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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

liefern. In Frankreich und England selbst stehen ihnen die oben schon genannten Fabrikanten würdig zur Seite, jeder Vorzüge für sich in Anspruch nehmend und in einer oder der andern Hinsicht auch verdienend. Bekannt ist z. B., daß Chopin in seinen letztern Lebensjahren den Pleyel’schen Flügeln wegen ihres verschleierlen, fast melancholischen Tones vor den Erard’schen den Vorzug gab. Als Hauptunterschied zwischen den englischen und französischen Instrumenten möchte der anzugeben sein, daß die ersteren durchgängig einen markigeren, vollern Ton aufzuweisen haben, der Ton der letztern dagegen entschieden graciöser, eleganter, einschmeichelnder, auch ihre Spielart meist leichter und gefügiger ist.

Von den Amerikanern, deren Instrumente wohl nur höchst selten nach Europa gelangen, hat sich besonders Steinweg hervorgethan. In Betreff Deutschlands sei zu unsrer hohen Genugthuung die Anerkennung ausgesprochen, daß es sich in den letzten zehn Jahren dem Auslande gegenüber die volle Ebenbürtigkeit wiedererrungen hat. Lange genug war es, Dank dem starren Festhalten an der „deutschen“ Mechanik, England und namentlich Frankreich unterthan und tributpflichtig. Wer erinnerte sich nicht noch der Zeit, wo Erard fast alle Concertsäle Deutschlands beherrschte und es nur eine seltene, meist nur durch Localgründe bedingte Gnade war, wenn die großen Heroen des Virtuosenthims deutscher Instrumente sich zu bedienen die Herablassung hatten? Freilich grassirte damals die Mode, in Kunstangelegenheiten nur das als wahrhaft vortrefflich anzuerkennen, was in Paris vorher die „Weihe“ erhalten hatte, und wie z. B. erst ein von den Parisern ausgestellter Paß dem deutschen Kunstjünger erlaubte, in seinem Vaterlande ungehindert die steilen Wege des Ruhmes zu wandeln, so konnten auch nur die von den Parisern approbirten Erard’schen Instrumente als würdig befunden werden, in einem deutschen Concertsaale zu erscheinen. Und dennoch wäre es ungerecht, dieses Resultat etwa nur der Mode zuschreiben zu wollen: es war eben so sehr Folge wahren Verdienstes, denn in der That ragten diese Instrumente durch ihren klangvollen Ton und ihre vortreffliche Spielart weit hinaus über fast Alles, was Deutschland damals hervorzubringen vermochte. Den ersten Schritt zur Wiederbelebung seines Pianofortebaus that Deutschland durch die rückhaltlose Wiederaufnahme der „englischen“ Mechanik. Zu Anfang noch unbeholfen und in mehr oder minder ängstlicher Nachahmung an ihre fremden Vorbilder, namentlich Erard, sich anlehnend, haben die bessern Fabrikanten sich allmählich von diesem Zwange befreit, und durch eignes Nachdenken, unermüdlichen Fleiß und durch ihren hervorragend musikalischen Sinn Erfolge erzielt, die wohl dazu angethan sind, unsern gerechten Stolz zu erwecken. Wir wählen unter vielen Andern nur die Namen Einiger aus, deren guter Klang allerwärts in Deutschland Zeugniß ablegt für die Wahrheit unseres Ausspruches. Es sind dies: Schiedmayer und Söhne in Stuttgart, Dörrner und Lipp ebendaselbst, Ehrbar, Bösendorfer, Streicher in Wien, Scheel in Cassel, Steinweg in Braunschweig, Breitkopf und Härtel, Irmler, Wankel und Temmler, Feurich in Leipzig, Rosenkranz in Dresden, Klems in Düsseldorf, Stöcker in Berlin und Bechstein ebendaselbst, dessen Instrumente zumeist durch die Concerte Hans von Bülow’s weithin bekannt geworden sind. Ganz besonders sei hier noch als einer der hervorragendsten Vertreter deutscher Pianofortebaukunst Julius Blüthner in Leipzig genannt, dessen Flügel, namentlich seine sogenannten „symmetrischen“ Flügel, einen Vergleich mit den besten Instrumenten des Auslands aushalten.

Schließlich dürfen wir nicht unterlassen noch mitzutheilen, daß Deutschland auch in der Fabrikation der wichtigsten Materialien zum Clavierbau eine hervorragende Stelle einnimmt. So z. B. liefert Miller in Wien die anerkannt besten Stahlsaiten; Broadwoods, die bisher nur englische Saiten anwandten, hatten ihre sämmtlichen auf der eintausendachthundertzweiundsechziger Weltausstellung zu London befindlichen Flügel nur mit Miller’schen Saiten bezogen. Das vorzüglichste Leder zur Garnirnug der Hammerköpfe fertigen die Gebrüder Geyer zu Eisenberg im Altenburgischen; es bedienen sich desselben selbst die amerikanischen Fabrikanten. Vortrefflichen Filz, der an Güte dem besten englischen und französischen gleichsteht, liefert Weickert in Leipzig und Wurzen; auch sein Fabrikat wird in großer Menge nach dem Auslande, besonders nach Amerika, ausgeführt.

Wir können also mit höchster Genugthuung auf unsere gegenwärtige inländische Clavierfabrikation schauen: sie steht entschieden „auf der Höhe der Zeit“, und wir begingen nur einen Act der Gerechtigkeit, indem wir ihre Verdienste hier nachdrücklich betonten. Möchte nur auch das deutsche Publicum solches erkennen und danach handeln! Es giebt aber kaum eine andere Nation, die so rasch bei der Hand wäre im Aufgeben eignen Verdienstes, wie die deutsche. Wir können tagtäglich die Wahrnehmung machen, daß, während andere Völker in wohlberechtigtem Nationalstolz auf ihre Industrie dieselbe mit aller Kraft und Hingebung unterstützen, mit allen Mitteln an ihrer immer weiteren Entwicklung arbeiten, sie überall fast rücksichtslos geltend zu machen suchen und im Gefühl ihrer Ueberlegenheit sich stolz abwenden von fremden Erzeugnissen, das deutsche Volk leider immer noch gar häufig in unglücklicher Verblendung nach dem fremden, als dem deshalb unfehlbar Bessern, greift und, indem es seiner eigenen Arbeit sich nicht annimmt und ihr die Anerkennung versagt, ihr auch die Nahrung zum nöthigen Gedeihen entzieht. So finden wir auch jetzt noch in allen unseren bedeutenden Städten große Magazine ausländischer Instrumente, die namentlich noch immer in die Salons unserer „Vornehmen“ wandern. Man zahlt gern eintausend, eintausend fünfhundert, ja eintausend siebenhundert Thaler für einen Erard, Pleyel oder Broadwood, glaubt aber nicht die Hälfte dieser Summe für ein ebenso vortreffliches Instrument des bescheidenen deutschen Fabrikanten zahlen zu dürfen! Das Vorurtheil fremder Ueberlegenheit ist es, das wie ein Alp auf der deutschen Kraft lastet. Möchte das deutsche Volk endlich nach allen Seiten hin sich seines Werthes bewußt werden! Möchte der aller Orten erwachende nationale Geist mit der politischen Selbstachtung namentlich auch die Achtung des Deutschen vor deutscher Arbeit verbreiten helfen, damit auch in dieser Beziehung Deutschland nicht mehr zu dienen braucht, wo es herrschen könnte!




Herzenskämpfe eines deutschen Dichters.
Von Max Ring.

Vor mehr als einem halben Jahrhundert erschien eines Abends in Frankfurt a. d. O. der Lieutenant Heinrich v. Kleist bei seiner Familie, um ihr zu nicht geringer Verwunderung aller Verwandten anzuzeigen, daß er seinen Abschied genommen und fortan sich den Studien widmen wollte. Es war dies ein unerhörtes Ereigniß, daß ein königlich preußischer Officier von Adel seinen bevorzugten Stand freiwillig aufgab, und alle die alten Tanten und Basen schüttelten den Kopf über den „sonderbaren Schwärmer“. Dieser ließ sich jedoch keineswegs irre machen: er fühlte sich glücklich in seinem neuen Laufe und studirte fleißig Philosophie und alte Sprachen mit anerkennungswerthem Eifer. Nach und nach söhnte sich auch seine Familie mit dem neuen Lebensplane aus; er konnte ja Diplomat, Regierungsbeamter, wo nicht gar einmal Minister werden. Er selbst dachte zwar nicht an eine solche Versorgung, sondern er liebte die Wissenschaft nur um ihrer selbst willen, rein und ohne alle Nebenabsichten; höchstens dachte er daran, einmal als Professor an einer Universität die Jugend zu belehren. Dabei war er, trotz einer kleinen Neigung zur Pedanterie, nichts weniger als ein gelehrter Stubenhocker; er besuchte die beste Gesellschaft, zu der er vermöge seiner Geburt überall Zutritt hatte, galt für einen liebenswürdigen jungen Man und wurde von der Frankfurter Damenwelt recht gern gesehen, indem man ihm seine Sonderbarkeiten und seine Zerstreutheit leicht verzieh. In dem Hause des Generals Heege lernte Kleist die älteste Tochter desselben, Minette oder Wilhelmine, wie er sie nannte, kennen; bald liebte er sie auch und sie erwiderte seine Neigung. Heimlich verlobte er sich mit ihr, da er die Grille oder vielmehr den Grundsatz hatte, daß die Eltern nichts davon zu wissen brauchten, wenn zwei Liebende sich für einander bestimmt hätten. Zu seinen Eigenheiten gehörte es auch, daß er seiner Braut fast täglich die leidenschaftlichsten Briefe schrieb, obgleich er Haus an Haus mit ihr wohnte. Er ging dabei von der Absicht aus, die Geliebte geistig zu bilden und für sich zu erziehen. Nur auf ihr dringendes Bitten entschloß er sich endlich, ihre Eltern, mit dem Verhältnisse bekannt zu machen.

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