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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)


ihm stehen blieb. Der Justizamtmann war ehrerbietig zurückgetreten, vor dem strengen, vor dem höheren Richter, als er einer war. Der junge Freiherr las eine alte Sage aus dem fünfzehnten Jahrhundert.

„Es ist vor kurzen Jahren ein merkliches da in Colberg geschehen, das ich nicht unterlassen khan anzuzeigen, beide, darumb das man sehe, wie sich meyterey in den stetten erstrecken khan, wie auch das auffruhr seltzamer weise gestraffet wirt. Es seint lange jare her zwei geschlechte die gewaltigsten zu Colberge gewest, als die Schlieffen und die Adebare. Deren seient ungefherlich vor sechzigk jaren oder mehr, zwei junge bürger gewest, als Benedictus Adebar, der Doctoris Martinus Carit’s, welcher darnach bischoff zu Camin gewesen, schwester zur ehe hatte, und Niclas Schlieff, Peter Schlieff’s sohn, deren zuvor meldung geschehen. Dieselbigen hielten sich wie brüder unter einander. So begab es sich einmal, daß sie sampt anderer gesellschaft auf einen abend beide zusammen gezechet hatten, und Schlieff guter Zeit heimgingk und sich zu bette legte, und etwa eine Stunde darnach Adebar jm folgete und für seine thür klopffete. So hörete Schlieff das er’s war und stund selbst auff im hembde und wollte jm einlassen. So hörete Adebar, das er kham, und stach mit seinem Schwerte durch die thüre und wollte Schlieffen erschrecken; und wie schlieff im finsteren zulieff, das er die thüre auffmachen wollte, lief er in’s schwerdt. So machte er dennoch auff und schrye laut vber Adebaren, das er jne so hart erstochen hatte. So erschrak Adebar hart, und verstopffet jme von stunde an die wunde und führet jme zum artzten und entschuldigte sich sehr gegen jme, das er’s aus keinem bösen gemüte, sondern aus fürwitz gethan. So lies sich Schlieff verbinden, aber empfand sich sehr vbel. Darumb warnete er Adebar, das er möchte weichen, den er vertrawete sich nicht lebendig zu pleiben; wo jne denn seine Freuntschafft erhaschete, müste er widder sterben, welches er jme denn nicht gerne gönnete. Adebar mühete sich hart, sonderlich das er also widder alle seinen willen seinen gutten gesellen in todesgeffar und sich auch in sorge gepracht und verstach sich, den er khonte in der nacht nicht aus der stat khomen. Schlieff starb balde darnach, darvmb suchte Schlieffen freuntschaft so fleißig nach Adebar, das sie jm funden und in’s gefenknüß setzten. So hette doctor Martinus Carit und die andere freuntschaft Adebar’s viel bitte und mühe umb Adebar, das er mochte auff gebürichen abtrag los werden. Das wollte die freuntschafft nicht thun, sondern ließen Adebaren für Gerichte bringen und zum totte verurtheilen. Als er aber verurteilet wurde, wolte jne Schlieffen freuntschafft losgeben, damit das man sage, das sie jme recht das lebend geschenckt hatten. Das wollte der Adebar und die freuntschafft nicht annehmen, denn sie ließen sich bedünken, ein verurteileter were weiter lebends nicht wert. Darvmb ging Adebar freyes muths hin und sagte: er wolle viel liebe bei seinem gutten gesellen und bruder dem erschlagenen Schlieff sein, wie länger leben –“

Der junge Freiherr wurde unterbrochen. Seine Hand hatte gezittert, als er zu lesen begann, und er mußte das Buch mit beiden Händen halten, damit das Zittern aufhörte. Nur mit unsicherer Stimme hatte er lesen können, und ein paarmal mußte er tief Athem holen, damit ihm die Stimme sicher wurde. Da kam er zu der Stelle der Sage: „denn sie ließen sich bedünken, ein Verurtheilter wäre weiter des Lebens nicht werth,“ die Stimme begann ihm von Neuem zu fehlen und die beiden Hände wurden weiter von einem leisen Zittern, das sich weiter dem ganzen Körper mittheilte, ergriffen. So gelangte er zu der Stelle: „und Adebar sagte, er wolle lieber bei dem Erschlagenen sein, denn länger leben.“

„Setze Dich!“ befahl der alte Freiherr seinem Sohne, der bisher stehend vor ihm gelesen hatte.

Der junge Edelmann setzte sich, denn er konnte sich nicht mehr stehend erhalten.

„Lies weiter!“ befahl der Vater.

Er las weiter. Die Kniee schlotterten ihm und er mußte das Buch vor sich auf den Tisch legen, um weiter lesen zu können. Das Gesicht des alten Freiherrn war wieder fest geworden und hart und kalt, hoch und gerade stand er vor dem Sohne, der endlich weiter las:

– „Aber damit er nicht wie ein Missetheter gefhüret würde, mußte ihn der Rachrichter und seine Diener nicht anrühren, sondern er gink selbst gutwilligk, und der Rat und die ganze Stat begleitete ihne und betrübeten sich seinethalben. So hatte Adebar eine Schwester im Jungfrauenkloster zu Colberge, die war Eptissin; dieselbe ergriff ein Crucifix und trat für ihne her und sterkete ihne und sagte: er sollte auf Got trawen und in seinem Glauben sterben. Also kam er außer der Stat; da wurde ihme gegunt, daß er auff einen Kirchhoff gink. Daselbst lies er sich abhawen.“

Er hatte zu Ende gelesen.

„Steh auf!“ befahl ihm der Vater, „und sieh mich an!“

Der Sohn gehorchte und versuchte den Blick zu den Augen des Vaters zu erheben. Er sah das harte, kalte, bleiche Gesicht und die dunkel glühenden Augen, die tiefen Brauen verbargen sie nicht mehr. Er sah den furchtbaren Richter, vor dem er stand, und sein Blick senkte sich nieder.

„Elender!“ sagte der Greis.

Er konnte das Wort nur leise sprechen. Auch ihm zitterte die Stimme, und mit dieser zitternden Stimme sprach er weiter:

„Mörder! Oder wagst Du es, auch mir Dein Verbrechen zu leugnen?“

Er erhielt keine Antwort.

„Du kannst es nicht! Es ist ein Rest von Ehre in Dir. Du verdienest daher –“

Er sprach nicht aus, was er hatte sagen wollen, sondern wandte sich um zu den beiden Gerichtsbeamten und den alten Pfarrer.

„Verlassen Sie uns! Auf eine Minute!“ sprach er mit fester Stimme und entsetzlich bleichem Gesicht.

Die Drei verließen das Zimmer, ein Grauen hatte sie ergriffen. Draußen im Corridor an der Thür blieben sie stehen und horchten. Sie hörten kurze Worte, die der Vater und der Sohn mit einander wechselten, verstanden aber nichts davon.

„Kniee nieder!“ hörten sie dann den alten Freiherrn lauter sagen. „Bete!“

Eine Todtenstille, die wenige Secunden dauerte, folgte, dann fiel ein Schuß in dem Zimmer, und wieder herrschte Todtenstille. Kein Laut, kein Ruf, kein Schmerzens-, kein Hülferuf wurde gehört. Die Männer in dem Corridor standen bleich, bebend am ganzen Körper. Die Thür des Zimmers öffnete sich, und der alte Freiherr trat zu den bebenden Männern heraus und ließ die Thür offen. Durch die offene Thür sah man die Leiche des jungen Freiherrn. Das Blut floß aus einer Wunde in der Brust, und das abgeschossene Pistol lag auf dem Tische nebenan. Der Greis hatte es aus dem alten Schranke zu sich genommen, als er sein Zimmer verließ. Der alte Freiherr trat auf den Justizamtmann zu:

„Mein Herr, ich bin Ihr Gefangener statt seiner. Verfügen Sie über mich.“

Der Schuß hatte den Castellan des Schlosses herbeigeführt.

„Das Zimmer werde verschlossen,“ befahl ihm der Freiherr, „bis das Gericht seines Amtes gewahrt hat. Später werde es vermauert, damit Niemand wieder die Stelle betrete, an welcher der letzte Stamm dieses edlen Geschlechtes von der Hand des eigenen Vaters sterben mußte, um nicht der Hand des Henkers zu verfallen.“

Auch das hatte er mit fester, ruhiger, stolzer Stimme gesprochen.

„Ah!“ holte er dann Athem, tief aus der alten Brust.

Es war sein letzter Athemzug: der Schlag hatte ihn gerührt. Der Castellan und der Justizamtmann fingen seine Leiche auf.

Hinten in dem Rittersaale der alten Burg riefen unter den Ahnenbildern des edlen Geschlechtes die zechenden Gäste: „Hoch! hoch!“




Wohl sprach man in der Gegend eine Zeit lang von dem gräßlichen Gerichte auf dem Freienstein, allein in unserm raschlebenden Jahrhundert ward selbst dies Begebnis in der Fluth anderer Ereignisse rasch genug begraben und vergessen.




Blätter und Blüthen.

Die nordamerikanischen Oelprinzen. Schon seit Jahrtausenden ist das Petroleum, auch Steinöl, Naphta, Seneca-Oel, Erdöl oder Kohlenöl genannt, bekannt. Die ältesten Quellen desselben, von denen man weiß, befinden sich am Caspischen Meere bei Baku, wo die Flammen der Oelquellen ewig brannten – das ewige Feuer der Parsen – und die Bewohner der Nachbarschaft es zur Beleuchtung ihrer Häuser und Tempel gebrauchten. Außerdem haben noch Ostindien, in Europa die Gegend von Parma und Modena, die von Neuchatel und Tegernsee, Bezières in Frankreich, Sicilien und andere Orte Oelquellen aufzuweisen. Auch in Nordamerika sind die Oelquellen nicht erst eine Entdeckung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_079.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)