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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Bilder aus dem Schwurgericht.
Von A. Goeschen.

Ich will gar nicht leugnen, daß mich, trotz meiner Sympathien für jede Art von Fortschritt, mancherlei Bedenken überkamen, als ich zum ersten Mal die Aufforderung erhielt, als Geschworener zu fungieren.

Unter den Errungenschaften, die uns in Preußen aus dem Jahre 1848 noch erhalten sind, zählt das Schwurgerichts-Verfahren unbedingt zu den werthvollsten. Zwar sind seiner Wirksamkeit die bedeutendsten und edelsten Aufgaben in den politischen und Preß-Processen entzogen, bleibt aber die Institution nur überall bestehen, so wird mit der Zeit auch das ihr wieder zufallen, was eine ängstliche Reaction ihr genommen. Weder durch die Lasten, die den Einzelnen aus der Ausübung dieser Staatsbürgerpflicht erwachsen, noch durch etwa auftauchende Mißstimmung über die und jene Entscheidung eines Schwurgerichtshofes dürfen wir uns die Freude an dieser so schönen und segensreichen Einrichtung trüben lassen. Opfer aller Art fordert nun einmal das neue Leben, das frischere Bewegen, welches in unseren Tagen in die Staatskörper gekommen, und es ist an Jedem, welchem Lebenskreise er immer angeboren mag, sich der hohen Aufgabe bewußt zu werden, daß nicht an das eigene liebe Ich, an das eigene Haus, das eigene Geschäft allein zu denken ist, nein, daß er, je nach Kraft und Gabe, dem Wohl der Gemeinde, des Staates den fälligen Tribut zu zahlen hat. Das läßt sich eben, wie Zeit und Verhältnisse sich geändert haben, nicht mehr mit dem einfachen Steuerzahlen abmachen; die Gemeinde, der Staat beanspruchen ihr Theil von unserer Fähigkeit, unserer Thätigkeit und damit den Beweis, daß wir reif und würdig sind der freieren Entwickelung und Gestaltung des staatlichen Lebens und seiner Vortheile.

Gerade in jüngster Zeit erst machten zwei Criminalprocesse gewaltig viel von sich reden und konnten auf’s Neue allerlei Scrupel bei Dem und Jenem wachrufen, ich meine den Proceß Müller in London und den schmutzigen Fall Gregy-Grote in Berlin. Nun, der eine hat eben wieder bewiesen, wie es auch in dem vielgepriesenen Musterstaate England an Mängeln und Bedenklichkeiten selbst bei lang eingebürgerten Dingen nicht fehlt, wobei wir immer an die volle Gerechtigkeit des Todesurtheiles glauben wollen, und was bei dem Wahrspruch gegen Grote, die Quinche und die Fischer etwa an Bedenken aufgetaucht, ist den Geschworenen durchaus nicht zur Last zu legen, sondern, wenn überhaupt haltbar, etwa der Vertheidigung, und daß den Geschworenen gewisse Schwierigkeiten der Fragestellung nicht deutlich genug vor Augen gestellt wurden. Vorkommnisse aber, wie die genannten, können und dürfen die großen Vortheile der Schwurgerichte, die rege Theilnahme der Bevölkerung für sie nicht berühren.

Es war im Monat Juli, als das Schwurgericht zusammentrat, bei dem ich mitwirken sollte. Der Juli pflegt in Berlin vorzugsweise unbehaglich zu sein und nicht eben Lust zu machen, sich durch Lösung ungewohnter Aufgaben noch besondere Beschwerden zu verursachen. Und gewiß hatte mein neues Amf der Beschwerden genug, dafür aber war ich nach Ablauf der vier Wochen um so viel reicher an merkwürdigen Erfahrungen und Beobachtungen, daß ich sie um keinen Preis aus meinem Leben hätte missen mögen. Manche jener Beobachtungen und Erfahrungen bietet wohl auch ein allgemeineres Interesse und rechtfertigt mich, wemn ich sie den Lesern der Gartenlaube mittheile, nicht um Criminalgeschichten zu schreiben, sondern um einen und den andern Blick in des Menschen Herz und Treiben zu öffnen, freilich zunächst nur nach dunklen, nächtlichen Seiten hin. – Der Tag unserer ersten Sitzung war sehr heiß, und neben den acht Personen, die auf der Anklagebank Platz zu nehmen hatten, gab es eine große Zahl Zeugen, unter ihnen auch Sachverständige zu vernehmen, was Alles denn eine Verhandlung von ungewöhnlicher Dauer verhieß. Wenn trotzdem kaum ein Wunsch um Dispens laut geworden; wenn selbst die Mehrzahl der Geschworenen, die sich freigeloost hatten, auf den Zuhörerbänken Platz nahmen, so war es, weil die Verbandlung einer cause célèbre galt. Um sie vor jeder Unterbrechung durch etwaiges Erkranken eines Geschworenen zu schützen, war sogar ein Ersatz-Geschworener an dem unglücklichen Trompetertischchen vor den geschlossenen Reihen der Zwölf zur Stelle, und ich will nicht verschweigen, daß er damit eine der traurigsten Rollen übernahm, zu der ein Mensch in derartiger öffentlicher Thätigkeit verdammt werden kann. Nachdem ein solcher Unglücklicher den Verhandlungen von A bis Z beigewohnt hat, bleibt er, wenn die Geschworenen sich zur Berathung zurückziehen, d. h. wenn ihr Hauptgeschäft beginnt, hübsch fein vor der Thür und wartet in stiller Ergebung, bis er nach ihrem Wiedereintritt in den Sitzungssaal, was, nebenbei gesagt, an jenem Tage lange genug währte, auch sein bescheiden Stühlchen auf’s Neue einzunehmen hat.

Um eine cause célèbre handelte es sich, wie ich sagte, und das theils wegen der schweren Einbrüche, die ihrer Zeit durch besondere Frechheit der Ausübung, durch die rasche Aufeinanderfolge die Aufmerksamkeit der ganzen Stadt auf sich gezogen hatten, theils wegen des Einen der drei Hauptangeklagten, mit dem ein paar Tage lang um der Art willen, wie er seinem verborgenen Wirkungskreise entrissen wurde, ganz Berlin sich beschäftigt hatte. Vor drei Jahren etwa hatte er sich ganz gegen die Bestimmung der Richter, ganz wider den Willen der Wärter, nur dem eigenen Drange nach Freiheit folgend, nächtlicher Weile aus dem Zuchthause entfernt und dann, während, wie der Vertheidiger emphatisch sagte, das Damoklesschwert in Gestalt des Steckbriefes über ihm schwebte, seine verbrecherische Laufbahn mit Geschick und Glück fortgesetzt. Zum größten Theil geschah das in Berlin, und nur wenn die Luft ihm dort zu heiß zu werden schien, zog er sich in angenehmere Gegenden zurück, wo er unbekannt, ungestört von dem wachsamen Auge der Residenzpolizei, seinem Hange nach nächtlicher Beschäftigung, wenn auch mit geringerem Erfolg, nachgehen konnte. Um solch störenden Geschäftsreisen zu entgeben, um der Hauptstadt seine Thätigkeit ganz und ausschließlich widmen zu können, hielt er es endlich für angemessen, die Verborgenheit, das Versteckenspiel aufzugeben und sich dicht vor den Thoren in einer der am meisten bevölkerten Vorstädte als „Gentleman“ einzumiethen. Er galt hier für einen edlen Menschenfreund, der sich der vielen Armen, die um ihn her wohnten, freundlich annahm und sich, so fremd er eigentlich war, der besten Nachrede rühmen konnte. Da wurde die Nachbarschaft an einem heitern Herbstmorgen durch die Wahrnehmung überrascht, daß sich eine größere Menge von Schutzleuten in etwas auffälliger Weise mit und in dem Hause zu thun machten, welches B., so wollen wir unsern Mann nennen, bewohnte, mehr aber noch in Erstaunen gesetzt, als nach längerer Zeit dieser selbst, offenbar nicht freiwillig, in Mitte der Polizisten der Stadt zuwanderte. Man hörte dann später, die Polizei habe B. in einem gut meublirten Zimmer, in eleganler Morgentracht bei wohlriechendem Mocca und vortrefflichem Cigarrenduft überrascht, der Vielerfahrene sich aber noch einmal ihren Händen zu entziehen verstanden. Man fand ihn endlich in einem scheinbar sehr sicheren Versteck, und da nun in seiner Gegenwart die genauere Durchsuchung der Zimmer vor sich ging, wurde B. besonders schmerzlich berührt, als die bösen Schutzleute eine überaus werthvolle Sammlung, auf die er großen Fleiß und viel Mühe verwandt hatte, in buntem Durcheinander in kleinen Säcken verschwinden ließen.

Die Sammlung bestand aus einer langen Reihe kunstvoller Dietriche und Schlüssel, auf das Sorgfältigste mit reinlichen Etiquetten versehen, welche Namen der Straße und Nummer der Häuser anzeigten, die des eifrigen Sammlers Thätigkeit in Anspruch genommen hatten oder noch nehmen sollten. Hätte B. diesem Steckenpferde nicht so besondere Aufmerksamkeit zugewendet, so wäre es vielleicht langsamer mit der Verurtheilung gegangen, die ihn nun bereits seit zwei Monaten wieder hinter Schloß und Riegel hielt. Was jetzt gegen ihn verhandelt werden sollte, konnte eine achtjährige Zuchthausstrafe, die über ihn verhängt war, nur in eine zwanzigjährige verwandeln, wie es denn auch geschah. B. stellte sich uns als ein hübscher junger Mann mit klugem, ich kann nicht etwa sagen verschmitztem, Ausdruck vor, von einer gewissen Feinheit des Benehmens, leichten, gefälligen Manieren, und als er vollends jede Auslassung über den Verbleib besonders werthvoller Sachen verweigerte, offenbar weil es sich um ein Verhältniß zartester Natur handelte, so geschah das in einer chevaleresken Weise, die lebhaft an die längst verklungenen Räuberromane aus der früher so bekannten Nordhäuser Niederlage von Fürst erinnerte.

Neben B. saßen als Theilnehmer an jenen schweren Einbrüchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_040.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)