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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

werde ich wohl mein Leben lang, allein zu Pferde sieht man das nicht, und in wenig Wochen will ich den Rebellen meine Schmerzen blutig heimzahlen.

Als ich geschossen war, hatte ich natürlich keinen Halt mehr, und das kurz nachher sich bäumende Pferd warf mich ab. Ich reichte dem Major mein Schwert und bat ihn, das Commando zu übernehmen und mich meinem Schicksal zu überlassen. Fünf Minuten nachher war auch er vom Pferde geschossen, einhundertfünfzig Mann von meinem vierhundertfünfzig Streiter zählenden Regimente deckten die Wahlstatt, und nun wankte auch dies tapfere Regiment und zog sich in guter Ordnung zurück und nach ihm die Buschbeck’sche Brigade, die hinter ihm und von ihm gedeckt lag. Schurz und Schimmelpfennig thaten ihr Möglichstes, die Truppen zu ralliiren.[WS 1] Zehn Schritte hinter Schurz wurde Dessauer erschossen, sein Adjutant v. Scille neben ihm verwundet. Kein Corps der Welt von so geringer Zahl und solcher Aufstellung hätte den Feind aufhalten können. Der beste Beweis ist, daß Hooker seine Artillerie, vierzig Stück, auffahren und seine ganze disponible Macht entfalten mußte, um den von mehrstündigem Hetzen und Laufen doch erschöpften Feind zum Stehen zu bringen, und da mußte er schließlich doch noch drei Viertel Meilen auf Chancellorsville zurückfallen. Was er mit dieser Masse nicht vermochte, muthet man einem durch sein und Howard’s Verschulden überrumpelten schwachen Corps zu. Ich bin unparteiisch. Mir hat Niemand nachgesagt, noch nachsagen können, daß ich nicht Stand gehalten.

Nun zu meiner Rettung. Als ich schwer blutend am Boden lag und sah, daß das Regiment wankte, rief ich den Leuten zu, sich nichts um mich zu kümmern, und als später Lieutenant Bechstein und sechs Mann mich forttragen wollten und ich sah, daß dies nur den Rückzug beeinträchtige, befahl ich ihnen, mich meinem Schicksal zu überlassen. Da lag ich nun zwischen dem anstürmenden Feinde und der retirirenden Division. Der Gedanke, gefangen zu werden, war mir peinlich, und so schleppte ich mich auf Händen und Füßen zu den Feldverschanzungen der Buschbeck’schen Brigade. Schon hatte man auf mich angeschlagen, als die Burschen mich erkannten, ich wurde über die Brustwehr gezogen und lag droben, bis auch diese wichen; so kroch ich zwischen zwei Feuern weiter bis zum Waldrande, wo das letzte Regiment der Busckbeck’schen Brigade und zwar Oberstlieutenant Cantador mich gewahrte und mitleidig ausrief: ‚O, Oberst Hecker!‘ Seine Leute schleppten mich eine Strecke, bis ich sah, daß dadurch das Regiment in Unordnung käme, und ihnen befahl, mich meinem Geschicke zu überlassen. Das geschah und ich schleppte mich zehn bis zwölf Schritte weiter. Da stand ein Pferd gesattelt mit zerschossenem Zaum, blutend aus drei Wunden, am Wege, das Auge ausgeschossen, ein Streifschuß am Knie, eine Fleischwunde im Backen. Darauf hoben mich einige Nachzügler, und das arme Thier, auf dem ich nicht saß, sondern hing, trollte, so gut es konnte, vorwärts. Ein Adjutant des Generals Slocum, der mich in der Jammersituation fand, nahm mich mit sich und brachte mich in der Nacht in’s Feldlazareth, wo ich verbunden wurde. Kaum lag ich da, so kam unser Brigadewagon mit Ambulancen der dritten Division an, in welche ich gelegt wurde, um in der Ambulance die ganze furchtbare Sonntagsschlacht mit zu machen. Zuerst nach Falmouth, dann Acquia-Creek, dann Washington verbracht, befinde ich mich nun unter der treuen Pflege meines Schwagers und meiner Schwester.

Die Schlacht war furchtbar. Du kannst Dir von dem Geschoßhagel und dem Getöse der Feuerwaffen keinen Begriff machen. Auf zehn Schritte verstand Einer den Andern nicht. Bei Chancellorsville mähten Hooker’s Batterien die Rebellen zu Hunderten. Ich schätze den beiderseitigen Verlust an Verwundeten, Todten und Vermißten auf mehr als vierzigtausend Mann. Es war offenbar die blutigste Schlacht dieses Krieges. Ich freue mich, daß ich nicht verkrüppelt werde und wieder mit kann und für die Schmerzen von den Canaillen so viel wie möglich zur Hölle zu senden vermag.

Nun bist Du so ziemlich au fait. Da Du noch nicht fortgehst, so können wir, wenn ich Dich nicht persönlich sehen sollte, uns noch schreiben.

Lebe wohl, mein lieber alter Freund. Es grüßt Dich herzlich

               Dein

Hecker.“

Kaum war Friedrich Hecker von seiner Wunde nothdürftig geheilt, so kehrte er wiederum zu seinem Regimente zurück, nahm mit demselben Theil an der siegreichen Schlacht von Gettysburg und wurde dann nach dem Westen geschickt, woselbst er unter General Grant die Schlachten in der Nähe der blutgetränkten Gegenden von Chattanooga und Chicamauga mitschlug. Auch über diese Kämpfe schrieb mir Hecker einen höchst interessanten Brief, welchen ich hier wörtlich mittheile:

„Lookout-Valley, Tennessee, 21. December 1863.

               Mein lieber Freund!

Nach fünfundzwanzigtägigem Fechten und Marschiren sitze ich wieder in meinem Zelte auf einer Waldhöhe des Raccoon-Gebirges, mir gegenüber die alte Felsenburg der Cherokee’s, der weit hinaus in’s Land schauende Lookout-Berg, an dessen Fuß der Tennessee-Fluß mit vielfachen Krümmungen sich hinwindet und dem der Lookout und Chattanooga-Bach in rascher Strömung zumünden. In der Ferne Berg an Berg bis weit hinein nach Nordcarolina, und dort in der Ebene liegt Chattanooga mit seinen Zeltlagern und Forts. Sonderbare Gebirgsformationen, senkrechte Felswände erheben sich aller Orten, nahe am Gipfel, der in einem Hochplateau endet, mit fruchtbarer Erde bedeckt, von Quellen berieselt und mit Farmen bedeckt. Ich hätte nie geglaubt, daß Amerika so wundervolle Scenerien aufzuweisen habe, wie ich sie in Maryland, Virginien, Kentucky, Tennessee, Alabama und Georgia sah. Zwischen dem vierunddreißigsten und fünfundddreißigsten Breitengrade ist es aber recht winterlich, und ich habe mehr gefroren im sonnigen Süden, als in Illinois. Wenn man sich sagt, was aus diesem schönen Lande hätte werden können, falls die freie weiße Arbeit es befruchtet hätte, erkennt man erst den ganzen Fluch der Sclaverei, die nun, Gott Lob! in den letzten Zügen liegt. Ich weiß nicht, ob Du meinen Brief erhalten[1] worin ich Dir meldete, wie ich mit noch offener Wunde dorthin eilte, wo ich durch tägliches Aneifern meiner Leute und Verfolgung der Bewegungen der Armeen einen neuen Schlachttag eroberte, indem ich noch am letzten Schlachttag richtig bei Gettysburg eintraf, wo wir die Rebellen furchtbar schlugen, den Feind durch Südpennsylvanien und Maryland nach Virginien hinein verfolgten und am 25. September Marschordre hierher erhielten, in der hellen Mondnacht, 28. bis 29. Oktober, bei Wahatchie kämpften, die feindlichen Positionen auf den Hügeln mit dem Bajonnet erstürmten; wie meine Brigade von zwölf bis fünf Uhr von den Höhen des Lookout mit den weittragenden Parrots beschossen wurde und nach Anlegung einiger Feldbefestigungen kurze Rast in den Berglagern hatte, um die glorreiche Schlacht bei Chattanooga zu schlagen.

Meine Brigade besteht aus Dir theilweise bekannten Regimentern, dem fünfundsiebzigsten pennsylvanischen, dessen Oberst Mahler, früher Officier in Baden, bei Gettysburg fiel; dem achtundsechszigsten New-Yorker, seit der Entlassung Bourry’s von Steinhausen commandirt; meinem Regimente, dem zweiundachtzigsten Illinois, und dem achtzigsten Illinois. Es ist mir zugesagt, daß ich acht Regimenter zugetheilt erhalten soll. Die Schlacht bei Chattanooga war, was Plan und Manövriren anbelangt, ein Meisterstück Grant’s. Eine süperbe Aktion!“ Um nicht zu sehr in Einzelheiten der im Allgemeinen schon bekannten Schlacht einzugehen, überspringe ich hier eine Stelle in Hecker’s Brief, der dann fortfährt: „Hier fiel mancher unserer Braven. Darunter auch Fritz Keßler, Sohn meines alten Weinheimer Wahlmannes, und im Hospital zu Chicamauga fand ich in einem Zimmer Oberst Mongelin mit einem Arm, Capitain Kiefner mit einem Arm und einem Bein, Capitain Malter mit einem Bein und Friz Ledergerber mit zerschossenem Fuße, lauter liebe Freunde aus Belleville und Lebanon. Mit noch einer Brigade beordert, Longstreet’s Vereinigung mit Bragg unmöglich zu machen, wurde ich befehligt, nach der Cleveland-Dalton-Eisenbahn zu rücken und sie zu zerstören, was complet gelang, und die helle Lohe der brennenden, aufgehäuften Schwellen, Brücken und Gebäude leuchtete zum Rückmarsche und nun ging’s in Eilmärschen über Cleveland, Athen, Laudon gegen Knoxville, dem hartbedrängten Burnside zu Hülfe. Ein wahres Hasentreiben! Kaum hatten unsere Kanonen angefangen zu brummen, so riß auch der Feind aus. Wir ließen ihm nicht Zeit, die Brücke über den Hiwasee vollständig zu zerstören, warfen rasch Mannschaften in Kähne und in ein gebrechliches Flachboot und nahmen Eisenbahnwagen mit dem von uns lange entbehrten Mehle, während die Locomotive mit dem anderen Theile des Zuges entsauste.

Schnell hatten wir die theilweise zerstörte Brücke hergestellt;

  1. Nein! Leider ist mir dieser Brief nicht zugekommen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. wieder sammeln oder vereinigen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_058.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)