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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

hast vergessen, daß es auch noch Fenster giebt und Luftlöcher in den Fensterläden …“

Das Mädchen ließ die Krüge aus den Händen sinken und sah ihn starr an. „Wen meinst’?“ fragte sie, kaum hörbar. „Den Jäger? Den Kranken?“

„Denselben, über den sich eine Gewisse hingebeugt hat, als wenn sie ihn mit den Augen verschlucken wollt’!“

„… Der wär’ ein Camerad von Dir?“

„Das will ich meinen! Hab’ ihn überall gesucht und schon fast verloren gegeben. Hab’ schon kurfürstliches Brod mit ihm gegessen!“

„Mit dem Fremden?“

„O, das ist ein ganzer Kerl! Ein Muster von einem Jäger! Ein rechtschaffener Mann, wie Du ihn nur verlangen kannst!“

„… Wer ist es?“

„Der bairische Hiesel!“

Sie richtete sich auf, als wollte sie Hand an den Burschen legen. „Schlechter Kerl,“ sagte sie bebend, „das ist nit wahr! Gesteh’s ein, daß Du gelogen hast …“

„So frag’ ihn selbst! Da ist er!“ erwiderte er, auf Hiesel zeigend, der eben in die Thür trat. „Guten Morgen, Hiesel! Schon reisefertig? Ich bin jeden Augenblick bereit!“

Wie versteinert starrte das Mädchen den Wildschützen an, dann murmelte sie einige Worte vom Frühstück, das sie besorgen wolle, und wankte aus der Stube. Das Frühstück erschien auch bald, aber nicht Kundel brachte es, sondern der Wirth. Es war bald verzehrt und die Zeit zum Aufbruche da. Hiesel hatte dem Wirthe Dank und Abschied gesagt und wollte nicht fort, ohne auch seiner treuen Pflegerin ein Lebewohl zugerufen zu haben, aber sie war nirgends zu sehen. Vergebens schallte die mächtige Stimme des Wirths rufend durch das Haus; vergebens wurde in Haus und Hof jeder Winkel durchsucht – sie war verschwunden. Endlich war keine Zeit mehr zu versäumen, der Rothe drängte und mahnte an die Weite des Weges und daß sie einen Vorsprung haben müßten, ehe überall die Jäger aus den Federn gekrochen kämen. Hiesel blieb nichts übrig, als dem Wirthe Dank und Gruß für das Mädchen aufzugeben und baldige Wiederkehr zu verheißen. Verstimmt schritt er in den Morgennebel hinein; aus den Augen des Rothen leuchtete tückische Freude.

Vom Giebel des Hauses, von einer verborgenen Stelle aus, sahen den Dahinschreitenden zwei Augen nach, überströmt von Thränen der Leidenschaft, der Liebe und der Erbitterung; ein Herz schlug ihm nach, in dem noch einmal eine edle Regung sich aufgebäumt, um sich aus denn Schlamme emporzurichten, in den sie versunken war und in den sie sich, da die Stütz’ gebrochen, an der sie sich anzuklammern versucht, zurückgleiten fühlte, tiefer und unheilvoller als zuvor.

Am zweitnächsten Tage war in der Nähe des ungeheuren Augsburger Stadtwaldes eine eigenthümliche lebhafte Bewegung wahrzunehmen, die wohl auch den Jägern nicht entgangen wäre, hätte nicht die Nachricht, die Wildschützen hätten sich in’s Burgauische gezogen, sie sicher gemacht und die Mehrzahl angelockt, sich die Lustbarkeiten nicht zu versagen, welche vom Besuch des Friedberger Jahrmarkts zu erwarten wären. In sorgloser Sicherheit sah man allerlei befremdliche und unheimliche Gestalten von allen Seiten dem Walde sich nähern und dem Theile desselben zueilen, welcher der Münsterbann hieß. Gegen die Mitte des ungeheuren Forstes hin erhob sich ein kleiner buchenbewachsener Hügel aus riesigen Föhren, unter denen das Unterholz zum fast undurchdringlichen Dickicht verwachsen war; es war ein vergessenes Stück ungelichteten Urwaldes. Der Hügelabhang war frei und vor demselben that sich eine kleine sonnenlichte Blöße auf. Sturm oder Blitz mochten vor Jahrhunderten ein paar der gewaltigen Bäume niedergeworfen haben; an deren Wegräumung hatte Niemand gedacht, so waren sie in sich vermodert und vermorscht, daß nichts mehr von ihrem Dasein zeugte, als die abgesprengten übermoosten Wurzelstöcke, während auf der kleinen Lichtung junge Buchenschößlinge über die schmalen Halme der Waldgräser, über Farrenbüschel und Erdbeerpflänzchen, emporwuchsen. Der Ort hieß Am Heidenbühel; in dem Namen war noch die einzige Ueberlieferung erhalten, daß der Hügel in der Vorzeit zu Begräbnissen gedient oder daß auf ihm eine germanische Opferstätte gestanden haben mochte.

Eine Anzahl wilder und verwegen aussehender Männer war daran, die Lichtung zu einem bequemen Lagerplatz zuzurichten; mit den Hirschfängern wurde auf der einen Seite das Gebüsch gelichtet, während man nebenan im Schatten Steine und Moos zusammentrug, um ein paar ansehnliche Fäßchen vor dem Einfluß der Sonne zu schützen und kühl zu erhalten. Unweit davon waren Einige beschäftigt, eine Stelle vom Rasen zu reinigen und mit herbeigeschlepptem Reisig Feuer anzuzünden, Andere hatten sich daran gemacht, einen frischgeschossenen stattlichen Zwölfender auszuweiden und zu zerwirken, damit zum Trunk der Wildbraten nicht fehle.

Aus dem Grase des Hügels sprang ein nackter mächtiger Felsblock vor, so recht geeignet, zum Mittelpunkte und zum Rednersitze zu dienen, falls einer der Anführer zu den Andern zu sprechen Verlangen hätte. Am Fuße desselben hatte sich eine Schaar gelagert und ließ unter eifrigem Gespräch nicht minder eifrig eine Korbflasche voll Branntwein in die Runde gehen.

Eben trat, die Büchse auf der Schulter, ein starker junger Mann von vierschrötiger Gestalt und mit aufgedunsenem rothen Gesicht zu den Versammelten.

„Juch hei, bin auch da!“ sprach er und wandte sich dann zu einem schmächtigen Burschen in abgerissener städtischer Kleidung mit einem abgelebten vergilbten Gesicht, das noch dazu durch ein ansehnliches blaues Muttermal entstellt war:

„Gelt, Blauer, hast’s auch nicht aushalten können in Deiner Kanzlei? Hab’s selber erfahren, daß die Luft nicht bekommt in den Malefizschreibstuben. – und da ist mir’s zur rechten Zeit noch eingefallen, daß ich als Student, dazumal in Ingolstadt, wo sie mich relegirt haben, berühmt war wegen meiner Sicherheit im Schießen und daß sie mich den Sternputzer nannten, weil ich einmal eine Kerze hart am brennenden Docht abgeschossen habe. Holla, dacht’ ich, versilberte die paar Scharteken, die ich noch hatte, kaufte mir den Stutzen da und will’s als Wildschütz tentiren. Wollen’s dem verruchten Jägergesindel gehörig eintränken, das uns so auf den Dienst paßt.“

Er nahm dem Nächsten die Flasche ab, that einen tüchtigen Zug und wollte gerade ein altes Studentenlied anstimmen, als sich die Baßstimme des am Feuer als Koch Beschäftigten vernehmen ließ. Es war ein großer Mann in breitkrämpigem Hut und brauner Lodenjacke, unter welcher der grüne Hosenträger vorsah. „Ein Capitalhirsch!“ rief er. „Das ist ein Ziemer, wie ihn kein Reichsprälat auf die Tafel kriegt… der zergeht Einem auf der Zunge, und schaut Euch einmal an, wie ich ihm die Kugel mitten auf’s Blatt gesetzt habe, als wie abgezirkelt!“

Sie traten näher und bewunderten an der ausgespannten Decke die Sicherheit des Schusses. „Das ist kein Wunder,“ sagte der Sternputzer, „Ihr Tiroler könnt alle das Schießen, wie die Enten das Schwimmen, wenn sie nur aus dem Ei kriechen! Aber es wär’ schon bald an der Zeit, daß die Andern kommen … der Schneider und der Hansel fehlen noch – das Sonnenwirthle und den Lissabonerbäcken hab’ ich auch noch nicht gesehn … und wo bleibt denn vor Allen der Kretzenbub, der Bobinger? Der der Erste am Platz sein sollte, ist wohl gar der Letzte!“

„Der Rothe ist auch noch nicht da!“ erwiderte herumblickend der Blaue. „Aber wenn man den Fuchs nennt, kommt er gerennt! … Schaut einmal, was dort unter den Haselstauden so herausleuchtet … ist das nicht die Feuerperücke von dem rothen Spitzbuben?“

„Freilich ist er’s!“ riefen die Andern, „und noch Einer kommt mit ihm … den kenn’ ich aber nicht …“

„Ich auch nicht,“ sagten der Blaue und der Sternputzer, ein Anderer aber rief freudig: „Soll ich denn meinen Augen trauen? Das ist ja der bairische Hiesel!“

„Warum nicht gar!“ entgegnete der Student. „Der Hiesel hat ausgejagt, das ist eine alte Geschichte! Vor einiger Zeit haben ihn kaiserliche Werber in den Lech gesprengt und erschossen …“

„Und er ist es doch!“ rief Jener und eilte dem Kommenden entgegen. „Es giebt keinen Zweiten auf der Welt, der so ausschaut!“

Der Name des Ankommenden flog wie ein Lauffeuer durch die ganze Versammlung; Alle drängten sich herbei, den gefürchteten Wildschützen und Bauernvertheidiger zu sehen, in dem Viele einen alten Bekannten und Schicksalsgenossen begrüßten. Der Tiroler trug ihm einen Prachtschnitt seines eben fertig gewordenen Hirschziemers

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_243.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)