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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die eifrigsten und regsamsten, aber, wie angedeutet, nicht die besten Freunde hat der Herzog und das specifische Schleswig-Holsteinerthum, d. h. der offne und ungeschminkte Particularismus (zu dem sich der erlauchte Herr selbst wohl kaum bekennt) in Ditmarschen, wo ein Besuch, den Serenissimus im vorigen Frühjahr den holsteinischen Marschleuten abstattete, viel gewirkt hat, die Gemüther zu gewinnen.

Anderswo, vorzüglich in den Städten, blüht die echte dickhäutige Schleswig-Holsteinerei nur sporadisch. Am wenigsten will sie im Herzogthum Schleswig gedeihen. Am breitesten macht sich das Kraut in einigen, aber nicht den gewähltesten Kreisen Kiels und Altonas, unter dem Pfahlbürgerthum und gewissen ehrlichen alten Herren, welche der Meinung sind, daß in Schleswig-Holstein der Mustermensch wohnt, eine Meinung, die, von der deutschen Presse großgezogen, selbst manchen klügern Kopf verblendet. Doch ist auch hier die Majorität des unverständigen und nutzlosen Lärmens gegen die gerechten Ansprüche Preußens müde, und besonders unter der Kaufmannschaft sind Viele, die dem Himmel von Herzen danken würden, wenn es endlich zu einem Ausgleich zwischen dem von den Wünschen eines großen Theils der Bevölkerung getragnen Rechte des Herzogs und dem Interesse der norddeutschen Großmacht kommen wollte. Nur die Damenwelt demonstrirt hyperloyal und macht sich dabei – mit Erlaubniß sei es gesagt – bisweilen recht unbequem. Im Uebrigen wird der Hauptspectakel von einigen rührigen und durch ihre Lautheit über ihre Zahl täuschenden Pseudopolitikern besorgt, die sich Demokraten nennen lassen, aber allerseltsamster Weise von einer Unterthanentreue überfließen, wie man sie unter französischen Legitimisten nicht schwärmerischer antrifft. Sie haben dabei einen Theil der Bauern auch außer Ditmarschen zur Seite, die sich theils haben einreden lassen, ihre dem Herzog geleislete Huldigung vertrüge sich nicht mit Nachgiebigkeit gegen die preußischen Ansprüche, theils sich vor dem Anschluß fürchten, weil er ihre Söhne unter preußischer Fahne nach Orten im innern Deutschland bringen könnte, wo sie nicht mehr so leicht wie in Rendsburg, Schleswig oder Kiel die Sendungen vorsorglicher Mutterliebe an Mettwurst und Schinken erreichen würden.

Nach dieser nothwendigen Abschweifung kehren wir nach Kiel zurück, um noch ein paar Worte über die Umgebung des Herzogs Friedrich und einige hier wohnende hervorragende Parteiführer, die zu derselben in mehr oder minder naher Beziehung stehen, zu sagen.

Nicht weit von dem kleinen hübschen Hause mit dem steinernen schleswig-holsteinischen Wappen an der Front, welches der Herzog früher in der Stadt bewohnte und wo er jetzt täglich auf einige Stunden sein Absteigequartier nimmt, an der Ecke der Friedrichsstraße und des Sophienblatts, steht ein zweistöckiges, fünf Fenster in der Breite zählendes Gebäude mit einem rothen Thorweg – „das auswärtige Amt“ – wie man bisweilen sagen hört, die Wohnung und das Bureau Geheimrath Samwer’s, des ersten Rathgebers und Geschäftsführers Herzog Friedrich’s, wie wir uns ausdrücken wollen. Einige Häuser weiter das Sophienblatt hinaus wohnt der Obergerichsrath Otto Jensen, unter den Bundescommissären Mitglied der holsteinischen Landesregierung und nebenbei von dem Herzog mit den Geschäften des Departements des Innern für beide Herzogthümer betraut. In der Mitte der Friedrichsstraße, dem herzoglichen Hause schräg gegenüber, befindet sich das Bureau des Kriegsministeriums, dessen Vorstand Oberst Duplat ist, welches indeß jetzt eben nicht mehr viel zu bedeuten haben möchte. Der Chef des Finanzdepartements, Staatsrath Francke, endlich hat sein Comptoir etwas weiter hinauf auf der andern Seite derselben Straße.

Samwer ist die Seele der ganzen bisherigen Politik des Herzogs. Was erreicht worden, ist sein Verdienst, was gefehlt worden, fällt ihm zur Last. Ob die Last das Verdienst überwiegt, bedarf einer längeren Untersuchung, die wir hier nicht anstellen können. Es genüge zu sagen, daß es Viele im Lande giebt, welche diese Frage bejahen. Er soll vor dem 15. November entschieden kleindeutsch gewesen sein. Jetzt ist seine politische Farbe so schwer zu bestimmen, daß wir es vorziehen, ihn als vor Allem augustenburgisch zu bezeichnen. Sonst ist Samwer ein höchst talentvoller, nur zu sehr mit kleinen Mitteln rechnender Kopf und ein Charakter, der trotz mancher liebenswürdigen Eigenschaft durch eine stets hervortretende Neigung, auszuweichen und um die Ecke zu biegen, wenig Behagen und in Berlin sowie unter der entschieden nationalen Partei im Lande selbst noch weniger Vertrauen erweckt.

Seiner Herkunft nach ist Geheimrath Samwer ein Schleswiger; er wurde 1818 in Eckernförde geboren, wo sein Vater Advocat war. In der Stadt Schleswig unter den Augen seiner früh verwittweten Mutter erzogen, studirte er auf mehreren deutschen Hochschulen Jurisprudenz, war dann eine Zeit lang Sachwalter in Neumünster, zeichnete sich vor der Erhebung 1848 durch verschiedene mit Sachkunde und Scharfsinn verfaßte staatsrechtliche Schriften in Betreff der Erbfolge in Schleswig-Holstein aus, betheiligte sich als hervorragendstes Talent unter den Agenten des Herzogs von Augustenburg an den Vorbereitungen und dem Gang dieser Erhebung und trat, nachdem dieselbe gescheitert, in die Dienste des Herzogs Ernst von Coburg-Gotha, in denen er sich vorzüglich diplomatischen Geschäften widmete.

Staatsrath Francke, 1805 in Schleswig geboren, bis zur Kopenhagener Märzrevolution Director der schleswig-holsteinischen Angelegenheiten im Generalzollkammer- und Commerzcollegium der dänischen Monarchie, dann Bevollmächtigter der provisorischen Regierung der Herzogthümer bei der deutschen Centralgewalt, später Chef des Departements der Finanzen, nach 1851 Regierungspräsident in Coburg, gilt für einen tüchtigen Finanzmann und Verwaltungsbeamten, hat indeß unseres Wissens in Kiel nur wenig Kenntniß von dem, was vorgeht, und, wie allgemein behauptet wird, so gut wie gar keinen Einfluß auf die Entschlüsse des Herzogs Friedrich. Seine politische Gesinnung tritt nicht stark hervor und würde sich, wie man meint, jeder Lösung der jetzt der Entscheidung entgegengehenden Frage, wenn sie nicht gerade den Herzog ausschlösse, gleich bereitwillig anbequemen.

Otto Jensen, ein Altersgenosse Samwer’s und diesem eng befreundet, ist ein eifriger Particularist und Gegner jedes Anschlusses an Preußen. Im Uebrigen ohne Bedeutung, dürfte er seine Stelle am Kieler Hofe wohl nur als alter Anhänger des Hauses Augustenburg eingenommen haben.

Oberst Duplat, ein ältlicher Herr von liebenswürdigen Manieren, war ursprünglich dänischer, dann schleswig-holsteinischer Officier, später in Hamburg Inhaber eines Knabenpensionats. Wohl die angenehmste Erscheinung in der Umgebung des Herzogs, soll er zugleich ein respectables Organisationstalent im Militärfach sein.

In Samwer’s Bureau arbeiten Professor Hänel und Dr. Carl Lorentzen, jener großdeutsch, dieser, wie man sagt, gemäßigt preußisch gesinnt, jener von Geburt ein Sachse, dieser ein Holsteiner und früher Redacteur eines preußischen Regierungsblattes der neuen Aera, dann Mitarbeiter an der „Nationalzeitung“. In anderer Weise, namentlich als Vermittler Samwer’scher Absichten an die schleswig-holsteinischen Vereine, sind Dr. Steindorf, Bankier Ahlemann, Professor Forchhammer und Kaufmann Lange in Kiel, gemäßigte Particularisten, und die strengen Particularisten demokratischer Färbung von Neergaard, Maack und Dr. Weber thätig. Die entschiedene Anschlußpartei, die in August Römer und Louis Reventlow ihre Führer sieht, zählt in Kiel mehr Anhänger, als man nach ihrem stillen Verhalten meinen sollte. In der Umgebung des Herzogs ist sie nicht vertreten, wohl aber in den Kreisen der Universität und der höheren Bürgerschaft, und sie wird sicher mit jedem Monat des Provisoriums wachsen – hoffentlich nicht zu spät wird man sich auch auf dem Sophienblatt offen und einmal ohne Hinterthür für sie erklären. Es mag weh thun, gewissen Hoffnungen zu entsagen; es mag schwer sein, die Geister, die man durch seine Agitation gerufen, zu bannen; aber nur auf diesem Wege gelangt man von Düsternbrook nach Schloß Gottorf.




Im Kerker Monte-Christo’s und der eisernen Maske.

Der Mistral wehte in scharfen Stößen aus Nordost und warf die blauen Wogen des mittelländischen Meeres hoch auf an dem Felsenriff, welches sich von dem Gebirgszuge, auf dem die Stadt Marseille amphitheatralisch aufsteigt, weithin in die See hinausstreckt. Das leichte Boot, welches mich trug, schwankte, bäumte sich und lavirte mit Ruder und Segel; hundertmal schlugen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_185.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)