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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die fast sämmtlich sich um ein ehemaliges Kloster, eine Burg oder Pfarrkirche entwickelt haben, allein dieses Land ist sehr unbedeutend und besteht nur aus einzelnen Stücken, die von benachbarten Höfen gekauft oder gepachtet worden sind. Die Hauptbeschäftigung dieser Stadt- und Dorfbewohner ist daher auch nicht der Ackerbau, sondern sie sind meist Krämer, Wirthe und andere Gewerbtreibende – gehört doch selbst die Stätte, worauf ihr Haus (Wort) steht, nicht ihnen, sondern einem andern Grundherrn, der für die Überlastung derselben einen Grundzins (Wortzins) bezieht. Diese erst spät entstandenen Städte und Dörfer sind also Ausnahmen, ursprünglich war das Land mit lauter Einzelhöfen besiedelt.

Bauernhaus in Altbernsdorf bei Bernstadt in der Oberlaustiz.

Der Schilderung des Einzelhofs sei hier der Grundriß einer bestimmten Hofflur zu Grund gelegt, der des Schulzenhofs Gaffel in der Gemeinde Ueberwasser, nordwestlich von Münsters.

Von den Buchstaben bezeichnen a die Ackerkämpe, wi die Wiesenkämpe, w die Weidekämpe, h die Holzkämpe. Von den Zahlen bezeichnet 1 die Hofstätte mit ihrem ringsherum laufenden Wassergraben; 2 die Wohnung des „Plaskötter“, nämlich eines Tagelöhners, der zum Hof gehört; 20 eine Quelle, von der ein Wassergraben ausgeht; 21 die beim Hof vorbeiziehenden Wege. Wir sehen also, mitten im Hofgut liegt die Hofstätte mit den Wirthschaftsgebäuden, und rings um diese schließen sich die Hofgründe an, Acker und Wiese, Weide und Holz in buntem Gemisch. Alle diese Gründe sind in einzelne Stücke von verschiedenster Größe (ein bis zehn Morgen) zertheilt und zwar, nach den unregelmäßigen Formen zu schließen, in größter Willkür. Diese einzelnen Stücke

Der Hof eines Bauerngutes in Altbernsdorf bei Bernstadt in der Oberlausttz.

nun werden Kämpe genannt und jeder Kamp wird vom andern durch Graben und Wall getrennt, der Wall aber ist mit einer Hecke bepflanzt und der Zugang mit einem Schlagbaum verschlossen. Dies ist aber nicht blos bei den Aeckern und Wiesen der Fall, sondern auch die Holz- und Weidekämpe haben dergleichen Verschluß. Selbst in der Benutzung dieser Kämpe findet zuweilen ein Wechsel statt; ein Ackerkamp bleibt wohl einmal zur Wiese liegen und ein Wiesenkamp wird zu Land umgebrochen. Liegt der Acker „triesch“, so dient er als Viehhut – der Schlagbaum vertritt die Stelle des Hirten. Die Wallhecken aber werden nach einem gewissen Kreislauf von etwa fünf Jahren nach und nach ausgehauen und liefern dem Besitzer den größern Theil seines Brennmaterials. Insoweit ist die Abgeschlossenheit des Einzelhofs vollständig durchgeführt. Es giebt jedoch einzelne Theile des Grundbesitzes, welche früher Gemeingut mehrerer Höfe waren und zum Theil noch sind. Diese Bestandtheile des Grundbesitzes liegen aber außerhalb des Hofgrundes: es sind Haide und Moor oder Holz oder kleine Waldstücke (Busch). Wo die Haide sich nun zum Fruchtbau eignete, hat man sie in neuerer Zeit umgebrochen und in einzelne Ackerstücke getheilt. Dies sind die sogenannten Eschen (esk), und für diese offen liegenden Feldstücke hat sich denn auch die Feldgemeinschaft gebildet, wie in den eigentlichen Dorffluren. Sie sind daher, auch vermessen, so daß man bei ihnen von Morgen und Ruthen Landes spricht – Bezeichnungen, von denen bei den Ländereien in den Kämpen ebensowenig die Rede ist, wie von Hufen.

Die Baumgruppen um den Einzelhof und die zerstreut durch die Hofflur liegenden Hölzer und Wallhecken sind es besonders, die

Grundriß des Schulzenhofs Gaffel im Münsterlande.

dem starr und streng abgeschlossenen Ganzen doch wieder einen eigenthümlichen, wechselvollen, ja poetischen Charakter verleihen und gegen das ermüdende Einerlei der Feldfluren im sonstigen Flachland sehr vortheilhaft abstechen. Starr und streng aber schließt sich dieser nordwestphälische Einzelhof ab, das ist nicht zu leugnen. Wie der Wassergraben um die Hofstätte darauf hinweist, daß vordem hier ein Geschlecht saß, das Grund hatte sich gegen feindliche Angriffe zu vertheidigen, so trägt auch die ganze Anlage des Gutes etwas Kraftvolles, Herrisches, Eigenmächtiges, Sichselbstgenügendes. Wer auch zuerst dies Land besiedelt haben mag, ob die Sachsen, die es jetzt innehaben oder – was viel wahrscheinlicher ist – ein anderes nichtdeutsches Volk, das von den Sachsen später vertrieben wurde – es waren freie, streitbare Männer, welche die Einzelhöfe gründeten. Aber so frei sie auch waren, sie hatten doch ihren Herrn, und das war ihr eigen Besitzthum, der Einzelhof selbst. Das Gut selbst ist nämlich im nördlichen Westphalen ein so übermächtiges, wichtiges Ding, daß davor die Persönlichkeit des Besitzers ganz zurücktritt, und das geht soweit, daß bis auf diesen Tag der Name des nordwestphälischen Bauern in seinem Gute ausgeht. Der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_779.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)