. Auf der Ofenbank ist schon mancher verderbliche Proceß ausgesonnen worden. Da werden die alten Erbtheilzettel, die alten Flur- und Grenzbücher, die vergilbten Schuldscheine und Briefe hervorgesucht, ein wirkliches oder vermeintliches Unrecht, das schon fast verjährt und jedenfalls schwer zu erweisen ist, wird da entdeckt und mit jener Hartnäckigkeit verfolgt, welche sich in dem Bauernsprüchwort ausdrückt: „Nach einem Loth Recht darfst Du das beste Pferd aus Deinem Stalle zu Schanden reiten“. Peter war zu wohlhabend und zu gutmüthig, um proceßsüchtig zu sein. Aber wenn er auf der Ofenbank lag, nahete sich ihm ein Versucher, der schlimmer war, als der Proceßteufel.

Der Spielteufel hielt ihm die Roulettetafel vor, in der Mitte die Drehscheibe, in welcher das elfenbeinerne Kügelchen springt, rechts und links daneben die grünen Teppiche, die bemalt sind mit rothen und schwarzen Strichen und allerlei Nummern, darunter auch Null und Doppelnull, wie sie auch geschrieben stehen in den achtunddreißig Fächern der Drehscheibe, auf welche die verhängnißvolle Kugel springt. Der Schulmeister hatte ihm ausgelegt, daß man auf Roth und auf Schwarz allemal das Doppelte gewinnen könne, ebenso auf „Grad“ und „Ungrad“ und auf „Drunter“ (manque) und „Drüber“ (passe), daß man aber auf einer Zahl gar das Fünfunddreißigfache gewinne. Davon, daß, wenn das Kügelchen auf Null oder Doppelnull falle, fast alle Einsätze eingestrichen werden, fast alle Spieler verlieren und nur die Bank gewinnt; daß überhaupt, wenn man die Sache mathematisch untersucht, die Spieler nur unter sich spielen und die Spielbank von jedem Satze etwa sechs Procent zieht, so daß, wenn ein Gulden zehnmal gesetzt worden ist, er der Bank gehört, und daß, wenn dieselben Spieler, ohne Zufuhr von außen zu erhalten, vierzehn Tage mit der Bank spielten, keiner einen Kreuzer übrig hätte, unmöglich übrig haben könnte, nach den unumstößlichsten, unbarmherzig-ehernen Gesetzen der Mathematik – von Alledem hatte der Schulmeister dem Bauern nichts gesagt. Er wußte es selbst nicht. Giebt es ja doch noch heutzutage eine Menge hochstudirter Leute, Staatsmänner, Geschäftsleute, Grafen und Fürsten, die es auch nicht wissen, obgleich es keine dunkle und schwierige Geheimlehre ist, sondern gedruckt steht in Büchern, die für ein paar Groschen zu haben sind (z. B. in dem Schriftchen über das Roulette-Spiel von Dr. Wiener, Lehrer der Mathematik in Darmstadt. Frankfurt a. M. Expedition des Arbeitgeber, 1863), und verstanden werden kann von Jedermann, der die vier Species nothdürftig erlernt hat.

Nachts im Bette mit geschlossenen Augen, bei Tage auf der Ofenbank mit offenen Augen, träumte Peter vom Roulettespiel. Er spielte nicht mehr mit Sechsbätznern, sondern mit großen und schweren Goldstücken, und wo er hinsetzte, da gewann er. Von dem Gewinn kaufte er sich ein großes Gut. Er legte darauf eine Branntweinbrennerei neuesten Systems an. Denn die alten kleinen Brennereien in Wombach mußten vor der neuen Steuergesetzgebung die Segel streichen. Er trug Sporen und einen Cylinder, von dem Leibrock und den Vatermördern gar nicht zu reden. Er wurde in den Vorstand des landwirthschaftlichen Vereins gewählt und von dem Minister, der ihn in landwirthschaftlichen Dingen zu Rathe zog, zu Tisch gebeten. Seine Nachbarn platzten vor Neid. Er aber dachte: „Besser beneidet, als bemitleidet!“ … Und wenn er sich bis zu dieser Stufe des Glücks im Traum emporgeschwindelt hatte, dann trat plötzlich wieder vor seine Augen das Bild des Vetter Anton mit seinem verzerrten, bleichen und verzweifelten Gesicht, rechts der „Einbein“, links der Säuschnitter, wie sie ihm die Taschen leerten, und dann kam seine gute selige Mutter mit ihren klaren, treuen, blauen Augen, die schon so lange gebrochen waren; sie hob warnend den Finger und wiederholte das „Bauer-Brod, sauer Brod“ und die anderen Sprüchwörter, worin sie so stark war.

„Ach was,“ sagte Peter, der sich zu helfen wußte, dagegen, „meine Mutter hatte gewiß Recht, aber das hier ist ja ganz etwas Anderes. In dem Schwalbacher Spielsaal, da geht es nicht zu wie im Solospiel bei dem einbeinigen Sergeanten. Das Schwalbacher Roulettespiel ist von hoher und höchster Obrigkeit gestattet und verpachtet, und die Pachtgelder fließen in die herzogliche Domainencasse; und wenn das was Unrechtes wäre, dann würde es der gnädigste Herr und die hohe Regierung nicht erlauben und noch weniger würden sie ein Sündengeld von einem Pacht davon beziehen. Auch ist ein extraer landesherrlicher Commissarius darüber gesetzt, der darauf Acht giebt, daß Alles mit rechten Dingen zugeht und daß Jeder von der richtigen Katz gefressen wird. Wenn der einbeinige Sergeant und der rothhaarige Säuschnitter meinen versoffenen Vetter Anton rupfen wollten, dann nahmen sie ihn mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 713. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_713.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)