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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

That ein Amazonenreich gegründet werden, dem nur das Ausbrennen der Brüste fehlte, um ganz dem einer Myrina oder Hippolyta oder Penthesileia zu gleichen. Indeß das blutige Project scheiterte an dem natürlichen Instinct der Frauen, die alle ihre angeborne List hervorsuchten, um das Mordedict ihrer Königin zu umgehen. Sie sah sich selbst gezwungen, ihre Befehle zurückzunehmen und das Gebot der Tödtung allein auf die im Kriege gefangenen Kinder zu beschränken. Später soll sich diese männermörderische Fürstin für das Scheitern ihrer Pläne dadurch entschädigt haben, daß sie sich zahlreiche Liebhaber hielt und, wenn sie deren überdrüssig geworden – verspeiste.

Daß Afrika heutzutage das gelobte Land der Amazonen ist, giebt uns eine Andeutung, daß zur Zeit, als jene Damen lebten, von denen die großen Dichter der Griechen singen, die Heldinnen, die nur von Halbgöttern besiegt wurden, die Cultur Europa’s wohl kaum auf einer höheren Stufe stand, als die der heutigen Neger von Dahome oder vom Kongo – ein Wink für unsere emancipationslustigen Damen, daß, was sie erstreben, nicht einen Culturfortschritt, sondern einen Culturrückschritt bedeutet. Die einzigen würdigen Amazonen unserer Zeit sind nicht die Gorgonen, aber auch nicht die Blaustrümpfe, sondern die mit dem Gürtel der Anmuth eine weit dauerndere Herrschaft über die Männerwelt erkämpfenden Frauen.

Otto Ule.  




Ein Merkstein katholischen Zusammenwirkens.

Wir Deutschen gefallen uns oft darin, den Franzosen ihren Mangel an geographischen Kenntnissen vorzuwerfen. Erzählt man doch, daß Goethe 1807 in Erfurt die vom Standpunkt französischer Höflichkeitsregeln unverzeihliche Grobheit begangen habe, zu Napoleon dem Ersten zu sagen: „Sire, das Charakteristische Ihrer Nation ist theils die Urbanität und Geistreichheit, theils die Unwissenheit in der Geographie!“

Gleichwohl dürfte es vielen Deutschen schwer fallen, sich vor gleichen Vorwürfen der Unwissenheit zu wahren, wenn sie über die Geographie Frankreichs befragt würden. So glaube ich, daß eine Menge unserer Leser heute zum ersten Mal von der merkwürdigen Stadt Le Puy hören, welche doch eine Hauptstadt des früheren Landes Velay oder der südlichen Auvergne, jetzt des Departements der oberen Loire ist. Mir wenigstens, ich gestehe es frei, war diese Stadt fast nur aus den Schriften der Geologen, besonders Lyell’s, bekannt, welche berichten, daß sich daselbst jene vulcanischen Erscheinungen, welche das ganze Gebirg der Auvergne berühmt machen, in besonders interessanten Vorkommnissen finden und daß man dort in vorsündfluthlichen Kalklagern, noch unterhalb uralter Lavaströme, auch Menschenknochen, den sogenannten „fossilen Menschen von Denise“, aufgefunden und aufbewahrt habe.

Als ich im heurigen Sommer die erloschenen Vulcane der Auvergne und ihre aufblühenden Thermalbäder (Vichy, Mont d’Or, Royat etc.) besuchte, las ich am Schlusse meines vortrefflichen Reisebuches die Aeußerung: „Wenn man einmal so weit gereist sei, solle man nicht versäumen, das in seiner Art einzige Panorama von Le Puy zu sehen.“ Da ich nun ohnedies nicht gern denselben Weg rück- wie hinwärts mache, so beschloß ich, die Eisenbahn zu verlassen und quer durch das Land mit Post von der Endstation Brioude über Le Puy nach St. Etienne zurückzureisen. So geschah’s. Ich fuhr hoch oben auf der Banquette der Diligence, dem einzigen Platz, von wo man nicht nur das ganze Land schaut, sondern auch den Charakter des Volks am besten kennen lernt. Denn im Coupé und in den ersten Classen der Eisenbahnen ist der heutige Franzos ein höchst schweigsamer, ängstlich zurückhaltender Reisegefährte, welcher jedes Gespräch kurz abbricht oder am liebsten ganz vermeidet.

Wir waren soeben bei dem auf riesigem, schroffem Basaltfelsen prangenden alten Stammschlosse der Fürsten Polignac vorbeigefahren, als ich meine Reisegefährten fragte, ob nicht hier in der Nähe ein Dorf Namens Denise liege. Man belehrte mich, daß Denise kein Dorf sei, sondern ein Berg, und zwar der, auf welchem unser Wagen eben hinfahre. In der That zeigte sich bald, was ich suchte. Der Berg besteht aus zwei hohen Schichten, von denen die obere eine schwarze, säulenförmige Lavamasse, die untere eine milchweiße Kalkbildung ist. Beide sind, dicht neben der Chaussee, durch einen gleichzeitig oben und unten betriebenen Steinbruch erschlossen, und der unten lagernde Kalkstein ist vermuthlich derselbe, in welchem der „fossile Mensch“ gefunden worden, welchen ich Tags darauf in dem Museum von Le Puy besichtigen konnte. Im Weiterfahren belehrten mich meine Reisegefährten, daß wir jetzt zur „Grotte des Eremiten“ kämen. Dies war weiter nichts, als eine Schlucht oder ein Engpaß, gebildet durch eine zweite, neben dem Berge Denise emporstrebende kuppelförmige Lavamasse. Aber indem wir durch diese Schlucht herumbogen, eröffnete sich plötzlich das wirklich überraschende und nach meinem Reisehandbuche „einzige“ Panorama, welches ich dem Leser in beifolgender Abbildung vorführe.

Die Stadt Le Puy (das heißt der Pik, daher man sagt: je vais au Puy, je viens du Puy etc.) liegt auf einem flachpyramidalischen Berge terrassenförmig aufsteigend, inmitten eines doppelten Kessels erst niedrigerer, dann höherer Berge, beide stellenweise mit vulcanischen Kegeln oder scharfabgeschnittenen Lavafelsen besetzt. Der Gipfel des Berges ist seit mehr als tausend Jahren ausschließlich von der Geistlichkeit besetzt, welche daselbst eine Menge von Kirchen, Klöstern, Hospitälern etc. inne hatte und noch inne hat. Den untern Berg und seinen Fuß nimmt die Handel- und gewerbtreibende Bürgerschaft ein. Beide Stadttheile sind seit alten Zeiten in Sitten, Rechten und Ansprüchen, oftmals sehr scharf, geschieden gewesen. Eine große Kathedrale krönt den Gipfel. Aber hoch über den Thürmen derselben ragt noch eine grauschwarze vulkanische Felsmasse empor, der „Felsen oder Dyck von Corneille“ genannt, welche eben den Namen „Le Puy“ veranlaßt hat. Eine andere solche Felsmasse oder Dyck[1], noch grotesker und völlig zuckerhutähnlich geformt, ragt unterhalb des Berges aus einer Vorstadt empor und ist mit einer dem Erzengel Michael gewidmeten Kirche besetzt, woher sie den Namen „Aiguille de St. Michel“ erhält; im Heidenthum war hier ein Mercur-Tempel. Die alten Heidenbekehrer haben an die Stelle dieses geflügelten Götterboten in der Regel und klugerweise den ebenfalls geflügelten Erzengel gesetzt.

Der näher um die Stadt herumziehende niedrigere Bergkreis ist zur größeren Hälfte von Weinbergen, mit zahlreichen Land- und Winzerhäuschen, malerisch besetzt, und an seinem Fuß schlängelt sich die hier noch kleine Loire. Auf der anderen Seite bilden Wälder, Felder, Villen, Dörfer etc. eine belebte Aussicht. Im Hintergrunde sind dann die dunkleren höheren Berge mit ihren Kuppen. Das Ganze giebt daher, verbunden mit dem grotesken Anblick der schwärzlichen Felszähne oder Dycks, ein eigenthümliches Bild, mit dessen Beschreibung ich jedoch den Leser nicht ermüden will.

Dasjenige aber, was neben diesen Naturschönheiten sofort den Blick des Reisenden auf sich zieht und dauernd fesselt, ist ein Menschenwerk, nämlich ein riesengroßes Standbild, welches auf der Spitze des obengenannten „Dyck von Corneille“, also hoch über allen Kirchthürmen in den Himmel hinausragt. Dies ist die Riesenstatue der Himmelskönigin, seit fünf Jahren dort oben aufgerichtet, weit und breit im Lande als „Notre Dame de France“ berühmt und verehrt, in künstlerischer und kulturgeschichtlicher Hinsicht merkwürdig, aber gleichwohl, soviel mir bekannt, von unseren deutschen Blättern bisher noch gar nicht in Betracht gezogen. Sie ist ein Merkstein, theils für den Einfluß der Geistlichkeit im heutigen Frankreich, theils für die Höhe seiner Technik, theils für die Regentenklugheit seines Kaisers.

Der Erste, welcher die Idee einer solchen Schöpfung öffentlich aussprach, war ein Abbé Combolat, der in einer am 27. Juli 1850 zu Puy gehaltenen Predigt darauf aufmerksam machte, wie schön sich auf dem kahlen, vordem als Festungswerk benutzten Felsenkegel Corneille eine Statue der heiligen Jungfrau ausnehmen würde. Der Bischof von Puy, Monseigneur de Morlhon, ergriff diesen Gedanken mit Energie. Er ernannte am 5. März


  1. Unter Dyck oder Dyke versteht man in jenen Gegenden (Auvergne, Cantal, Belay) gewisse scharfabgeschnittene, einzelnstehende Felskegel oder Würfel, aus vulcanischem Gestein, meist Lavaconglomeraten gebildet, welche, wie man vermuthet, inmitten großer Auswaschungen stehen geblieben sind. Sie sind, meist mit alten Ritterburgen oder Kirchen besetzt, weithin sichtbar.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_811.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)