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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

herauf. Die auf den Ackerfeldern beschäftigten Landleute eilten nach vollendeter Arbeit ihren Wohnungen zu, die Heerden zogen heimwärts, der Vogelgesang verstummte nach und nach, und still und immer stiller wurde es auf der Feldflur.

Dagegen entfaltete sich in dieser Stunde in den grünen Gehegen des mit Vedetten umstellten Reichenbacher Waldes ein heiteres Treiben, ein frisches, fröhliches Leben. Auf einem von alten Buchen und Eichen umschlossenen freien Platze brannte ein mächtiges Feuer, das grell die bunte Scenerie beleuchtete, die den Wald belebte. An der einen Seite des geräumigen Platzes standen die Pferde des Detachements, lebhafte und kräftige Thiere, die ihre Rationen aus den vorgebundenen Freßbeuteln mit dem besten Appetit verzehrten. Hinter ihnen lag das Sattel- und Zaumzeug in einer wohleingerichteten Linie, in einer zweiten Reihe glänzten die Waffen der Reiter, die, mit Ausnahme der Stall- und Lagerwache, ungebunden in den dunklen Laubgängen umherschwärmten. Das lebhaft brennende Feuer war von allen Seiten mit den verschiedenartigsten Kochapparaten umstellt, mit Feldkesseln, Töpfen, Kasserolen, Pfannen und Bratspießen soldatischer Erfindung, was zu der Vermuthung führte, daß in dem Bivouak ein substanzieller Comfort herrschte, der selbst dem verwöhntesten Gaumen Befriedigung versprach.

Diese Vermuthung war vollständig begründet. Die kühnen Freiwilligen hatten nämlich vor einigen Tagen bei Roda im Altenburgischen einen reich beladenen würtembergischen Wagenzug weggenommen, der mit Bekleidungsstücken und Victualien befrachtet war. Da wurden nun die verschiedensten Gerichte: Setzeier, Pfannkuchen, Beefsteaks oder Hammelsrippchen unter dem Beirath der schönen Damen bereitet, die aus der ganzen Umgegend in das Bivouak gekommen waren, um den preußischen Weglagerern ihre Sympathien zu bezeugen. Der Jubel war grenzenlos, der Widernapoleonismus der braven Bevölkerung machte sich in den kühnsten Demonstrationen Luft, obgleich der Rittmeister die freudig erregten Leute darauf aufmerksam machte, daß sie sich dadurch den übelsten Folgen aussetzten. Das Bivouak verwandelte sich in ein Lustlager, es wurde getrunken, gesungen, getanzt, und die kecken Jäger bedienten die Damen mit der ritterlichsten Courtoisie.

Eine kleine Gesellschaft musikalischer Dilettanten, an welchen Sachsen so reich ist, improvisirte unter einer Gruppe alter Föhren ein Concert. Zwei Mandolinen, eine Violine und eine Flöte führten zunächst einige Tanzstücke aus. Nachdem dies geschehen, erhob ein junges Mädchen ihre Stimme; sie sang zur Mandoline ein patriotisches Lied. Die Augen der Umstehenden begannen zu funkeln, Feldmützen und Hüte flogen in die Luft. Die Sängerin schwieg. Ein rasender Applaus erschütterte den Wald, ein Donner der Begeisterung, ein jubelnder Dank für das Arndt’sche Sturm- und Freiheitslied, welches die deutsche Jungfrau mit glockenreiner Stimme und richtiger Betonung vorgetragen hatte.

An einer anderen Stelle lagerte eine Gruppe Jäger, die unter studentischen Formen dem Bacchus so manche Libation darbrachten. Ein mächtiges mit Frankenwein gefülltes Trinkhorn kreiste fleißig in der lustigen Runde und wurde, wenn es geleert war, aus einem Fäßchen gefüllt, das die umsichtige Marketenderin des Detachements aus Neustadt an der Orla mitgeführt hatte.

Der Oberjäger von Heuthausen, ein junger Mann mit offnen, kecken Zügen, der die Pandekten mit der Kugelbüchse vertauscht hatte, richtete sich aus seiner liegenden Stellung auf, und das volle Trinkhorn schwingend, rief er mit einer Stimme, die wie tönend Erz erklang: „Cameraden, ich trinke in diesem Wein auf den Tod und das Verderben jener diplomatischen Ischariothe, welche die Erhebung des deutschen Volkes paralysiren, den Freiheitskampf in die ausgefahrenen Geleise eines nüchternen Cabinetkrieges hinüberleiten, die freiheitlichen Blüthen von den Bäumen schlagen möchten, bevor sie zu Früchten werden können. Pereant die uniformirten und nichtuniformirten Metterniche des preußischen Hauptquartiers!“

Pereant!“ schallte es weit über den Platz hinaus; das Trinkhorn machte die Runde und wurde bis auf die Nagelprobe geleert.

Der Jäger Föring, der von dem Comptoirstuhl auf den Rücken eines Husarenpferdes gestiegen war, schlank und leicht gebaut, sein Haar hell, seine Augen blau und tief, ließ das Trinkhorn von Neuem füllen. Der kaum siebenzehnjährige Jüngling besaß die volle Neigung seiner Cameraden; immer guten Muthes war er stets Hahn im Korbe. Er hob das randvolle Trinkhorn gegen den abendlichen Himmel und mit dem musikalischen Accent seiner Heimath Schlesien rief er: „Es leben die Männer der That, die Kraftgenies in den Reihen der schlesischen Armee! Hoch Scharnhorst, Gneisenau und Boyen, und drei Mal Hoch Blücher, der Roland der Schlachten!“

Ein kräftiges Hurrah tönte durch den Wald und fand einen hundertfachen Widerhall in der enthusiastischen Beistimmung, womit es von den auf dem Platz zerstreuten Jägern und ihren Gästen aufgenommen wurde. In diesem Augenblick trat der Rittmeister in den Kreis der begeisterten Zecher. Jugendkräftig wie ein Achill, blickte er mit einem Gesicht voll freundlichen Wohlwollens auf die jüngern Cameraden, die sich achtungsvoll erhoben hatten und ihrem Commandeur in militärischer Haltung gegenüberstanden.

„Auch das haben die Herren mit den homerischen Helden gemein, daß sie sich nach dem Kampfe bei dem lecker bereiteten Mahle versammeln,“ sagte er lächelnd, indem er auf einen gebratenen Kapaun zeigte, den die flinke Marketenderin soeben servirte.

„Es ist leicht ein Tapferer zu sein,“ entgegnete Heuthausen, „wenn man einen Führer hat, wie ihn uns das Glück bescheert.“

„Lassen wir die Complimente,“ unterbrach ihn der Rittmeister, „und machen wir’s uns bequem. Nehmen Sie Ihre Plätze wieder ein, meine Herren, und erlauben Sie mir, daß ich mich in Ihre fröhliche Runde einreihen darf.“

Sich behaglich auf den weichen Rasen hinstreckend, setzte er freundlich hinzu: „Föring wird so gütig sein, den Kapaun zu tranchiren. Er weiß ja sonst so prächtig mit den Gallischen Henningen umzugehen, daß es ihm nicht schwer werden wird, mit diesem vaterländischen fertig zu werden.“

Der Kapaun und einige appetitliche Beigaben wurden ohne jedes Ceremoniel verzehrt. Der reichlich dargereichte Wein würzte das Mahl und regte die bereits gehobene Stimmung noch mehr an.

Der Rittmeister ergriff das Trinkhorn, hielt es hoch empor und rief: „Ich trinke auf das Wohl der todesmuthigen preußischen Jugend, die in freier Selbstbestimmung und mit dem Jubelruf: Krieg, Krieg für Freiheit und Vaterland! unter die Fahnen eilte. Geloben wir tödtlichen Haß dem Franzosenthum und seinem despotischen Gewalthaber. Dieser Haß muß der Brennpunkt werden, in dem alle die zerstreuten Flämmchen sich zusammenfinden, die der heilige Sturm, der durch das Land geht, ausstrahlt. Hoch das thatkräftige Preußen und seine nach Kampf und Sieg lechzende todesmuthige Jugend!“

Der Enthusiasmus, den diese Worte entzündeten, machte sich in Toasten Luft, welche erkennen ließen, wie heiß diese Jünglinge das Vaterland liebten, wie tief sie den Unterdrücker der deutschen Nation haßten. Die edelsten Gelübde, begeistert gethan und schön erfüllt, wurden laut ausgesprochen, denn noch war die Zeit nicht da, welche, was in diesen Völkerfrühlingstagen eine Tugend war, zum Verbrechen stempelte und die deutschen Jünglinge wie Verbrecher hetzte, weil sie die freiheitliche und nationale Entwicklung zeitigen wollten, für welche sie gekämpft und geblutet hatten.

Ruhig ließ der Rittmeister das Feuer, welches er selbst angefacht hatte, ausbrennen; als man aber ein Lebehoch auf sein Wohl mit sinnigen und tief empfundenen Worten ausbrachte, unterbrach er den Redner, und während ein wunderlicher Ausdruck, aus Humor und Gereiztheit gemischt, durch seine Züge ging, sagte er: „Wissen Sie schon, meine Herren, daß die Majestät in Kassel im westphälischen Moniteur auf mich, weil ich in Ostfriesland geboren bin, als einen davongelaufenen ,Brigand‘ fahnden läßt?“

„Mag er kommen, dieser Komödiant im Purpurmantel, dies Zerrbild eines deutschen Königs, und Sie aus unserer Mitte wegholen!“ entgegnete Föring, während sich seine Rechte unwillkürlich um den Griff seines Säbels legte. „Wenn er und seine Schergen, die um ihn herumkriechen, um seinen Speichel zu lecken und sich von ihm mit Füßen treten zu lassen, dazu aber nicht den Muth haben, so möchten wir schon entschlossen sein, der grotesken Majestät in Kassel eine Visite abzustatten. Die Artigkeit, womit er Sie, Herr Rittmeister, behandelt, macht es uns zur Pflicht, ihn nicht zu lange warten zu lassen.“

„Ein Zug nach Kassel gehört nicht zu den Unmöglichkeiten,“ erwiderte der Rittmeister. „Ich würde mich nicht lange besinnen, denselben in Ausführung zu bringen, wenn ich bei den Hessen dieselbe deutsch-patriotische Gesinnung voraussetzen dürfte, welche die brave thüringische Bevölkerung uns entgegenbringt. Darüber muß ich mich erst orientiren; doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_766.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)