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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 5.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Ein Lied vom Salz.
Aus Preußen.

Noch immer starben die Luculle nicht,
Noch immer wiegt auf Rosen sich der Prasser,
Das Brod heißt „Auster“, das der Reiche bricht,
Im Blut der Rebe perlt für ihn das Wasser;

5
Ihm dient das Roß, ihm fliegen die Carrossen,

Und sein Daheim durchglüht des Goldes Licht
Und hat ihm Wonnen sonder Ziel erschlossen –
Noch immer starben die Luculle nicht!

Vom Berg zum Thale führt ein steiler Pfad,

10
Doch steiler nicht wie vom Palast zur Hütte,

Wo Elend schuf das Proletariat,
Wo Krankheit haust, wo Freude hemmt die Schritte.
Dich schrecken die Gestalten bleich und hager –
Nach Arbeit schreit der Mann, das Kind nach Brod;

15
Zum Heiland schreit das Weib vom Krankenlager –

Der Heiland in den Hütten ist der Tod!

Der Reiser Gluth verräth die Mittagsstund’,
Es brodelt matt die karge Gottesgabe;
Fürwahr, zu wenig für des Reichen Hund

20
Und doch so vieler Lippen milde Labe!

Die Lust der Sinne läßt die Noth zerstieben,
Dem Armen ist der Hunger Fleisch und Wein;
Und von des Reichen Mahl ist ihm geblieben
Der Erde Thräne nur, das Salz allein!

25
Wie tief das Elend auch den Menschen stürzt,

Er athmet auf bei seinem trocknen Bissen,
So lang’ noch Salz das Brod der Armuth würzt, –
Erbarm’ es Gott, auch Das wird ihm entrissen!
Der Staat – des Salzes Hüter und Gebieter –

30
Wirft auf das Salz der Steuer Doppellast!

Des Reichen Scheffel wohl drückt sie nicht nieder –
Des Armen Körnlein – ach, erdrückt sie fast!

O, wollt ihr Blüthen, wollt ihr Früchte schau’n,
So geht zum Weinstock, beugt die stolze Palme

35
Und fangt den Duft der Blume auf den Au’n –

Verlangt nicht Früchte vom verdorrten Halme!
Mit Steuern trefft des Luxus eitle Gabe:
Livree, Carrosse, Gold und Edelstein;
Belastet nicht des Elends letzte Habe:

40
Das Salz des Armen muß euch heilig sein!


Was segnend quillt aus uns’rer Heimath Born,
Das will uns Gott als unser Erbe zeigen!
Des Landes Most, des Landes Salz und Korn,
O, gebt’s dem Volke unverkürzt zu eigen!

45
Zu lange währt des Elends dumpfes Schweigen,

So tön’ ein Schrei empor zum Haupt des Staats;
O, mög’ es donnernd bis zum Throne steigen,
Das Lied vom Salz des Proletariats!
So tön’ ein Schrei empor zum Haupt des Staats: M. K.




Erkauft und Erkämpft.
Von Johannes Scherr.
Sie konnten zusammen nicht kommen,
Das Wasser war viel zu tief. 
Alter Singsang.


1.0 Brunhild.

Die Ränder des kleinen See’s liegen im Schattendüster ihrer Weidenumbüschung, aber gegen die Mitte des kaum merkbar gekräuselten Wasserspiegels zu glüht eine rothgoldene Lichtmasse, von der höher und höher über die östlichen Berge emporsteigenden Morgensonne dorthin geworfen. Auf dieser lichten Stelle haftet, kaum weniger strahlend, ein großes, dunkles Mädchenaugenpaar, welches unter einer prachtvoll gebauten Stirn träumerisch hervor- und auf auf den See niederblickt.

Sie ist fast zu bedeutend, zu gedankenmächtig modellirt, diese Stirn. Sie würde das Haupt eines Mannes zieren, während sie die Harmonie der Schönheit ihrer Besitzerin mehr stört als erhöht. Ueberhaupt ist diese Schönheit eine durch Contraste wirkende. Das germanische Haar mit seinem Goldschimmer stimmt nicht zu den dunkeln Brauen von orientalisch kühner Schweifung, welche sich mitunter an der Nasenwurzel zu einem Ausdruck des Stolzes und Trotzes zusammenziehen, der mit dem anmuthigen Lächeln des reizend geschnittenen Mundes gar nicht zu reimen ist. Auch die schwarzen Augen mit ihrem intensiven Sammetglanz müssen fast wie Fremdlinge erscheinen in einem Antlitz, auf dessen durchsichtiger Weiße das Incarnat frischester Jugendblüthe liegt wie das Morgenroth auf Firnschnee. Und doch, trotz alledem, muß die Erscheinung der jungen Schönen, wie sie so dasitzt auf der Bank am Fuße des halbzerfallenen Wartthurms der Burgruine, mit von den Schultern geglittener Mantille, die Hände über dem auf ihren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_065.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2019)