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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

alten Fuchs mit kräftigen Anläufen auf einen nahen und hohen alten Stock mehrmals hinauf und wieder herabspringen und endlich davonschleichen. Bald darauf erscheint er wieder mit einem dicken Eichenast im Maule und wiederholt nun so den vorigen Versuch, der anfänglich einige Mal mißlingt, so lange, bis er, auch mit dieser Bürde beladen, ohne Anstoß hinauf kommen kann. Nun läßt er seinen Ast herabfallen, drückt sich oben auf der ersprungenen Warte platt nieder und bleibt in dieser Stellung unbeweglich liegen. Der aufmerksame Waidmann kann trotz alles Nachsinnens den eigentlichen Beweggrund zu diesen wunderbaren Operationen nicht errathen. Aber was geschieht? Bei einbrechender Dämmerung tritt eine starke Bache mit fünf noch ganz kleinen Frischlingen aus der nächsten Dickung hervor. Sorglos zieht sie dicht an jenem alten Stocke vorbei, indeß zwei ihrer Kleinen ein wenig zurückbleiben. Kaum haben aber auch diese die gefährliche Stelle erreicht, als Meister Reinecke wie ein Pfeil auf eines derselben herabstürzt und auch im Augenblicke mit ihm sich recht glücklich wieder hinaufschwingt. Bestürzt über das Angstgeschrei des armen Schlachtopfers kehrt die Bache wüthend zurück, versucht es vergebens, zu seiner Rettung den hohen Sitz des verwegenen Räubern zu erklimmen, und muß endlich, nachdem sie ihn bis tief in die Nacht bestürmt hatte, voll Verzweiflung davongehen.

„Was dünkt meine Leser von dieser Geschichte,“ setzt Wildungen hinzu, „die ich gewiß selbst bis an mein Ende bezweifelt haben würde, wenn sie nicht deren Augenzeuge, einer der glaubwürdigsten Dianenpriester, die ich je gekannt habe, selbst noch in seinen letzten Stunden feierlichst bekräftigt hätte? Wenn die Thiere bloße Maschinen sind, wäre da nicht dieser Fuchs eine gar unbegreiflich kluge Maschine gewesen? Welche Speculationen, welche Erfahrungen, welche Vernunftschlüsse setzt dieser originelle Frischlingsfang nicht voraus! Hätte der scharfsinnige Mensch sich einen zweckmäßigern Plan ersinnen können, des leckern Bratens ohne Gefahr habhaft zu werden?“

Daß der Fuchs, wenn er sich mit einem Laufe in einem Eisen gefangen hat, sich den Lauf abbeißt, um sich zu retten, läßt sich ebensowenig durch den Instinct allein erklären, wie die Arbeiten der Ameisen, der Bienen, die ebenso künstlichen wie großartigen Wasserbauten der Biber, das Ausstellen der Schildwachen der wilden Gänse, Gemsen, Kraniche und Seekühe und viele ähnliche Erscheinungen bei anderen Thieren, welche alle auf Ueberlegung, Speculation und Berechnung hindeuten.

Am meisten zeichnet sich in dieser Beziehung der Hund, der treue Gefährte des Menschen in allen Welttheilen, aus, wie dieses schon durch die häufig vorkommenden Redensarten: „der Hund hat Menschenverstand“, „dem Hunde fehlt blos die Sprache“ etc., sowie durch das Epigramm:

„Hier liegt ein Hund, der fürwahr
Viel klüger als sein Jäger war –“

angedeutet wird. Es muß daher in der That Wunder nehmen, wie der Feder des Altmeisters Goethe das bittere Epigramm auf die Hunde entschlüpfen konnte:

„Wundern kann es mich nicht, daß Menschen die Hunde so lieben; Denn ein erbärmlicher Schuft ist, wie der Mensch, so der Hund.“




Wislicenus’ Bibel. Ueber dieses nunmehr complet erschienene Werk ging dem Verleger vor einigen Tagen folgendes treffende Urtheil eines bekannten Schriftstellers zu: „– – Kaum beschreiben kann ich die Ueberraschung, die es mir bereitete, als ich so Vieles, was mir schon vor langen Jahren in der biblischen Geschichte auffällig gewesen, in diesem Werke offen besprochen und in eben so klarer wie würdiger Weise zu einer Lösung gebracht sah, die sich bald augenscheinlich als Wahrheit herausstellt, bald mindestens das Gepräge der höchsten Wahrscheinlichkeit trägt. Wen es befremdet hat, daß verschiedene bisher erschienene Lebensbeschreibungen Jesu noch keinen gründlicheren Umschwung in der Meinung der Gebildeten über diesen Gegenstand hervorgebracht haben, der erkennt aus diesem Werke, wie viel an den herkömmlichen Vorstellungen über die ganze übrige biblische Geschichte, namentlich des Alten Testaments, und über die Entstehung der biblischen Bücher berichtigt werden mußte, ehe man an den Inhalt der neutestamentlichen Geschichte überhaupt mit dem rechten Verständnisse herantritt und für eine andere Anschauung empfänglich wird. Nach Lesung eines so scharfsinnig und ohne alle Befangenheit geschriebenen Buchs, dessen Verfasser nirgends die Folgerungen aus dem einmal für wahr Erkannten scheut oder sich vor der Tragweite seiner eigenen Erkenntniß fürchtet, ist es mir aber auch begreiflich geworden, warum jener im Anfang unseres Jahrhunderts beliebte Vernunftglaube keinen nachhaltigen Sieg erringen konnte. Wohl bekämpfte er viel Hergebrachtes, ließ aber dabei so viel mit seinem eigenen Geiste Unverträgliches stehen, daß hieraus Bollwerke für die Gegner wurden, von denen aus sie die neue Lehre bald mit den Waffen des Spotts, bald selbst in ernster Weise anzugreifen vermochten. Wislicenus kennt solche Halbheit nicht; er tritt den früher beliebten natürlichen Erklärungen der Wunder und den Versuchen, Widersprüche zu vereinigen, die sich nun einmal nicht vereinigen lassen, eben so entschieden entgegen, wie dem Glauben an die Wunder selbst und an übernatürliche Eingebung des Bibelworts; darum ist aber auch sein Werk eine feste Schlachtlinie, die sich nicht mit einigen hergebrachten Redensarten durchbrechen läßt. Sein Hauptverdienst scheint mir darin zu bestehen, daß er, obwohl ursprünglich durch Philosophie und Erfahrungswissenschaften auf seinen Standpunkt gelangt, doch die Beweise für seine Behauptungen fast durchgängig aus der Bibel selbst und aus der Vergleichung ihrer einzelnen Bücher schöpft und hier Entdeckungen macht, die jeden Unbefangenen zwingen, die Augen aufzuthun, und daß er, nachdem er viel umgestoßen, viel berichtigt, viel aufgehellt, schließlich doch von der bergehohen Spreu den Weizen zu sondern versteht und sich – was manche Gegner ungern lesen werden – der Bibel im innersten Herzensgrunde verwandt fühlt.“




Das Lied eines Dankbaren. Vor Kurzem sind die Leser der Gartenlaube an den am 23. Juni verstorbenen großen Freund und Kenner der Vögel, Ludwig Brehm, durch ein Bild von meisterhafter Künstlerhand und durch die Schilderung von kundiger und dankbarer Sohneshand erinnert worden. Ludwig Brehm war als Pfarrer, wie als Mann der Wissenschaft gleich ehrwürdig, dabei als Mensch so liebenswürdig und als Gesellschafter so heiter und unterhaltend, daß sich jeder glücklich preisen konnte, dem es auf längere oder kürzere Zeit vergönnt war, in seiner Nähe, ihn beobachtend und genießend, zu verweilen. Man schaute da einen außerordentlichen Mann, und doch in seiner Erscheinung einen so schlichten und in seiner Umgangsweise so kindlich harmlosen Menschen, daß man ihm nicht fern stehen blieb, sondern sich ihm auf das Innigste anschloß.

Als daher der Tag und die Stunde seiner Beerdigung gekommen war – es war Sonntag den 26. Juni, Nachmittag vier Uhr – da eilten nicht nur die Mitglieder der ihm anvertrauten Gemeinden, sowie die Bewohner der Nachbardörfer in der Runde, sondern auch mancher Freund und Verwandter aus der Ferne herbei, um dem theuern Dahingeschiedenen ein letztes Ruhe sanft! in die Gruft nachzurufen, und viele Thränen flossen dem liebevollen Gatten und Vater, dem treuen Seelenhirten und Freunde. Das Wetter war nicht eben freundlich, es war stürmisch und regnerisch; aber sowohl vor der Pfarrwohnung, wie auf dem Gottesacker fand die Trauerversammlung günstige ruhige Augenblicke, ja selbst die Sonne sandte freundliche Strahlen in das geöffnete Grab, in welches der Entschlafene eben gesenkt werden sollte. Der Sarg ward in das Grab hinabgelassen, und alle Anwesenden beteten still. Eine lautlose, heilige, wehmüthige Ruhe waltete über und um den menschenvollen Gottesacker. Da – als Glocken, Gesang und Rede schwiegen – da erhob ein Vöglein aus einem Gesträuch am Rande des Gottesackers seine Stimme – es war eine Grasmücke – und sang sein süßes Lied, das über die ganze Versammlung schallte; mitten in dieser Stille das Danklied eines Vogels, es war ein Moment ergreifendster Andacht.

Wie hätten auch die Vögel beim Begräbniß Ludwig Brehm’s schweigen können? Im Namen sämmtlicher Vögel der Erde, die Brehm alle nach ihren Arten und Unterarten kannte, sang die Grasmücke das Lob ihres großen Freundes und rief ihm mit ihren lieblichen Klängen Dank und Segen in die Gruft nach, ihm, der sie so oft und so freundschaftlich belauscht, der sie so viel bewundert und geliebt und sie bewundern und lieben gelehrt, der noch am Tage vor seinem Tode durch’s offne Fenster ihrem Gesange zugehört hatte. Wer das Lied dieses dankbaren Vogels am Grabe Ludwig Brehm’s vernommen, dem ist es gewiß tief zu Herzen gedrungen und wird ihm unvergeßlich bleiben. Dieses Lied des dankbaren Vogels bildete den schönsten, würdigsten und erhebendsten Schluß der Begräbnißfeierlichkeit, wie denn in der That die Töne dieses Vogels die letzten Klänge waren, welche bei der Beerdigung vernommen wurden.

Die Menge zerstreute sich hierauf still, und die Todtengräber verrichteten ihr Amt. Wer aber von den Lesern der Gartenlaube einmal nach dem Neustädter Kreise des Großherzogthums Sachsen-Weimar kommt, wenn der Sommer wieder zum Genuß der Natur hinaus in’s Freie und in’s Weite ruft, der versäume nicht, das malerisch gelegene Renthendorf in seinem tiefen Thale zu besuchen. Dann steige er hinauf auf den Hügel, auf dem die Kirche steht, und weihe da dem Andenken eines seltenen und edlen Mannes, eines wahren geistlichen Vaters und eines großen Naturforschers seine dankbare Verehrung. Und wenn etwa ein Vöglein dabei auch seine Stimme erhebt – dann denke er der Grasmücke, welche zuletzt bei der Beerdigung Ludwig Brehm’s ihre Stimme tönen ließ und dadurch der Feierlichkeit die letzte Weihe gab!

Z. 

Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:

Vorlesungen
über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Von Carl Vogt in Genf.
Mit 64 in den Text gedruckten Abbildungen.
Elegant broschirt Preis 1 Thaler.

Die in den Jahren 1861–1864 in der „Gartenlaube“ veröffentlichten und gern gelesenen Arbeiten des berühmten Naturforschers erscheinen hier vielfach ergänzt und erweitert, mit 64 Holzschnitten versehen, als besonderes Werkchen. Carl Vogt hat darin das für die Allgemeinheit nothwendigste und unmittelbaren Nutzen bringende Wissen aus dem Bereich der Thierkunde in seiner bekannten, anziehenden Schreibweise zusammengefaßt und ist bemüht gewesen, auf diesem, vielen noch ganz unbekannten Felde der Naturwissenschaft die nöthigen Kenntnisse und damit Aufklärung über manchen Aberglauben zu verbreiten. Sein Buch ist ein Buch für Jedermann, besonders für Landwirthe, Forstleute, Gärtner und Gartenfreunde. Einer besonderen Empfehlung bedarf dasselbe nicht.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_736.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)