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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die Hirtenbuben gedungen werden und zwar je für eine Sommerszeit, so daß die Zuzügler im Spätherbst mit ihrer Errungenschaft wieder in’s Heimaththal zurückpilgern können. Im schönen Monat Mai stellen sich die Sensenhändler ein, im Glarnerlande, im Appenzellschen der Schweiz und allenthalb in Baiern und Schwaben. Zur größeren Ehre und genauern Charakteristik dieser Sensenmänner muß noch erwähnt werden, daß sie sich durch merklich vornehmere Gebehrde, Haltung und Sprache vor den andern Auswanderern des Thales vortheilhaft auszeichnen. Auch die Mädchen suchen sich zur Zeit der Ernte für ihre zarten Hände einen geeigneten Erwerb aus, nämlich das Aehrenlesen. Da schlendern sie zu Hauf nach Schwaben hinaus und bringen daselbst den Tag ährenlesend auf den Getreidefeldern, die Nacht schlummernd und träumend in den Heuscheuern zu. Ist die Erntezeit vorüber, so sammeln sich die Jungfrauen wieder alle zu Leutkirch, miethen mehrere große Leiterwagen, laden das aus den gesammelten Aehren gewonnene gute Schwabenkorn in Säcken auf und fahren singend zurück in’s Montavon. Es hat sich indessen auch schon zugetragen, daß eine oder die andere ährenlesende Montavoner Ruth einen schwäbischen Boas berückte und nicht mehr in die heimathlichen Berge zurückkehren mochte.

Wer von den Männern den Frühling und Sommer über durch Feld- und Ackerbau, Viehzucht und Alpenwirthschaft daheim gehalten wurde, zieht Ende Septembers noch thalauswärts in die weite Welt auf den – Krautschnitt, d. h. nicht auf das Absicheln oder Abschneiden der in Gärten und Feldern prangenden Krauthäupter, sondern auf deren Umwandlung zu delicatem Sauerkraute. Ja auch mancher Maurer, der beim Beginn des Lenzes nach Frankreich gezogen, macht sich plötzlich auf um diese Zeit, verläßt die üppigen Fluren an der Rhone und eilt zurück über den Rheinstrom und so fort und fort heim nach Gaschura oder Partenna zu Füßen des riesigen Vermont Gletschers, und nach nur drei- oder viertägigem Aufenthalte bei seiner „Husehr“ rüstet er sich auch schon auf den Krautschnitt. Von dem aus Frankreich mitgebrachten Häufchen gelber Napoleone werden drei bis vier Stücke als Zehr- und Reisepfennige aufgehoben, die übrigen aber vorsorglich im Wandschranke deponirt; die blaue Maurerblouse wird gegen eine graue Joppe ausgetauscht, die schwarze Zipfelkappe weicht einem flotten grünen Tirolerhut, die gemeine Pflasterkelle wird aus der Hand gelegt, und dafür ein blanker sechsmesseriger Krauthobel auf den Rücken geschnallt. Ein Ledersack mit verschiedenartigem Marend (Speck, gedörrtem Fleisch und Obst, Käse, Kirschengeist etc.) wohl gespickt, schützt ihn unterwegs vor theurer Wirthshauszeche, und ein tüchtiger Bergstock unter dem Arme hilft ihm gelegentlich bei steilen Pfaden unterstützend nach. So schreitet denn der Montavoner Krautschneider in Tirolercostüm bedächtigen Schrittes und gemüthlich seine Pfeife rauchend, ganz so wie es unser Bildlein darstellt, hinaus durch das Thal der gletschermilchenden Ill entlang und denkt schon an das reichgesegnete Banat tief unten im Ungarnlande, oder an das stolze Köln am Rhein und die großen Krautköpfe, die heuer daselbst gewachsen, und an den künftigen Gewinn seines Schweißes.

Wie? Banat, Rheinlande? Ja, in allem Ernste gesagt, das ganze große Gebiet zwischen Rhein und Theiß, zwischen Saar und Oder beherrschen die Montavoner Krautschneider, und sie theilen sich so ziemlich friedlich in diese großen Länderstrecken. Eine Gruppe von zehn bis zwölf Hoblern nimmt sich z. B. Wien und Umgebung zu ihrem „Revier“; jeder einzelne aber hat sein eigenes „Gäu“ in diesem Reviere als: den Graben und Kohlmarkt in der inneren Stadt Wien, die Vorstadt Wieden, oder Weidling am Bach, oder Penzing und Hitzing und wie die freundlichen Dörfer und Städtchen in der Umgebung der österreichischen Kaiserstadt heißen. Natürlich die meisten Reviere und folglich auch die meisten Gäu haben sie sich in dem lieben Kaiserstaate ausgesucht, und wohl die meisten größern Städte der Monarchie: Agram, Peterwardein, Temesvar, Szegedin, Kaschau, Ofen-Pesth, Preßburg, Graz, Wien, Brünn, Prag, werden allherbstlich von ihnen befahren. Doch auch München, Ulm, Augsburg, Tübingen, Stuttgart, Carlsruhe, Mannheim, ja selbst mancher größere und kleinere Ort des deutschen Norden und Nordwesten sind von den Montavonern gesuchte und gepriesene Krautschnittstationen. Einzelne tragen den Hobel selbst bis nach Holland, bis nach Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen, in die wallonischen Lande, nach Brabant, Hennegau, Luxemburg und in das liebe, ehemals so recht gutdeutsche Elsaß, nach Kolmar und Straßburg.

Man will übrigens behaupten, daß die Züge der Montavoner Krautschneider an Ausdehnung eher ab-, als zunehmen; noch vor zwanzig Jahren setzten etliche Verwegene bei Belgrad über die Save und streiften bis vor die Thore Stambuls, und massenhaft sanken die türkischen Kabishäupter unter Montavon’s vielschneidigem Hobel. Zur selben Zeit führten sie außer Hobel und Marendsack noch zwei mächtige Holzschuhe mit, in ein kirschblüthenweißes Tüchlein eingebunden; diese Schuhe benutzten sie, um das geschnittene fest in die Tonnen einzustampfen.

Es wurde oben kurz erwähnt, daß sich die krautschneidenden Montavoner in das im Herzen Europas auserkorene Ländergebiet so ziemlich friedlich theilten; mit dem soll aber nicht gesagt sein, daß nie unliebsame Mißhelligkeiten wegen Grenzverletzungen, Annectirungen („in’s Gäu go,“ sagt man von solchen Uebergriffen im Krautschneider-Idiom), Vertragsbrüchen etc. vorgekommen wären. So kam just im laufenden Jahre beim k. k. Bezirksamte in Schruns, dem Hauptorte Montavon’s, folgende Civilklage vor: A. verklagt B., weil dieser dem Erstern, der durch viele Jahre die Provinz Westphalen als seinen Krautschnitt Gäu bereiste, für Ueberlassung dieser Provinz und Anhandgabe des bezüglichen Ueberlassungsbriefes jährliche sechs Gulden ö. W. oder sechs Tage Holzarbeit zu leisten vor Zeugen versprochen habe. B. habe nun seit drei Jahren den Krautschnitt ausgeübt und gute Geschäfte gemacht, stehe dagegen mit der versprochenen Zahlung jährlicher sechs Gulden oder der Leistung der versprochenen Holzarbeit im Rückstande. A. stellt somit das Klagebegehren, es wolle zur Verhandlung dieser Rechtssache Tagsatzung bestimmt und sohin durch Urtheil zu Recht erkannt werden: B. habe bei Executions-Vermeidung dem A. für die letzten drei Jahre achtzehn Gulden binnen vierzehn Tagen zu bezahlen, auch für die Folge jährlich sechs Gulden oder drei Tage Arbeit zu leisten, oder aber ihm die Provinz Westphalen zurückzustellen.

Es ist nun aber Zeit auf das eigentlich praktische Thema, Geldpunkt, zu kommen. Das Einkommen eines Krautschneiders besteht durchschnittlich in einer Kopfsteuer, die er in seinem jeweiligen Gäu erhebt; sie ist je nach Gäu und Kopf verschieden. Das reine Einkommen während einer ganzen Schneidezeit (acht bis zehn Wochen) beläuft sich auf etwa hundert Gulden, ein ordentliches Sümmchen für die kurze Zeit, wo auch noch ohnehin zu Hause nichts versäumt wurde. Die Mühsal eines Krautschneiders ist übrigens keine geringe; sobald nämlich in einem Gäu einmal der Ruf erschollen: „Der Krautschneider ist da!“ so regen all’ die bekümmerten Hausfrauen und Köchinnen ihre fleißigen Hände und putzen und höhlen die Köpfe, und sind sie damit fertig, so will jede zuerst bedient sein, um baldmöglichst den Schweinrippchen solide und schmackhafte Unterlage unterbreiten zu können. So geschieht es, daß sich die Arbeit für den Krautschneider manche Woche außerordentlich häuft und er von des Morgens Grauen bis tief in die Nacht hobeln und immer hobeln muß – gewiß eine ermüdende Arbeit. Die billigdenkenden Rheinländerinnen aber und die gutherzigen Oesterreicherinnen sehen das auch zur Genüge ein und spenden ihrem armen Krautmann neuen Wein in Hülle und Fülle; jener spricht natürlich dem erquickenden Naß tapfer zu unter der schalkhaften Behauptung: „Je mehr dem Hobler Wein, desto besser wird das Kraut gegohren sein.“

Der Werth eines gewöhnlichen Krauthobels wird auf sieben bis neun Gulden berechnet, der eines Küchenhobels auf zwei bis vier Gulden. Es ist nämlich zu wissen, daß der recht praktische und geschmeidige Krautschneider außer dem großen Hobel auch noch ein apartes, kleines „Höbele“ mitführt, mit dem er Abends nach vollbrachtem Tagewerk in den Küchen saubern Kochkünstlerinnen gefällig noch Salat, rothe Rüben, Rettige und verschiedenes Wurzelwerk zusammenhobelt, um vor dem süßen Schlummer noch ein „Nebenverdienstle“ mitzunehmen.

Die Hobeleisen verfertigt der Schmied in Schruns für den ganzen Bedarf des Thales. Es sei das Anfertigen mit gewissen Kunstgriffen verbunden, behauptet man insgemein; aber eine weit höhere Kunstfertigkeit erheische das Schärfen der Eisen, das „Dengeln“ (mittels Dengelstock und Hammer nach Art der Sensen), auf das sich aber gleichwohl gar mancher Montavoner vortrefflich versteht. Auch die Rahmen, die „Gefäße“ zu den Hobeleisen, fertigen die einheimischen Schreiner meisterlich aus Buchenholz, und so fürchtet man denn eigentlich in Montavon die Concurrenz mit andern Hobeleisenschmieden und Hobelmachern nicht, bedauert es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_795.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)