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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

ich konnte, erklärt hatte, that der barmherzige Samariter seine milde Hand auf. Von den Vorräthen, welche diese treuen und braven Leute bei der Ausübung ihres schweren Dienstes in jenen Wildnissen immer bei sich führen, gab er mir, was ich nur wollte. Er rieb meine erstorbenen Füße, er sprach mir Trost zu, er hätte mich fortgetragen, wenn es möglich gewesen wäre.

Erst, nachdem ich dem Braven auf mein Ehrenwort versicherte, daß mir außer der Beschädigung meiner Füße nichts zugestoßen sei, verließ er mich. Trotz der sibirischen Kälte langte er, wie ich nachher erfuhr, schweißtriefend im Jägerhaus von Hinterriß an; so drängte es ihn, mir Hülfe zu schaffen. Nach einigen Stunden kamen die Söhne des vortrefflichen herzoglichen Forstwartes Neuner und zogen mich auf einem kleinen Schlitten über die unwegsamen Eispfade der Berge nach ihrem Vaterhaus. Dort wurde ich wie ein eigenes Kind gepflegt, und nicht der kleinste Gewinn, den ich aus meiner denkwürdigen Fahrt zog, ist die unauslöschliche Erinnerung an die Güte jener liebevollen Menschen im verlassenen deutschen Alpenthal. Dank dem braven Azzolini und der Familie Neuner’s wurden gleich die rechten Mittel ergriffen und so die schreckliche Gefahr, die aus Vernachlässigung oder Ungeschicklichkeit entspringen konnte, glücklich vereitelt. Es scheint, man muß in die Wüsten gehen, um die Hand solcher Menschen drücken zu können.

Als ich am nächsten Tage einen Blick in einen Spiegel warf, erstaunte ich: die fünfzehn Stunden in der kalten, trocknen, lichtvollen Luft der hochgelegenen Eisflächen hatten mich mehr gebräunt, als ein südlicher Sommer. Aber die Einwirkungen jenes Tages sind bei mir weiter nach innen, in’s Herz gedrungen, und mit diesem möchte ich gern der Schwachheit meiner Worte nachhelfen. Möge die Barmherzigkeit der Wackeren an ihrem Lebensglück belohnt werden!




Deutsche Wissenschaft in England.

Fast jeder Deutsche, der etwas Besonderes weiß und will, ist insofern ein Prophet, als er nichts in seinem Vaterlande gilt. Weiß und will er etwas Neues, eine Erfindung, Entdeckung oder bedeutende Fortschrittsidee, so geht er nicht selten an Theilnahmlosigkeit, öfter vielleicht an künstlich bereiteten Hindernissen zu Grunde, wenn ihn nicht noch zur rechten

Max Müller.

Zeit die Verzweiflung oder die Hoffnung auf Anerkennung und Hülfe in’s Ausland treibt. Damit ist die Geschichte vieler deutscher Erfinder und Fortschrittsmänner in Wissenschaft und Leben bezeichnet.

So ist die ganze civilisirte Erde bereits mehr oder weniger dicht mit deutschen Flüchtlingen, Pionieren und Priestern kosmopolitischer Welteroberung bevölkert worden. Dabei ist als charakteristisch zu bemerken, daß fast durchweg Handlung und Handwerk, Wissenschaft und Kunst außerhalb destomehr in die Hände von Deutschen gerathen, jemehr Geschick und Genie erforderlich sind, um dann etwas zu leisten. Die besten Schneider, Mechaniker, Bäcker, Kunsttischler in London, Petersburg und Paris sind Deutsche, und in der russischen Hauptstadt ist die Feinbäckerei sogar polizeilich auf Deutsche beschränkt. Ebenso tritt in Rußland besonders Wissenschaft, Heilkunst und höhere Kunstindustrie als Wirkungskreis Deutscher hervor.

Dies gilt, wenn auch nicht in solchem Umfange, in England. Und dort habe ich zehn Jahre lang aus eigenen Erfahrungen und Erlebnissen herausgefunden, daß der Haß der Stockengländer gegen Deutschland wesentlich aus der Ueberlegenlieit deutschen Geschicks und Genies sein Gift zieht. Die Palmerston’schen Diplomaten, die Times und sonstige stockenglische Zeitungen werden deshalb auch allemal besonders boshaft gegen Deutschland, so wie es sich einmal etwas regt und Miene macht, zum Bewußtsein[WS 1] und zur Ausübung seiner wirklichen, aber stets gedrückt und zerstreut gehaltenen Macht zu gelangen.

Die gebildeten Engländer, auch die Cobdens und Brights, die unfehlbar zur Regierung kommen, wenn sich erst die stockenglischen Palmerstons und Derby-Disraeliten vollends ausgeschwindelt haben werden, wissen nichts davon und lernen gern aus deutschen Culturquellen, kaufen deutsche Bücher und lassen sich bei deutschen Schneidern Hosen anmessen. In vielen Dingen sind sie ohnehin blos auf Deutsche angewiesen, da Niemand sonst den verlangten Artikel liefern kann. Die stockenglischen Groß-Hoteliers müssen deutsche Kellner nehmen, weil Engländer oder Franzosen nie die drei Sprachen lernen, die von solchen Kellnern verlangt werden. Ohne deutsche Lehrer hätten die Engländer schwerlich Musik und Sprachen gelernt. Und wenn nicht ein Deutscher die mächtigste Zeitung mit Geschick, Genie, Geist und Freimuth gegründet und zur Macht erhoben hätte, würden sie wohl auch keine Times haben. Es blieb einem ehemaligen deutschen Buchhändler vorbehalten, den jetzt unentbehrlichen, für allen Handel und Wandel und alle Politik entscheidenden Kosmopolitismus der Reuter’schen Telegramme zu schaffen und auszubilden. Erst wollte keine Zeitung etwas von ihm wissen, auch als er seine elektrischen Lakonismen aus aller Welt umsonst schickte. Jetzt bezahlen sie alle gut und gern für jede Silbe. Er quälte sich erst lange furchtbar gegen allerhand Noth und Hindernisse; aber er hat’s glänzend durchgesetzt. Wie viel der Londoner Buchhandel den Deutschen verdankt, ist bekannt.

In der eigentlichen Wissenschaft haben mehrere Deutsche, weil kein Engländer als Ersatz ausfindig zu machen war, Monopole erhalten; so muß es z. B. Kinkel sein, der Geographie oder Culturgeschichte in höheren englischen Unterrichtsanstalten für junge Damen oder Herren vorträgt.

Noch charakteristischer ist das Beispiel des Dr. Rost aus Altenburg. Er hatte in Jena Theologie und unter der geistvollen Leitung des Professor Stickel (der das Etruskische entzifferte und die beste Sammlung orientalischer Münzen, mit Goldstücken aus Muhamed’s Zeit zu Stande brachte) orientalische, semitische Sprachen studirt, dabei aber Hindustani, die jetzige Sprache der Hindus in Indien, selber gründlich und mit den größten Mühen um Quellen und Hülfsmittel erlernt. Als solch ein seltener Kenner kam er durch Einfluß des damaligen preußischen Gesandten nach England und mußte endlich als einziger gründlicher Kenner der Hindusprachen in Canterbury, der einzigen englischen Lehranstalt dafür, angestellt werden. Unter den Engländern, die Jahrhunderte lang in Indien erobert, gehauset und erpreßt hatten, fand sich kein ordentlicher Lehrer der Hindusprachen. Da es nun nach der großen indischen Rebellion endlich galt, für Engländer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bewußsein
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_141.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)