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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die geflissentliche Barbarei, die raffinirte Grausamkeit, mit welcher die Conföderirten ihre Kriegsgefangenen, Brüder ihres eigenen Stammes, mißhandelt haben, schreien zum Himmel in einer Zeit, wo bei allen civilisirten Nationen auch im Kriege die Gesetze der Menschlichkeit zur Geltung kommen; wo sich eben erst eine große Reihe von Staaten dem bekannten Genfer internationalen Sanitätsconcordate angeschlossen hat; wo, sobald die Schlacht geschlagen, für ihre Opfer der Unterschied schwindet zwischen Sieger und Besiegten; wo die Verwundeten von Freund und Feind sich gleicher Hülfe und Pflege erfreuen; wo man die Gefangenen der Wahlstatt nicht mehr in finstere Kerker wirft und hinter Schloß und Riegel sperrt wie Verbrecher, sondern sie kleidet und nährt und lohnt, als seien sie jetzt dem eigenen Heere einverleibt. Kann irgendwer noch Sympathieen hegen für die Bestrebungen der amerikanischen Secessionisten – und leider hat es auch in Deutschland an solchen Sympathien nicht gefehlt, noch fehlt es daran da, wo jede freiheitliche Regung als Eingriff in Rechte von Gottes Gnaden angesehen zu werden pflegt, – dies schwarze Buch, in welchem den Sclavenjunkern des Südens und ihrer Wirthschaft ein unvergängliches Denkmal der Schmach gestiftet ist, sollte für immer heilen von derlei Parteinahme.




In und um Richmond, der Hauptstadt Virginiens, des Junkerstaats par excellence, des amerikanischen Mecklenburgs, haben die Conföderirten zwei Hauptdepots für ihre Kriegsgefangenen. Dort befindet sich u. A. dicht am St. Jamesstrome das sogenannte Libby, das, ursprünglich eine große Tabaksniederlage, jetzt vorzugsweise kriegsgefangenen Officieren zum Detentionsorte dient. In sechs Zimmern von je hundert Fuß Länge und vierzig Fuß Breite waren hier mehr als zwölfhundert Officiere des Unionsheeres vom General bis zum Unterlieutenant monatelang zusammengepfercht und hatten in diesem engen Raume, der nicht überschritten werden durfte, Alles zu verrichten, was zur Herstellung der nothdürftigen menschlichen Existenz erfordert wird: zu wohnen, zu schlafen, zu kochen, zu essen, zu waschen u. A. mehr. Es scheint unglaublich und doch ist’s nichts als bittere Wahrheit!

Die erste Mißhandlung, welche die Gefangenen, Officiere wie Soldaten, regelmäßig über sich ergehen lassen mussten, war eine Ausplünderung von Allem, was sie irgend Werthvolles an und bei sich trugen. Diese Räuberei erstreckte sich soweit, daß den Unglücklichen oft nicht die allerunentbehrlichste Kleidung blieb. Decken und Ueberröcke wurden fast ohne Ausnahme weggenommen; an ihrer Statt mußten sich die Gefangenen mit den erbärmlichsten, schmutzigsten Lumpen behelfen. Anfangs gab es im Libby weder Bank noch Tisch noch Stuhl; auch war streng verpönt, sich etwa aus jenen elenden Hüllen einen Sitz oder ein Lager herzurichten! Später geruhte man den Gefangenen wenigstens zu gestatten, sich der Fässer und Kisten, worin ihnen allerhand Lebensmittel und Spenden aus der Heimath zukamen, als Möbel zu bedienen.

Trotz aller Vorsicht und trotz der fleißigsten Reinigungen konnte es bei solchem Zusammenschichten nicht fehlen, daß bald Jeder von Ungeziefer starrte. „Nachts lagen wir auf der harten Diele, nothdürftig eingewickelt in die Fetzen, die wir besaßen, aneinandergedrückt wie die Fische in einem Korbe,“ – bezeugt einer der vernommenen Officiere, – „auf der harten Diele, die rücksichtslos immer erst am späten Abend gescheuert wurde, so daß der Boden noch triefnaß war, wenn wir uns darauf zum Schlafen hinkauerten.“ In jedem Zimmer standen zwar zwei Oefen, allein in keinem brannte ein ordentliches lustiges Feuer; eine Handvoll grünes Holz war der einzige Vorrath, den man für den kalten Wintertag verabreichte.

Von der Strenge und Härte der sonstigen Behandlung macht sich Niemand einen Begriff. Bestimmte Normen, nach denen die Hausordnung im Libby geregelt war, schienen nicht vorhanden, die Gefangenen vielmehr einzig und allein den Launen der Gefängnißbeamten preisgegeben zu sein. Ein gewisser Major Turner, als Gouverneur des Platzes, und unter ihm der Gefängnißinspector Richard Turner, ein ehemaliger Sclavenaufseher – „Sclavenpeitscher“ nennt ihn der Bericht – hatten unumschränkte Autorität in Händen; Beides Männer von wahrhaft teuflischer Grausamkeit, deren Namen vor der gesammten civilisirten Welt gebrandmarkt zu werden verdienen.

In allen derartigen Gefangenenstationen des Südens bestand, wie in vielen Zuchthäusern, das Verbot, sich den Fenstern zu nähern; näher als drei Fuß durfte Niemand an diese herankommen. Wie schwer, oft geradezu unmöglich, wurde die Beobachtung dieses Gesetzes in so überfüllten Räumen, wo Alles in quetschender Enge beisammen war, daß wider Willen Einer den Andern stieß und drängte! Wie barbarisch war seine Handhabung, wenn zufällig oder ahnungslos einer der Gefangenen die gezogene Grenze überschritt! Auf der Stelle, ohne daß vorher der geringste Warnungsruf oder auch nur ein Zeichen erfolgte, feuerte die im Hofe postirte Wache auf den Unglücklichen. Tag für Tag fast knatterten dergleichen Schüsse, Tag für Tag fast sanken Gefangene todt oder schwer verwundet zusammen! „Auf einen Yankee zu feuern“ wurde zu einer Art von „Sport“ bei den conföderirten Soldaten, welche den Gefängnißwachdienst zu besorgen hatten. Man sah, wie sie, den Hahn ihres Gewehres gespannt, nach den Fenstern spähten und lauerten, ob sich kein Ziel für ihre Kugeln böte. Oft genug warteten sie diese Gelegenheit nicht einmal ab. So hatte sich eines Tages ein gefangener Officier, Lieutenant Hammond, in einen engen Breterverschlag begeben, der gar keine Fenster, sondern nur eine Spalte in einer seiner Wände hatte. Plötzlich ward der außen schildernde Soldat durch diese Lücke Hammond’s Hut gewahr, – sofort legte er die Muskete an und schoß. Er hatte tiefer gehalten, um das Herz des Gefangenen zu treffen, glücklicher Weise sprang jedoch die Kugel an einem Nagel ab und traf nur das Ohr und die Hutkrämpe des Officiers. Als sämmtliche Gefangene über diese Brutalität bei Major Turner Beschwerde führten, gab dieser kurz und höhnisch zur Antwort: „Meine Leute müssen sich üben,“ und die Schildwache sagte übermüthig: „Ich hatte gewettet, daß ich, noch ehe ich von Wache käme, einen Yankee todtschießen wollte.“ Damit war der Vorfall abgethan, und keine Behörde nahm weiter Notiz davon. – Noch kannibalischer hauste man in einem benachbarten andern Gefängnisse, das Kopf an Kopf voll stak von Rekruten. Vierzehn bis fünfzehn dieser furchtbaren Schüsse des Tages gehörten dort nicht zu den Seltenheiten! Auch in Danville in Virginien, das ebenfalls eine große Anzahl von Kriegsgefangenen beherbergte, war die Wirthschaft nicht menschlicher. Einer seiner Gefangenen stand eben dicht an dem Platze, wo er Nachts sein Lager hatte, das sich zufällig unweit des Fensters befand, und sprach mit einem Mitgefangenen. Unachtsamer Weise hatte er währenddem die Hand auf das Fensterbret gelegt. Auf einmal knallt ein Schuß, und der arme Bursche fällt mit zerschmettertem Schädel todt zu den Füßen seines Cameraden nieder. Von ihrem Posten aus hatte die Wache ihn nicht sehen können, wahrscheinlich aber hatte sie seinen Schatten bemerkt und war dann in die erforderliche Distanz zurückgetreten, um ihr Ziel schußgerecht zu bekommen.

Beinahe jeder Officier hatte von diesem grausamen „Sport“ der südstaatlichen Soldaten zu erzählen. Auf manche war zu wiederholten Malen gefeuert worden und einer beschwor, daß er vor seinen eigenen Augen fünfhundert seiner Cameraden auf solche Weise todt oder blessirt habe niederstrecken sehen. Ein Officier wurde von der Schildwache erschossen, als er durch das Fenster einem glücklich abziehenden Cameraden seinen Abschiedsgruß zuwinkte!

So entsetzlich, so unglaublich diese Barbareien sind – es war bei Weitem noch nicht das Schlimmste, dem sich die armen Dulder ausgesetzt sahen. Ach, wie Mancher mochte den Gefährten beneiden, den die Kugel der Schildwacht mit einem Schlage von den Martern erlöste, welche die Unmenschlichkeit des Feindes über sie verhängte! Wahrhaft herzbrechend, über alle Worte empörend sind die Scenen von Mangel und Hunger, wie sie, nach dem einstimmigen Zeugniß sämmtlicher Befragten, in allen diesen südstaatlichen Militärstationen die stereotype Tagesordnung ausmachten.

Ein handgroßes Stückchen Weizen- oder Maisbrodes und vier Loth Rindfleisch waren die Ration, welche reglementsmäßig jeder gefangene Officier täglich erhalten sollte. Allein auch das stand nur auf dem Papiere, in Wirklichkeit fand in Quantität und Qualität der Nahrung die allergrößte Willkürlichkeit statt. „Bei Gott im Himmel,“ äußerte einer dieser Officiere, „ich habe die Pferde in meines Vaters Stalle um ihr Futter beneidet!“ Allein auch diese Ration, sowenig sie hinreichte zur Ernährung und so ernstlich sie auf die Dauer die Gesundheit gefährden mußte, scheint an maßgebender Stelle für die Yankees noch zu gut und zu reichlich gedünkt zu haben. Vom vorletzten Herbste an verringerte und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_121.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)