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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

des Dorfes aus, und das ganze Dorf hat in Folge dessen nur einen Zugang von außen. Der innere offene Raum des Dorfes, der Anger, ist meist mit Gras bewachsen und in der Mitte desselben befindet sich in der Regel ein kleiner, von Weiden etc. beschatteter Teich, zuweilen jedoch auch die Dorfkirche. Hinter den Häusern liegen die Gärten, und da diese sich wie die Hofreithen fest an einander schließen, so bilden auch diese eine mehr oder minder runde Form und, von ihren Hecken umgeben, vielfach einen das ganze Dorf umschließenden, undurchdringlichen Hag. Um diese Hecken herum lief sodann – wenigstens in alter Zeit – noch ein jetzt fast überall zugeworfener Graben von nicht unbeträchtlicher Breite und Tiefe, der in Verbindung mit dem Umstande, daß das Dorf nur einen Zugang von außen hatte, die Vertheidigung gegen äußere Feinde ziemlich leicht machte.

Die vorstehende Zeichnung ist der Grundriß des Dorfes Müncherode bei Jena. Die schwarz gehaltenen Stellen bezeichnen die Wohngebäude; die Wirtschaftsgebäude sind durch eine schieflinige Schraffur angegeben; die wagerechten Striche gelten dem Hofraum; die mit W bezeichneten Stellen und das Kreuz im Innern des Dorfes deuten die kleinen Weiher und die Kirche an; die abgetheilten Parcellen sind die Gärten. Wir erkennen aus dieser Zeichnung noch sehr deutlich die runde Hufeisenform der Dorfanlage, dagegen sehen wir, daß auf der Südseite sich ein zweiter Zugang zum Dorf gebildet hat; dies ist vielfach auch anderwärts,

Altsächsisches Haus in Kohlenstädt in Hessen.

theils durch die heutige stärkere Bevölkerung und die höhere Entwickelung der Landwirtschaft, theils auch unter dem Einfluß der Staatsbehörden mit Rücksicht auf die große Feuergefährlichkeit eines einzigen Zuganges nothwendig geworden. Ueberhaupt aber muß bemerkt werden, daß diese runde Form der Dorfanlage in Thüringen nur die Regel bildet, welche Ausnahmen, namentlich deutsche Coloniedörfer, nicht ausschließt. Thatsache aber ist, daß in Thüringen und jenseit der Saale und Elbe bis nach Schlesien hin noch heute die eben beschriebene, mehr oder weniger runde, eigenthümliche Dorfanlage herrscht und daß sich diese Dorfform niemals und nirgends in den ursprünglich deutschen Ländern, im alten Franken- und Sachsenland, vorfindet.

Gehen wir nun zu dem Hausbau über. Der Bauernhof im alten Frankenland, d. h. also in dem Land von der altsassischen Grenze – wir werden später sehen, wo diese hinläuft – rechts des Rheins bis nach Schwaben hin, hat durchweg folgende Eigentümlichkeiten: Haus und Scheune sind, mit alleiniger Ausnahme der Grundmauer, stets von Holz; beide sind, wenn auch oft verbunden, immer zwei selbstständige Gebäude; das Haus ist stets zweistöckig, hat im Erdgeschoß Stallungen und seinen Eingang stets auf der langen Seite. Im Uebrigen zeigen die Häuser wohl manche Verschiedenheiten, in diesen Punkten aber stimmen sie alle überein. Jeder größere Bauernhof bildet in der Regel ein ziemlich geräumiges Viereck.

Eine Eigentümlichkeit des fränkischen Hauses ist sodann noch die, daß die äußeren, mit weißer Kalkfarbe angestrichenen Wände des Wohnhauses und der Scheuer vielfach bald mit gemalten Blumen, Reitern und sonstigen Figuren, bald mit ernsten und scherzhaften Sprüchen, bald in beiden Weisen verziert sind. Sprüche dieser Art sind z. B.:

An Gottes reichem mildem Segen
Ist aller Menschen Thun gelegen;

oder:

Unse Mäd, di Ann,
Die hätt so gern en Mann.
Wetzt ü Nimäds, den se neme kann?

Selbst Rebus-Räthsel kommen oft vor. Auch am sächsischen Hause finden sich solche Inschriften, doch sind sie nicht auf die Balken gemalt, sondern in dieselben eingeschnitten und lauten gewöhnlich: „N. N. und seine Ehefrau haben Gott vertraut und dieses Haus gebaut“. Figuren werden dagegen zur Verzierung des sächsischen Hauses nicht angebracht, eigenthümlich aber sind dem Sachsenhaus die über einander sich kreuzenden obersten Dachsparren an den Giebelwänden, deren Spitzen fast stets zu Pferdeköpfen ausgeschnitzt sind. Das thüringische Haus hat weder Inschriften, noch Figuren, noch Pferdeköpfe.

Wesentlich verschieden von Haus und Hof des fränkischen Bauern ist Haus und Hof des altsächsischen Bauern, und zwar ist diese Verschiedenheit so in die Augen fallend, daß sie sich in die paar Worte zusammendrängen läßt: der sächsische Bauernhof vereinigt Alles unter einem Dach: Haus, Scheune und Stallung. Aus dieser Grundverschiedenheit ergeben sich nun noch folgende Einzelverschiedenheiten: das sächsische Haus hat stets nur ein Erdgeschoß und die Höhe desselben bis zum Dachstuhl mißt kaum zehn

Innere Einrichtung des altsächsischen Bauernhauses.

bis zwölf Fuß, darüber aber erhebt sich ein gewaltiges Strohdach, welches blos auf den äußeren Wänden ruht und nur Querbalken, nicht auch aufrechtstehende Säulen hat; das sächsische Haus geht zwar ferner, ebenso wie das fränkische, mit der schmalen (Giebel) Seite auf die Straße und mit der langen Seite auf den Hof, allein die Wohnung liegt nicht, wie bei dem fränkischen Hause, in dieser nach der Straße hin gekehrten Giebelseite, sondern in der gerade entgegengesetzten Rückseite, während die Giebelwand nur den Haupteingang, ein gewaltiges Thor, enthält. Außer diesem Thor erblickt man daher von der Straße aus nur etwa noch einige Stallthüren und Fensterluken, und das Ganze macht also, im Gegensatz zu dem freundlichen fränkischen Hause, einen überaus öden, unwirthlichen, abgeschlossenen Eindruck. Unsere zweite Zeichnung wird hiervon ein entsprechendes Bild geben; sie ist von einem Hause in Kohlenstädt, einem der ältesten Häuser der kurhessischen Grafschaft Schaumburg, aufgenommen, das freilich inzwischen einem neuen Gebäude hat weichen müssen. Die innere Einrichtung wird dagegen die dritte Zeichnung veranschaulichen.

Auf derselben bezeichnet 13 den Vorschoppen (die sogenannte Utlucht), 5 den Gänsestall, 12 den Pferdestall, 4 den Kälberstall, 11 den Hackstall (die Häckselkammer), der zugleich als Schlafkammer der Knechte dient (im fränkischen Bauernhaus schläft der Knecht stets im Pferdestall selbst), 3 den Kuhstall, 10 den Fohlenstall, 9 den Gemüsekeller, 8 die Mägdekammer, 7 die Kammer des Leibzüchters, 2 die Kammer des Hausherrn und der Hausfrau, 1 die Wohnstube derselben, 15 den Feuerheerd und die Küche, 14 endlich die Dehle, d. h. den vom Thor bis zur anderen Giebelwand offenen Raum, auf dem gedroschen wird und dessen Boden deshalb meist aus gestampftem Lehm, nicht selten aber auch aus Steinpflaster besteht. Diese Dehle ist ein ganz charakteristischer Bestandtheil des sächsischen Hauses. Sie ist in der Regel so breit, daß ein mit vier Pferden bespannter Erntewagen bequem darin einfahren kann (im vorliegenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_764.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)