Seite:Die Gartenlaube (1865) 235.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Was für Kerle ?“ fragte Blenker.

„Die Nigger, die Nigger; Sie wissen doch, Jupiter und den alten Neptun; da sind sie.“

Und zwei rabenschwarze Negergesichter kamen zum Vorschein; ihr grinsendes Lachen zeigte eine Perlenschnur von schneeweißen Zähnen. Sie machten vortretend einen Entrechat, um den Hoguet und die Rigolboche sie beneidet hätten, schlugen einen Purzelbaum und verschwanden auf meinen Wink links in die Büsche des Quartiermeister-Amtes.

Blenker streichelte sich bedächtig und scheinbar tief nachsinnend den Schnurrbart.

„Aber, meine Herren, wer hat Ihnen denn die Ordre gegeben, die Leute zurückzubringen?“

„Der Quartiermeister,“ entgegnete Ingelheim, mit dem Finger auf mich deutend.

Blenker’s Gesicht färbte sich dunkler.

„Sind Sie denn ganz von Gott verlassen, Herr Stabsquartiermeister? oder ist Ihnen der Kamm zu sehr geschwollen? Wissen Sie denn nicht, daß die Ordre für die Auslieferung dieser Neger vom General-Commando contrasignirt war?“

„Herr General, die Ordre, welche ich leider erst nachträglich zu Gesichte bekommen, war nicht vom Kriegsdepartement, sondern von einem Secessionisten-Civil-Gerichtshof in Maryland ausgestellt, und die Unterschrift des General-Adjutanten bestätigt nur die Richtigkeit des Gerichtsbeschlusses. In Ihrem Lager aber hat kein Civilgericht eine Executivgewalt, und wir können uns nicht zu Schergen dieser Menschenfänger hergeben. Außerdem waren die Leute in meinem Departement als Fuhrknechte in Dienst der Vereinigten Staaten genommen, und ich habe die Leute auf meine Gefahr zurückbringen lassen, weil ich keine Ordre für ihre Auslieferung erhalten. Dann war ja auch der alte Neptun unersetzlich für Ihren Hector.“

Blenker suchte in seinen Papieren nach der Ordre, warf einen flüchtigen Blick darauf, und mit den Worten: „All right; aber wenn was daraus kommt, es kommt alles auf Ihre Kappe,“ war die Sache erledigt.

Sich dann zu Ingelheim und Brandenstein wendend, die unterdeß eine Flasche „Apple-Jack“, welche auf dem Tische des Generals stand, mit nobler Nonchalance geleert hatten, fragte er mit einer Miene, aus der man lesen konnte, daß ein „Ja“ die erwünschte Antwort war:

„Aber Ihr habt die Leute doch nicht durchgehauen? Ich meine die Häscher.“

„Wir nicht,“ entgegnete der Ingelheim lachend, „aber der da“ – auf meinen Bedienten Adolph zeigend.

Adolph war ein fünfzehnjähriger bildhübscher Junge. Er trug die geschmackvolle grau und grüne Jägeruniform des achten Regiments. Sein eigentlicher Name war Asher Levi aus Hamburg, wo seine alte Mutter, der er monatlich fünf Thaler von seiner Löhnung zu schicken pflegte, noch wohnt. Er hatte sich als Freiwilliger anwerben lassen, um den Krieg zu sehen, und war im ganzen Lager bekannt, als „Asher der smarte Jüd“. Außerdem war er ein kühner, ganz vortrefflicher Reiter; er hatte im Circus auf dem Hamburger Berg schon „Kunst“ geritten.

„Adolph!“ schrie Blenker dem vor dem Zelte bei den Pferden stehenden Jungen zu, „sag’ mir, was hast Du mit den Kerlen gemacht?“

„Ach, Herr General, als ich dem guten alten Neptun, der Ihren Hector so trefflich wartet, die dicken Handschellen abnahm, da konnte ich mich nicht halten. Ich nahm die Handschellen bei der Kette in die Hand, sprang auf’s Pferd und versetzte dann mit den schweren Eisen den Häschern einen oder zwei Schläge in ihre langen, verblüfften Gesichter – blos zum Abschied, Herr General – und galoppirte davon.“

Blenker lachte, sagte aber nichts, sondern griff auf den Tisch, nahm einen dicken, schwarzen Rettig, und mit den Worten: „Hier, Junge, jetzt troll’ Dich!“ verabschiedete er Asher Levi, dessen Hamburger Mütterchen sich gewiß herzlich darüber freuen wird, ihren Jungen in diesen Blättern gedruckt zu sehen.

Es war jetzt Mittag geworden und die Hitze drückend. Im Generalszelt war ein ewiges Ab- und Zugehen von Officieren, Ordonnanzen, Marketendern und civilen Besuchern aus nah und fern. Der General selbst wandelte schweigend auf und ab, zeichnete dann und wann eine Ordre, einen Rapport oder eine Requisition mit seiner charakteristischen lapidarischen Unterschrift, in so kolossalen Zügen, daß das kaum geschnörkelte B oft das halbe Papier einnahm, und rauchte dabei eine Cigarette nach der anderen, welche ihm Graf Valentini mit der stets devoten Verbeugung eines geborenen Kammerherrn anfertigte und hinreichte. Keiner verstand einen solchen Kammerherrndienst besser, als dieser lange, dürre steiermärkische Graf. Er war von Kindheit an dienstthuender Officier in der Suite der Kaiserin-Mutter, der frommen Gemahlin des guten Ferdinand, dann im Gefolge des Erzherzogs Max gewesen, welcher jetzt den Thron der Montezumas einnimmt, und freute sich unendlich, daß er hier im Lande der Heine’schen „Freiheitsflegel“ noch einen Mann gefunden, der devote Dienste mit souverainer Huld entgegenzunehmen verstand.

Plötzlich erscholl im Zelte das Wort: „Die Herren Stabsofficiere!“ und Alle umringten den General.

„Meine Herren!“ fuhr dieser fort, „wir sind heute zu einem Frühstück beim Obersten des achten Regiments eingeladen. Sie werden mir folgen. Ordonnanzen, die Pferde herbei!“

In zwei Minuten war die ganze Gesellschaft hoch zu Roß; der General auf seinem Hector an der Spitze, ihm zur Seite auf einem kostbaren Rappen Oberst Prinz Felix Salm-Salm von Anholt im Münsterland – in der alten Heimath gewiß noch manchem „Manichäer“ in schmerzhaftem Angedenken – die übrigen à la suite. Vor dem großen Officierszelte des achten Regiments wurde abgesessen, und wartend der guten Dinge, die da kommen sollten, traten wir ein.

Hier bot sich ein Götteranblick dem Auge des psychologischen Beobachters dar. An einer langen Tafel, mit Weinflaschen aller Formen und Größen und Länder bedeckt, saß eine ganze Tafelrunde von Kriegshelden in glorreicher Weinseligkeit.

 Wer kennt die Länder, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammen kamen?

An der Spitze der Tafel Oberst Wutschel, der „schöne Legionär“ von Wien, den ich vor dreizehn Jahren, als er zum ersten Male an der Spitze eines Juristen-Bataillons von der Aula ausrückte, in der Kärnthnerthor-Straße so von Blumen und Kränzen der enthusiasmirten Wiener Schönen überschüttet sah, daß sein Pferd kaum noch vorwärts konnte. Sein damals volles, glänzend-schwarzes Haar hatten die Stürme und Sorgen der Flüchtlingszeit ihm von dem jetzt kahl glänzenden Scheitel geweht, aber sein Auge hat noch den alten Glanz, seine Wange die Fülle und Röthe der Jugend. Ihm zur Seite saß der schnurrbärtige Hetterich aus dem Schwabenland, offenbar schon im ersten Stadium angehender Seligkeit; daneben v. Hammerstein aus dem Hannöverschen, jetzt Oberst vom siebenundachtzigsten Regimente; der dicke Major Pokorny aus Wien; der lange Hans v. Nostiz aus Sachsen, der edle, leider zu früh dahingeschiedene Mengersen aus Mecklenburg; der sarkastische, goldbebrillte Theuerkauf aus Schlesien; der männlich schöne Schumacher, ein „Meerumschlungener“, ein Fürst „in Würfelspiel und Kartenlust“; der geschickte Stabsarzt Dr. R. Welcker, der Sohn des bekannten deutschen Patrioten, und ihm zur Seite sein Famulus, der Apotheker, der wohlbeleibte Sumpfmeier, dessen Auge schon etwas umschleiert und versteinert in ein Glas perlenden Feuerbergers wollüstig vertieft war.

Alle diese waren Officiere des achten Regiments. Außerdem aber hatten sich noch manche Landsknechte und Helden anderer Regimenter zusammengefunden; denn Alle wußten, daß es beim Wutschel immer lustig und hoch zuging. Da saß der hellblonde Gilsa mit kahler Glatze, der gefürchtete Disciplinär des De Kalb-Regiments; der geniale, aber stets müde Brigadier von Steinwehr aus Braunschweig; der Millionär Bohlen aus Philadelphia, welcher auf eigene Kosten ein ganzes Regiment in’s Feld stellte und einen frühzeitigen Tod auf dem Schlachtfelde am Rappahannock fand; Oberst Cantador vom neunundzwanzigsten Regiment, früher Commandant der Düsseldorfer Nationalgarde, der „Adonis vom Rhein“; Oberstlieutenant Ripetti, der Freund Mazzini’s und sein geheimer Verleger aus Mailand; die gespenstige Don Quixote- Gestalt des Quartiermeisters Biscacienti, dessen Name als Opernsänger und Impresario in beiden Welttheilen bekannt ist; der dickbäuchige, dünnbeinige Meusebach von den schwarzen Jägern; Oberst von Amsberg, der neun lange Jahre in Eisen auf dem Kuffstein verlebt, und endlich mit pockennarbigem Gesicht und Tigeraugen und mehr maurischem als spanischem Typus, Don Carlos Carvallo, gewesener Räuberhauptmann aus der Sierra

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_235.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)