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sichtbar werden lassen; wenn sie sich im Wasser befinden, gewahrt man von ihnen höchstens dann und wann den Hals. So lange nun das Gewässer eisfrei bleibt und tagtäglich mit Fischen versorgt wird, finden die Scharben in ihm Alles, was sie bedürfen, und befinden sich anscheinend außerordentlich wohl. Der Sommer gewährt ihnen außerdem noch andere Unterhaltungen. Sie fangen dann, wie ich bereits andeutete, eine und die andere der vorbeifliegenden Schwalben, wenn diese hart über das Wasser dahinstreifen; sie führen vielleicht mit dem oder jenem ihrer Teichgenossen einen kurzen Zweikampf auf und erlangen dabei regelmäßig den Erfolg, daß die von ihnen Angegriffenen das Weite suchen. Anders verhält sich die Sache, wenn der Winter seine Eisdecke über das Gewässer legt und ihnen ihr Haus im eigentlichen Sinne des Worts zuschließt. Dann sitzen sie sehr trübe am Strande und langweilen sich. So lange, wie ihre Kräfte ausreichen, versuchen sie die Eisdecke zu zerstören, und gewöhnlich halten sie das Wasser auch bei starkem Froste tagelang offen. Endlich aber wird das Eis ihnen doch zu stark, und sie sind dann gezwungen, am Lande zu verweilen. Im vorigen Winter hatte sie der Frost gänzlich überrascht. Das Wasser war über Nacht zugefroren, und sie saßen am Morgen sehr traurig auf ihren gewöhnlichen Sitzplätzen. Auch der Pelikan fühlte sich höchst unbehaglich. Ihm war das Eis etwas vollkommen Neues, ein Erzeugniß der Fremde, welches er in seiner Heimath niemals kennen gelernt. Er versuchte zuerst, auf dem glatt wie immer erscheinenden Spiegel zu schwimmen, rutschte selbstverständlich aus und bemühte sich lange Zeit vergeblich, wieder auf die Beine zu kommen. Unter diesen Bemühungen brach die schwache Eisdecke ein, und er begann jetzt aus Leibeskräften zu rudern. Die scharfe Kante des Eises hinderte ihn jedoch, und der arme Schelm wußte sich weder zu rathen noch zu helfen. Diesen Augenblick benutzten die Scharben. Sie hatten im Nu die Lage erkannt, eilten von allen Seiten herbei, stürzten sich neben dem Pelikan in’s Wasser und tauchten vergnüglich in die Tiefe, beim Emporsteigen aber hinderte sie das Eis, und sie mußten wohl oder übel zu der einzigen kleinen Oeffnung zurückkehren. Da blitzt ein Gedanke durch ihr Hirn, wie er ihrer würdig ist. Sie stürzen sich plötzlich mit vereinten Kräften auf den Pelikan und zwicken und beißen ihn von allen Seiten. Der wehrt sich mit seinem gewaltigen, aber unkräftigen Schnabel, so gut er kann, ohne Erfolg. Die Scharben greifen ihn von Neuem an, und der Geängstigte sucht endlich Rettung in der Flucht. Das war es, was die Scharben beabsichtigten; denn flüchtend zerbrach er ihnen das Eis. Die Vögel hatten zweifelsohne vorher beobachtet, daß ein schwererer Vogel das Eis zertrümmern kaum sie kalten also nur nach den gesammelten Erfahrungen gebündelt. Demungeachtet bewiesen sie aber eine Schärfe des Verstandes, welche man ihnen gewiß nicht zugetraut hätte. Fortan war der Pelikan der allgemeine Eisbrecher im Teiche. Die Scharben hetzten und quälten ihn, so oft sich eine dünne Eisdecke über das Wasser gelegt hatte, und Dank seiner Schwere brachten sie es dahin, daß sie am längsten unter allem Geflügel und ohne unsere Hülfe das Wasser sich auch während der strengsten Kälte offen erhielten.

Dieses kluge Benutzen anderer Kräfte oder das Ausbeuten fremder Arbeit ist überhaupt etwas Gewöhnliches unter dem Wassergeflügel. Die Möven geben uns dafür alle Tage Belege. Sie haben sehr bald erkennen gelernt, daß die Tauchvögel auch dann noch Beute zu erlangen wissen, wenn die auf den Strand geworfene Nahrung bereits erschöpft ist. Sie haben gesehen, wie Scharben und Tauchenten aus der Tiefe herauf todte und lebende Fische holen und bezüglich verzehren. Darauf hin gründen sie ihren Plan. An die Scharben dürfen sie sich natürlich nicht wagen; die Enten aber sind ihnen gegenüber wehrlose Geschöpfe. Sie erscheinen also zwischen diesen, schwimmen harmlos unter ihnen umher und achten genau auf diejenigen, welche in der Tiefe verschwinden. Wehe ihnen, wenn sie mit einem Fisch im Schnabel wieder emportauchen, in der Absicht, diesen, mit dem Kopfe außerhalb des Wassers, zu verzehren! Im Nu erheben sich die leichten Möven, stürzen sich nach ihnen hin und versuchen ihnen die erlangte Beute abzunehmen. Die Tauchente will sich natürlich solches nicht gefallen lassen und taucht blitzschnell wieder mit dem Gefangenen in die Tiefe; sie ist aber gewöhnt, denselben über dem Wasser zu verzehren und kommt deshalb wieder empor. Die Möven stürzen sich zum zweiten Male auf sie; sie sinkt wiederum hinab, kommt zum dritten Male in die Höhe, und der Möve glückt es gewöhnlich doch endlich, ihr den Bissen vom Munde wegzunehmen. – Das sind gewissermaßen die stillen Stunden unserer Teichgesellschaft. Die Fütterung dagegen ist stets das Zeichen zu einer allgemeinen Erhebung.

Alle Thiere kennen die Zeit, sie wissen sehr wohl zwischen den verschiedenen Stunden zu unterscheiden; sie kennen namentlich genau die Stunde, in welcher der allgemeine Wohlthäter, Wärter genannt, ihnen das Futter zu bringen pflegt. Des Nachmittags um drei Uhr wird es an unserm Teiche lebendig. Die Marabus erheben den langen Hals, der Pelikan schaut verlangend, die Reiher recken ein Mal um das andere die Köpfe in die Höhe; die Möven laufen eilfertig hin und her, und Alles versammelt sich allgemach in der Nähe des gewohnten Futterplatzes; Groß und Klein drängt sich durcheinander. Den Scharben wird die Zeit zu lang. und sie sinnen deshalb darauf, sie durch allerlei Kurzweil zu vertreiben. Eine ihrer beliebtesten Vergnügungen ist, andere Vögel zu beißen. Dank vielfacher Uebung haben sie hierin eine so große Fertigkeit und zugleich eine so große Furchtbarkeit erlangt, daß die meisten Mitbewohner des Teichs ihnen ehrfurchtsvoll Platz machen. Aber auch sie finden ihren Meister. Die Marabus sind so leicht nicht aus ihrer Ruhe zu bringen, können aber, wenn sie dieselbe ein mal verloren haben, sehr ungemüthlich werden. Sie schmettern, gereizt, mit ihrem Keilschnabel rücksichtslos zwischen die Menge, und ihnen müssen selbst die Scharben weichen. Solche Kämpfe finden statt, noch bevor eigentlich Grund zum Streiten vorhanden; wenn aber der Wärter sich endlich zeigt, entsteht ein wahrer Aufruhr. Die klugen Möven pflegen die Ersten zu sein, welche den fischspendenden Mann in der Menge der Besucher herausgefunden haben und kündigen das frohe Ereigniß mit einem sonderbaren und nicht zu beschreibenden Gelächter an. Auf diesen Ton stürzt Alles gierig nach der einen Stelle hin; es läuft und fliegt, es taucht und schwimmt, es hüpft und rennt herbei. Die große Freiheit, welche ich vielen Vögeln gewähre, zeigt jetzt ihre Lichtseiten. Unsere Lachmöven, welche in ihren Bewegungen vollkommen unbehindert sind, stürmen schaarenweise heran; es bildet sich eine Wolke von ihnen über dem Teiche, den Schwärmen derselben Vögel zu vergleichen, welche ein nahe an der Küste dahinsegelndes Schiff umgeben. Eine um die andere stößt von oben herunter, gleitet zwischen der Masse hindurch und vermehrt dadurch noch wesentlich das allgemeine Leben. Inzwischen ist der Wärter zur Stelle gekommen und hat sich seiner Bürde entledigt. Dreißig, vierzig, fünfzig Pfund Fische, je nach dem zeitweiligen Bestand, genug für Alle, werden hier mit einem Male auf die Tafel gebracht. Aber der hungrigen Gäste sind viele, und die Eßlust ist erstaunlich groß: da gilt es also schnell sein, um nicht zu kurz zu kommen! Alles rennt, schwimmt, fliegt durch einander; jeder schlingt, so schnell er kann, möglichst viel von den Fischen hinab, und der, welcher glücklich etwas erworben, versucht damit so schnell wie möglich wegzukommen. Wirklich ergötzlich sieht es aus, wenn der Pelikan seinen Hamenschnabel dazu benutzt, die an das Land geworfenen Fische aufzuschaufeln, genau so, wie es unser Bild darstellt. Der Schnabel ist dazu durchaus nicht geeignet, demungeachtet gelingt es seinem Besitzer nicht selten, mit einer einzigen Bewegung vier bis fünf Pfund Fische einzusenken und im Kehlkropf sicher zu bergen. So viel können die Scharben mit einem Male nicht hinabschlingen; dafür aber sind sie schneller und gewandter und kommen deshalb nicht im Geringsten zu kurz. Wie Schlangen winden sich die Hälse zwischen den Leibern und Flügeln und Beinen der Vögel hindurch; ein Fisch nach dem andern wird erfaßt und mit unglaublicher Hast hinabgewürgt. Doch geht ihre Mahlzeit nicht immer so ganz ohne Störung ab. Ihre Gier läßt die ihnen angeborne Herrschsucht rücksichtsloser als je austreten, und die Strafe folgt dann den Uebergriffen auf dem Fuße nach. Störche, Reiher und Marabus bringen den gefräßigen Ruderfüßlern manchen wohlgezielten Schnabelhieb bei, und gar nicht selten müssen diese den Wahlplatz verlassen, ohne ganz befriedigt worden zu sein. Dann schwimmen sie der Mitte des Teiches zu, tauchen in die Tiefe und durchsuchen das Gewässer eifrig nach allen Richtungen, in der Hoffnung, wo möglich hier noch Etwas aufzufinden. An ein Zurückkehren zur Tafel ist nicht zu denken; denn die Mahlzeit selbst währt höchstens zwei Minuten. In dieser Zeit muß jeder Tischgenosse sich versorgt haben, wenn er nicht Hunger leiden will. Die Hoffnung, nachträglich Etwas zu erhalten, würde vergeblich sein; denn nicht einmal eine Gräte bleibt übrig!



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