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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Schilder. Daß sich unter diesen auch die Schneider befanden, die doch außerdem immer viel im Schilde führten, mag mit Recht befremden. Ihre Herbergen waren an einer modernen Firmentafel mit der Aufschrift „Schneiderherberge“ kenntlich. Wie außen am Hause, so befanden sich dieselben Schilder auch in der Herbergsstube; nur waren sie hier meist aus besseren Stoffen gefertigt und hingen in stattlichen Glasschränkchen über den einzelnen Tischen, welche den verschiedenen Zünften zugewiesen waren. An den Wänden der Stube war häufig eine große Tafel angebracht, auf welcher die Namen derjenigen Innungsmeister verzeichnet waren, bei welchen der zureisende Geselle gerade Arbeit bekommen konnte.

Die Bäcker, die Metzger, die Nagelschmiede, die Schneider, die Schuhmacher, die Böttiger, die Müller und einige andere Zünfte hatten meist eine gemeinsame Herberge, während die Maurer, die Zimmerleute, die Tuchmacher, die Klempner und alle zur Schwagerschaft gehörenden Zünfte in größeren Städten in besonderen Herbergen zu finden waren. Die zuletzt genannten Zünfte kannten jene Tafel mit den Namen der arbeitgebenden Meister nicht. Häufig machte der Herbergsvater, welcher nicht selten als zünftiger Meister ein kleines Gewerbe betrieb, zwischen dem arbeitgebenden Meister und dem zugereisten Gesellen gegen ein Trinkgeld den Makler, wie er denn überhaupt dem zuwandernden Gesellen alle mögliche Auskunft zu geben hatte. Wo Bruderschaften bestanden, von welchen weiter unten die Rede sein wird, da hatte der fremde Geselle auch auf der Herberge ein bestimmtes Ceremoniel seiner Innung zu beobachten. Der Zimmermann z. B. mußte an der Herbergsthür drei Mal anklopfen, dann erst rief der Herbergsvater: „Herein!“ Das Felleisen wurde stets so auf die Bank gelegt, daß die Bänder nach der Wand zu zu stehen kamen. War gerade kein der Bruderschaft angehörender Zimmergeselle auf der Herberge anwesend, dann machte sich’s der zugereiste Zimmermannsgeselle bequem oder vielmehr „commode“, im entgegengesetzten Falle aber setzte er sich neben sein Felleisen, den Hut auf dem Kopfe und den Stock in der Hand behaltend, wobei er das Halstuch ordentlich fest zu binden und am Rocke die Knöpfe zuzuknöpfen hatte. In dieser eigenthümlichen Haltung mußte er so lange verbleiben, bis der Altgeselle auf die Herberge kam, ihn willkommen hieß, ihm ein Glas Bier reichte und ihn mit den Worten: „Mach’s Dich commode!“ des strengen Ceremoniels entließ. Die Klempner, die Hutmacher und einige andere Zünfte setzten beim Zureisen auf der Herberge zwar den Hut ab, mußten aber Stock und Taschentuch so lange in der Hand behalten, bis der Altgeselle erschien. –

Die Bruderschaften der Handwerksburschen sind den Verbindungen aus den Universitäten zu vergleichen. Wie auf diesen die Nichtverbindungsstudenten von den Corps so lange über die Achsel angesehen werden, als der Termin des Examens noch nicht ganz nahe herangekommen ist, so erging es auch denjenigen Handwerksburschen, welche einer bestehenden Bruderschaft nicht beigetreten waren. Sie hießen meist Pfaffen oder Voigtländer und Schlesinger, weil vorzugsweise aus dem sächsischen Voigtlande und ebenso aus Schlesien viele verheirathete Gesellen auf die Wanderschaft gingen, die den Aufwand in der Bruderschaft nicht bestreiten konnten. Die Art und Weise, wie der Altgeselle auf der Herberge an einem zugereisten Fremden erforschte, ob er bereits irgendwo in die Bruderschaft der Zunft aufgenommen worden sei, war bei den verschiedenen Innungen verschieden. Bei den Klempnern z. B. setzte sich der zugewanderte Geselle, Hut und Stock in der Hand haltend, in gerader, fast steifer Haltung an den Tisch. Sobald der Altgeselle erschien, redete ihn dieser mit den Worten an: „Sind Sie ein fremder Klempner?“ War die Frage bejaht, so reichte der Altgeselle dem Angeredeten die Hand, indem er dabei sagte: „Seien Sie willkommen. Fremder!“ Erhob sich hierauf der also Begrüßte nicht augenblicklich von seinem Sitze, so ging der Altgeselle von ihm hinweg, ohne ihn weiter eines Wortes zu würdigen, und ebenso nahm keiner der bereits anwesenden oder später noch erscheinenden Gesellen der Bruderschaft Notiz von ihm; denn man wußte nunmehr, daß er der Bruderschaft nicht angehörte. Stand der Fremde von seinem Sitze aber auf, so reichte ihm der Altgeselle mit den Worten: „Trinken’s, Fremder!“ ein Glas Bier. Dieses mußte der Zugereiste jedoch mit den Worten: „Es steht in guter Hand!“ zurückweisen; nun trank der Altgeselle einen Schluck und reichte das Glas dem Fremden zum zweiten Male, welcher nunmehr „Bescheid that“ und das Glas alsdann auf seinen Tisch setzte. Der Altgeselle frug hierauf: „Was für ein Landsmann? Wo zuletzt gearbeitet?“ und schloß mit den Worten: „Machen Sie sich’s commode, Fremder!“ Jetzt erst durfte dieser sich wieder setzen. Diese Scene wiederholte sich jedoch so oft, als gerade Arbeitsgesellen auf der Herberge anwesend waren. Ein Jeder hatte mit der Frage: „Sind Sie ein fremder Klempner?“ zu beginnen und mit den Worten: „Machen Sie sich’s commode, Fremder!“ zu schließen. So kam es, daß der zugereiste Geselle oft eine ganze Reihe von gefüllten Biergläsern auf seinen Tisch zu setzen hatte, die alsdann ihm ganz allein gehörten. „Und wenn nun zufällig außer dem Altgesellen noch 10–12 Arbeitsgesellen auf der Herberge zugegen waren, was wurde dann mit dem Biere gemacht?“ fragte ich einen ehrsamen Klempnermeister, der seiner Zeit viel gewandert war. „Sehen’s,“ antwortete er mir blinzelnd, indem er seinen Schnurrbart zierlich drehte, jedoch mit etwas gedämpfter Stimme, so daß seine in der Stube mitanwesende Frau ihn nicht verstehen konnte, – „Sehen’s, auf der Wanderschaft hat man immer viel Durst!“ –

Wo Bruderschaften bestanden, bekam jeder zugereiste Geselle vom Altgesellen ein Zeichen im Werth von 2–4 Groschen, welches auf der Herberge zu verwerthen war. Außerdem wurde wöchentlich ein bis zwei Mal auch „ausgeschenkt“, d. h. die Bruderschaft hielt den zugereisten Gesellen auf der Herberge im Essen und Trinken frei. Bei den Klempnern wurde nur in Stralsund jeden Tag ausgeschenkt, so daß hier der Altgeselle jeden Tag auf der Herberge nachsehen mußte, ob Fremde zugereist waren. Auch bei den Hutmachern wurde in vielen Städten jeden Tag ausgeschenkt, z. B. in Hanau, Offenbach, München, Wien, Breslau, Braunschweig, Wandsbeck etc. Bei den Färbern erstreckte sich die Zeit des Ausschenkens nur auf die Stunden von 2–6 Uhr am Sonntage Nachmittags. Die hierdurch entstehenden Unkosten wurden durch die sogenannten Auflagen gedeckt, über welche der Altgeselle Rechnung zu legen hatte. Der letztere war zugleich auch Krankencassen-Verwalter der Bruderschaft.

In kleineren Städten, in welche mehrere belebte Landstraßen einmündeten, so daß also immer viele fremde Gesellen zugereist kamen, reichte oft der Wochenlohn nicht aus, um die Auflagen zu bestreiten und zugleich die Fremden frei halten zu können. Daher liegt die Vermuthung nahe, daß gar mancher heimkehrende Wanderbursch, wenn er sich wenig oder nichts in der Fremde erspart hatte, von Solchen, welche mit dem Handwerksburschenleben nicht bekannt waren, falsch beurtheilt wurde. Wer in einer Stadt arbeitete, wo sich eine Bruderschaft befand, konnte trotz alledem und alledem nicht umhin, sich in die Bruderschaft aufnehmen zu lassen und Freude und Leid der Genossen zu theilen. Ganz anders gestaltete sich die Sache für denjenigen, dessen Zunft keine Bruderschaft kannte oder welcher in einer kleinen abseits gelegenen Stadt arbeitete, in welche nur selten Fremde zugereist kamen. – Zuweilen fand auch eine Art solenner Commerce auf der Herberge Statt, wobei der Altgeselle mit zwei Beisitzern den Vorsitz führte und ein strenges Ceremoniel bei Vermeidung hoher Buße, die natürlich vertrunken wurde, zu beobachten war. Wer sich an die Tafel setzte, hatte die Anwesenden in der Weise zu begrüßen daß er einen jeden der Reihe nach ansah und hierbei alle Mal mit den Spitzen des Zeige- und Mittelfingers der rechten Hand zwei Mal auf den Tisch pochte. Die Vorsitzenden hielten als Insignien ihrer Würde kleine Stäbe in der Hand, auf deren Handhabung wohl aufzumerken war. Wer etwas sagen wollte, hatte seinen Worten stets die stehende Formel vorauszuschicken: „Also mit Gunst und Erlaubniß!“ etc.–

Die Aufnahme in die Bruderschaft erfolgte ebenfalls unter Gebräuchen, welche bei den einzelnen Zünften von einander abweichend waren. In zwei Punkten war die Aufnahme jedoch überall gleich: einmal nämlich darin, daß sie dem Säckel des Aufzunehmenden drei bis fünf Thaler entführte, und zweitens darin, daß dieses Geld von der aufnehmenden Bruderschaft durch Essen und Trinken absorbirt wurde. Wenn ein junger Geselle beim Altgesellen um Aufnahme in die Bruderschaft gebeten hatte, forderte dieser die übrigen Gesellen und zwei Beisitzer nach Feierabend „zu einem Freisprechen“ auf die Herberge, nachdem er vorher dem Neuling vertraulich mitgetheilt hatte, wie er sich bei der ganzen Angelegenheit zu verhalten habe. Sind die Gesellen zur bestimmten Zeit erschienen, so wird die Lade auf den Tisch gesetzt und mittelst zweier Schlüssel, von denen der Herbergsvater den einen, der Altgeselle den andern in Verwahrung hat, geöffnet, wobei übrigens der Altgeselle vorher drei Mal auf den Tisch klopfen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_745.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)