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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Jahre nachher sich producirendes junges, sehr hübsches Mädchen, die Tochter des dänischen Zauberkünstlers Bils, also eine Dänin. Sie trat unter der Bezeichnung der „sechzehnjährigen Schwedin“ auf, indem sie zu Bären, Hyänen und Leoparden in den Käfig ging und mit ihnen das oft gesehene afrikanische Gastmahl aufführte. Sie schien sich nicht sehr glücklich in der wohl nicht ganz freiwillig gewählten Thätigkeit zu fühlen und mochte auch kein rechtes Talent dazu haben, womit ich ihr keineswegs zu nahe treten will. Lange hat sie darum nicht gethierbändigt, denn sie ist schon seit geraumer Zeit glückliche Gattin geworden. Für die Menagerie schien aber seitdem das Auftreten einer sechzehnjährigen Schwedin zur Nothwendigkeit geworden zu sein, und Herr Kreutzberg hat es verstanden, für doppelten Ersatz zu sorgen. Zunächst war es die eine seiner eigenen Töchter, welche die Reisen der Menagerie begleitete und in das Geschäft mit eintrat. Ziemlich gleichzeitig aber dürfte unsere Heldin der Menagerie durch das Schicksal zugeführt worden sein, und zwar als Kreutzberg die Städte Rußlands besuchte. Unsere Dame war bis dahin als Sängerin gereist, und noch jetzt rühmt man ihre schöne Stimme. Ob nun die kühne Sängerin und der Schwedinsuchende Herr Kreutzberg sich in Riga oder Petersburg trafen und fanden, dürfte gleichgültig sein; genug, unsere Heldin brach mit ihrer Vergangenheit, denn, so sagte sie einst zu mir, „wenn man jetzt kommen will durch die Welt, so muß man haben Courag!“ So reist sie denn bereits seit einigen Jahren nun in Begleitung der Bestien und hat bis Ostern dieses Jahres gewöhnlich in den Vorstellungen mit Fräulein Kreutzberg abgewechselt. Dabei war aber fast immer die „junge Schwedin“ angekündigt, so daß damals wohl Mancher die wahre gar nicht zu Gesicht bekam.

Seitdem ist dies anders geworden. Fräulein Kreutzberg hatte in letzter Ostermesse das Unglück, bei einer der Vorstellungen von einer Hyäne in den Arm gebissen zu werden, so daß sie zur Heilung ihrer Wunde in Leipzig zurückbleiben mußte, und, wie mir der Vater sagte, nicht mehr mitwirken wird. (Beiläufig hier gleich die Bemerkung, daß merkwürdigerweise gerade diese Hyäne von dem noch zu erwähnenden Löwen Leo bei einer Vorstellung todtgebissen wurde; zugleich ein Beweis, daß die Nemesis überall waltet, in der Menagerie so gut wie sonstwo.) Nunmehr ist unsere Heldin wieder die alleinige Schwedin geworden, und gerade dieses Jahr sollte ihren Ruhmeskränzen neue hinzufügen.

Die Leser der Gartenlaube werden sich vielleicht erinnern, daß ich ihnen vor einem halben Jahre die Vorstellung, welche Batty mit seinen fünf Löwen in Deutschland gab, in Wort und Bild zu schildern versuchte. Die nicht gewöhnliche Dressur dieser Thiere war es keineswegs, welche das Aufsehen verursachte, sondern vielmehr die fortwährende Gefahr, in welcher sich der eine Mann den fünf auf’s Höchste gereizten Bestien gegenüber zu befinden schien und auch wirklich befand. Nun, Herr Kreutzberg verstand das Zeichen der fortschreitenden Zeit und, dem Thun mancher alten Leute entgegen, welche sich von der Verfahrungsweise ihrer Jugend nicht trennen können, säumte er nicht, dem Zeitgeist Rechnung zu tragen. War die Devise bisher: „Zahme Löwen“, so hieß sie jetzt: „Wilde Löwen“, und zwar so viel als möglich. Sie wurden geschafft. Sieben Löwen, in einem großen Käfig vereinigt, wurden angekauft, alle ungezähmt und von gleichem jugendlichen Alter. Sie stammten sämmtlich aus Südafrika und waren von dem allen Menageriebesitzern und zoologischen Gärten wohlbekannten Thierhändler Jamrach in London an Herrn Kreutzberg für die Summe von 3500 Thalern verkauft.

Bis dahin waren die Vorstellungen in der Weise gegeben worden, daß die Schwedin, nachdem sie mit den Bären und Hyänen in deren Käfig „gearbeitet“ hatte, dieselben, d. h. zwei schwarze Bären, drei gefleckte und zwei gestreifte Hyänen, aus dem Käfig auf die nebenan befindliche Bühne ließ, wozu dann von der andern Seite der schöne Löwe Leo kam. Das afrikanische Gastmahl folgte und den Schluß machte die Vorführung der Dressur des Löwen.

Jetzt sollte Neues geboten werden; es galt die sieben frisch angekommenen Zöglinge mit der bisherigen Gesellschaft bei den Vorstellungen zu vereinigen. Wie mir Herr Kreutzberg erzählte, hat er diesen sicher höchst interessanten Versuch zuerst in Schwerin, wo sich die Menagerie bei der Ankunft der Sieben befand, vor dem Großherzog unternommen. Ich selbst mußte mir daher sehr erhaben vorkommen, als Herr Kreutzberg eines Morgens vor mir und einem mitgebrachten Freunde allein die nämliche Probe wiederholte. Es war dies in Hamburg im August. Er hatte die Scene dort noch nicht vorgeführt, wahrscheinlich um bei längerer Anwesenheit ein neues Anziehungsmittel in Bereitschaft zu haben.

Ich habe viel Aehnliches gesehen und bin daher nicht gleich hingerissen, bei dieser Gelegenheit sah ich indessen doch manches mir ganz Neue. Vor Allem überraschend und zugleich rührend war der Anblick, wie, als zunächst die sieben jungen mit dem erwachsenen Löwen Leo zusammenkamen, jene sich zu diesem hindrängten und unter eigenthümlichen, an das Miauen der Katzen erinnernden Tönen ihn mit ihren Liebkosungen förmlich bestürmten.

Leo fühlte sich aber durch das Massenhafte dieser Liebe offenbar sehr beängstigt, er suchte die Stürmischen durch kurzes, seinen Zweck aber ganz verfehlendes Brüllen zurückzuschrecken und nahm wohl auch manchmal den Kopf des nächsten ganz in seinen Rachen, ohne ihm aber zu schaden, wahrscheinlich nur zur Andeutung des Möglichen. Außer bei einer schon früher in der Gartenlaube erzählten Gelegenheit habe ich das Seelenleben dieser edlen Raubthiere noch nie so schön und rührend hervorbrechen sehen, denn es war klar, daß die noch nicht ganz erwachsenen sieben Löwen, welche die Erinnerung an ihre Eltern offenbar noch nicht verloren hatten, in dem erwachsenen und ausgebildeten Thier ihren Vater zu erblicken glaubten und nun ihre Freude darüber zu erkennen gaben.

Dieser Auftritt fand aber nur statt, so lange die acht Löwen unter sich waren; sobald die Hyänen und Bären mit ihnen zusammenkamen, entwickelte sich ein entgegengesetztes Bild. Die sanften Regungen der Löwen verschwanden und machten dem entschiedensten Widerwillen gegen die Hyänen Platz, den ich in solchem Grade bis dahin noch nie beobachtet hatte. Stets suchten sie sich auf der einen Seite des Theaters zusammenzuhalten, um nur ja den Verhaßten nicht zu nahe zu kommen. Diese aber, vor allen die gefleckten Hyänen, liefen mit einer fast pöbelhaften Frechheit überall umher, kamen den Löwen trotz deren Aufbrüllen bis unter die Nase, fraßen gierig den Koth ihrer Feinde und thaten überhaupt Alles, um den Widerwillen jener zu verdienen. Die furchtbarste Aufregung entstand aber, als die Löwen nun von Herrn Kreutzberg, welcher sich bis dahin nur als Zuschauer verhalten hatte, gezwungen wurden, über ein Bret und mitten in ihre Feinde hineinzuspringen. Auf der einen Seite das zornige Widerstreben der Thiere, ihren Platz zu verlassen, die schönen Gestalten der springenden Thiere in der Mitte und die wilde Aufregung der unter ihre Feinde gerathenen Löwen auf der andern Seite – dies bildete und bildet noch jetzt bei jeder Vorstellung ein so gewaltiges Schauspiel, daß es wohl Jedem unvergessen bleiben wird.

Selbst ich, nachdem ich die Vorstellung in Leipzig von Herrn Kreutzberg noch öfter vorgeführt sah, erwartete nicht, auch die Schwedin in dieser wilden Scene zu erblicken. Und doch war’s der Fall. Nachdem sie die seit Jahren vorgeführte Dressur der Bären und Hyänen gezeigt, läßt sie dieselben auf die Bühne, zu ihnen den Löwen Leo, führt das afrikanische Gastmahl auf und tritt, nur mit einer dünnen Reitgerte bewaffnet, schließlich in den Käfig der Sieben, um die Widerstrebenden heraus und unter die übrige Gesellschaft zu treiben. Man vergesse nicht, daß jetzt noch von keiner vollendeten Dressur derselben die Rede sein kann; ihr Anfang besteht darin, daß einige von ihnen auf zwei an dem Gitter befestigte Breter hinaufzuspringen und die übrigen über ein Bret zu setzen haben, was, wie schon erwähnt, Mühe genug verursacht. Zum Ausruhen setzt sich dann wohl auch unsere Heldin auf ein umgekehrtes Faß, mit einer Unbefangenheit, als befände sie sich in der gemüthlichsten Kaffeegesellschaft und nicht umgeben von zähnefletschenden Bestien.

Mit unverkennbarer Freudigkeit und großer Eile verlassen übrigens jedesmal die Sieben den Schauplatz, sobald ihnen durch Oeffnen der Käfigthür das Zeichen dazu gegeben wird, und ihre Aufregung schwindet erst nach geraumer Zeit. Auch die Bären und Hyänen empfehlen sich und nur Leo bleibt zurück, um im Gegensatz zu der bisher so wilden Scene nunmehr Proben seiner Zahmheit abzulegen, wobei gleichfalls Fräulein Cäcilie eine merkwürdige Kühnheit entwickelt.

Schon mehrfach ist die kühne Schwedin verwundet worden, sie spricht aber ziemlich geringschätzig davon. Daß dies vorgekommen, ist bei ihrer Kleidung doppelt erklärlich, denn im Gegensatz zu Batty, welcher bis an’s Kinn zugeknöpft gekleidet war, trägt sie sich nichts weniger als zugeknöpft, was eben auch ihre Sorglosigkeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_827.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)