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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

ein wachsamer Hofhund an, als wolle er dadurch beruhigen und zeigen, daß er auf seinem Posten sei. Wie ein anderer Wächter hob sich über das Kirchendach, über Häuser und Baumwipfel der Kirchthurm mit seinem runzelvollen, verwitterten Mauergesicht empor, aber so weit er in die Dorfgassen niedersah, regte sich’s nirgends mehr und nur aus drei Fenstern drang noch dämmernder Lichtschein – im Wirthshause, wo noch ein paar ungenügsame Zecher hinter Krug und Karte sitzen mochten; im Pfarrhofe, wo der Pfarrer noch einsam über Gebet und Brevier wachte, und am äußersten Ende des Dörfchens, über die Mühle hinaus unter zerstreuten kleinern Häusern in dem ärmlichsten und kleinsten unter denselben.

Leichtsinn, Andacht und Sorge waren allein noch nicht zur Ruhe gegangen.

Der schwache Lichtschein kam noch aus der Wohnstube der niedrigen Hütte und vermochte kaum, sich unter dem weit herabreichenden Strohdach und durch die kleinen, trüben Fenster auf den schmalen Wiesfleck zu stehlen, welcher an der Seite hinzog; der spitz zulaufende hohe Vordergiebel stand gegen die Straße zu, vom grellen Mondlicht übergossen. Das Licht, von einer kleinen Oellampe kommend, reichte nicht aus, auch nur den engen und niedrigen Raum der Wohnstube zu erhellen; im Halbdunkel auf der Ofenbank kauerte ein Mädchen hinter dem Spinnrade, am Tische saß ein alter Mann, ein geschnitztes Kreuzbild von weißem Lindenholz in der Hand, an welchem er mit einem kurzen Messer sorgsam und mit sichtbarer Anstrengung schnitzelte. Die Augen waren an den Rändern geröthet und wund, und über den starken weißen Brauen lag eine Kummerwolke, welche ahnen ließ, daß es nicht blos die Mühe der Arbeit gewesen, was sie wund gemacht. Der Kopf des Alten war fast gänzlich kahl, nur ein schwacher Kranz weißen Haares umgab noch die Seiten; das Gesicht war gerunzelt und wetterhart, aber voll klugen, fast schwermüthigen Ausdrucks. Auch in der Stube war es still, wie draußen, nur die Schwarzwälder Uhr an der Wand ging und das Rad schnurrte.

Das Mädchen hatte schon mehrmals nach dem Alten hinübergeblickt, als wollte sie das Rad bei Seite schieben und ihm näher treten; immer aber schien etwas sie davon abzuhalten. Endlich legte der Mann die unvollendete Schnitzerei vor sich auf den Tisch und drückte die Handballen vor die Augen. „Es geht nicht mehr, ich muß aufhören!“ sagte er. „Die Augen brennen mich wie Feuer und verschwimmen … es ist, als wenn ich Alles durch einen Flor sähe, der immer dichter wird …“

„Solltest Dich halt nit so anstrengen, Vater,“ antwortete von ihrem Platz aus die Spinnerin. „Hab’ Dich schon oft genug darum gebeten! Du solltest Dir mehr Ruhe vergönnen und solltest bei Tage schnitzen!“

„Als wenn ich das nicht ohnehin schon thäte!“ erwiderte der Alte. „Wenn ich auf dem Felde draußen bin, benutz’ ich jeden Augenblick, den mir das Hüten läßt, und setze mich unter einen Baum oder auf einen Zaun und hole den Schnitzzeug aus dem Anhängsack, aber das Vieh ist so unruhig … weiß der Himmel, wenn wir Wölfe in der Gegend hätten, oder Bären, so glaubte ich, sie spürten solch’ ein Beest … So muß ich eben doch die Nacht zu Hülfe nehmen; Du weißt ja, auf was es ankommt, der Friedberger Jahrmarkt ist vor der Thür’ … da muß ich trachten, daß noch ein Dutzend fertig wird …“

„Freilich, Vater!“ erwiderte das Mädchen, „Maria Geburt ist nicht mehr weit, da muß die Gilt gezahlt werden und die halbe Anleit … aber Du brauchst Dich deswegen doch nicht so anzustrengen, Vater! Ich werd’ heut noch fertig mit meiner Spinnerei; ich hab’ den letzten Strähn auf der Spule – dann ist’s wieder so viel Garn, daß es ein ordentliches Stückl Leinwand abgeben thät … hab’ freilich gedacht, ich wollt’ Dir eine neue Pfoad (Hemd) machen, Vater, und ein frisches Bettgewand, aber wenn’s nicht geht, müssen wir mit dem alten forthausen. Ein Jahrl halt’s wohl noch aus; ich will das Garn an die Wirthin verkaufen, die hat mich schon drum angered’t, – damit kannst zahlen, Vater, und werden wohl auch noch ein paar Kreuzer übrig bleiben für den Winter!“

(Fortsetzung folgt.)




Der neue Cäsar und seine Mutter.[1]
Von J. Marmor.

Auch das stille Constanz sollte, wie wir wissen, nicht das dauernde Asyl bleiben für die vertriebenen Napoleoniden, die Königin Hortense und ihren Sohn Louis Napoleon. Die Diplomatie ließ sie auch hier nicht in Ruhe; das zurückgezogene Leben der Königin, die fast ganz von der Außenwelt abgeschnitten war, verhinderte nicht, daß man immer und immer wieder falsche Berichte über sie machte. Man mißgönnte ihr den Aufenthalt in einer Stadt, die beinahe einem Verbannungsorte glich, und da man keinen vernünftigen Grund im Benehmen der Königin fand, um sie davon zu entfernen, so schritt man ganz einfach zur Anwendung von Gewalt. Es wurde dem Großherzog Carl von Baden bedeutet, daß er seine Verwandte aus seinem Staate verjage. Bald erschien eine Person seines Hauses, Herr von Frank, welcher den Auftrag erhalten hatte, der Königin dessen Bedauern auszudrücken, daß er sich in der traurigen Nothwendigkeit befinde, sie um ihre Abreise zu bitten. Die Großherzogin Stephanie von Baden könne es nicht genug beklagen, daß ihr Gemahl durch die großen Mächte in die peinliche Lage versetzt sei, Hortense aus dem Lande vertreiben zu müssen. Ja, nicht einmal ein Besuch sei möglich, weil Herr von Talleyrand im Zusammenkommen der beiden fürstlichen Frauen eine Verschwörung gegen die bourbonische Monarchie erblicken wolle. Hortense ertrug diese Verfolgung, wie sie Alles ertrug, mit Ruhe, Ergebung und Würde und sagte dem Herrn von Frank zu, sich sobald wegzubegeben, als die rauhe Jahreszeit und ihre zarte Gesundheit dies gestatten würden.

Von allen Seiten gedrängt, hatte sie unterdessen vom Baron von Streng am 10. Februar 1817 den im angrenzenden Canton Thurgau am untern Bodensee gelegenen Arenenberg um dreißigtausend Gulden gekauft und ließ diese Besitzung dann nach ihrem Geschmacke herstellen.

Nur sehr ungern verließ die Königin ihren Aufenthalt, der ihr die Ruhe nach dem Sturm gewährt hatte. Die Erziehung des Prinzen war hier ihre erste und vorzüglichste Sorge und Hauptbeschäftigung gewesen, wie ihre Zärtlichkeit für ihn ihr lebhaftestes Gefühl. Sie gab ihm, wie dem Leser auch schon bekannt, selbst Unterricht im Zeichnen und Tanzen, weil es an Lehrern dazu mangelte. Am Samstag jeder Woche gehörte er ganz seiner Mutter an: es wurde dann alles von ihm durch die ganze Woche Erlernte wiederholt, ob es Lateinisch oder etwas Anderes war, das der Königin fremd stand. Sie wollte ihrem Sohn durch die Aufmerksamkeit, welche sie auf die geringsten Einzelnheiten verwendete, beweisen, daß sie ihr Interesse allen seinen Fortschritten zuwende. Weil Louis von einer solchen Lebhaftigkeit war, daß es der ganzen Leichtigkeit seines frühzeitigen Verstandes bedurfte, um Etwas zu lernen, so war es schwieriger, ihn zu überwachen, als zu unterrichten. Der gute Abbé Bertrand wandte allen seinen Eifer an; allein der Prinz entschlüpfte ihm oft. Die Königin fühlte daher, daß es festerer Hände bedürfe zur Leitung dieses unabhängigen Charakters. Was den Versuch des armen Abbé noch schwieriger machte, war jene Schnelligkeit des Geistes, welche auf der Stelle eine Antwort fand und welche immer verlangte, daß man ihm den Grund angebe von dem, was man von ihm forderte.

Einst hatte der Abbé wiederholt die Befolgung einer Vorschrift verlangt, wogegen sich sein Zögling hartnäckig sträubte. Als Ersterer aber fest auf seinem Befehl besteht, läuft der Prinz davon und ergreift seinen Säbel. Bertrand klagt bei der Mutter, die den Sohn auf eine feierliche Weise züchtigen und demüthigen will. Er wird am folgenden Morgen in’s Zimmer der Königin beschieden, wo er niederknieen und in Gegenwart seines Lehrers eine ernste Strafpredigt hören muß. Nachdem ein Diener seinen Säbel zerbrochen und die Stücke vor ihn hingelegt hatte, mußte er dem Abbé Abbitte leisten.

Die Morgenstunde brachte die Königin meist allein in ihrem Zimmer zu, mit Abfassung ihrer Denkwürdigkeiten beschäftigt. Die

  1. S. Gartenlaube 1865, Nr. 7
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