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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Schlafengehen herumzubringen. Markholm erhob sich und schritt im Salon auf und ab – so lange, daß Max sich endlich fragte:

„Wie ist es möglich, nicht vor Müdigkeit umzusinken, wenn man so stundenlang auf- und abgeschritten ist! In welche langweilige Gewohnheiten können doch die Menschen auf dem Lande verfallen!“ –

Am anderen Morgen machte Markholm wie an den zwei früheren Tagen seinen Weg durch den Garten, durch das Gehölz bis an den Schlagbaum. Sein Herz klopfte vor Erwartung, als er, das Ackerfeld überschauend, hier still stand. Aber er harrte vergeblich. Elisabeth kam nicht.

Eine Viertelstunde – eine halbe verfloß; Nichts störte die Stille. Die Finken kamen und setzten sich auf den Schlagbaum, ohne den so regungslos in seine Gedanken versunkenen Mann zu scheuen, der wie eine Bildsäule dastand, den Arm auf das Holz vor ihm stützend und das Kinn auf die Hand.

Endlich rührte er sich; er wandte sich und ging heim. Wie hatte er auch annehmen können, daß sie noch einmal kommen würde! Und doch – hätte sie nicht kommen können, wenn sie es mit der geschlossenen Freundschaft ein wenig ehrlich gemeint? Aber vielleicht hatte er sie mit dieser aufgedrungenen Freundschaft gerade zurückgescheucht? – Vielleicht hatte er sie damit verletzt? – Ach, es waren thörichte Gedanken! Er kam sich vor sich selber ein wenig lächerlich vor … hatte er ihr nicht schon vollständig den Hof gemacht? Er der Angebeteten seines Neffen – er, ein alter Mann, einem so jungen Mädchen den Hof machen!

Und doch – es war nicht zu leugnen, sie war ein auffallend kluges und auffallend gebildetes Geschöpf. Er mußte suchen, in Verkehr mit ihr zu bleiben. Dieser Verkehr hatte für ihn etwas unendlich Anregendes. Wie durfte er in seiner Einsamkeit solchen Anregungen aus dem Wege gehen? War es nicht etwas wie seine Berufspflicht, wenn ihm ein solch ungewöhnlicher Charakter begegnete, ihn zu studiren? Und es bot sich ein so einfaches Mittel, den Verkehr fortzusetzen. Er konnte ja das Pfarrhaus aufsuchen; gewiß würde der Pfarrer nichts lieber sehen, als seinen täglichen Verkehr dort – Markholm war ja eigentlich darauf angewiesen, da sich gar kein anderer Umgang in der Umgebung darbot. Einen Besuch hatte er bei seinem Kommen dort gemacht und den Herrn Pfarrer und die Frau Pfarrerin kennen gelernt; Beide waren zum Gegenbesuch bei ihm gewesen. Eine Einladung hatte er dann abgelehnt, weil er sich nicht wohl gefühlt; aufrichtig gesagt, er war nicht gern gegangen. Der Pfarrer war eine Persönlichkeit, die ihm in hohem Grade mißfallen. Ein Mann, der sich mehr um die Interessen der zur Pfarrstelle gehörenden Ackerwirthschaft, als um den geistigen Weinberg, in welchem er zum Arbeiter berufen, kümmerte; der nicht eher geneigt schien, sich groß um das Unkraut in den Seelen seiner geistlichen Heerde zu sorgen, als bis man auch dazu eine die Arbeit verrichtende zweckmäßige Jäte-Maschine erfunden haben würde. Während des Gesprächs, das Markholm mit ihm gehabt, hatte der Mann ihm so geklemmt und gedrückt geschienen, als ob er sich in einem Examen befinde, als ob er verlegen die Lücken seiner Bildung wohl fühle, aber sie vor Markholm bänglich zu verschleiern suche.

Vielleicht dachte deshalb Markholm nicht daran, jetzt plötzlich einen intimen Verkehr mit ihm zu beginnen … es ging ja auch nicht. Markholm konnte nicht in die Fußstapfen seines Neffen treten. Er konnte nicht demselben Magnete folgen wie Max. Er hätte sich schämen müssen vor sich selber, wenn er es gethan! Gewiß schon deshalb dachte er nicht daran.

Als er so saß, in tiefes Sinnen verloren, die Arbeit, welche seit einigen Tagen so wenig gefördert war, vor sich, die Feder in der Hand, aber statt zu schreiben langsam große Buchstaben auf den Rand des Manuskripts malend, vernahm er plötzlich einen leichten raschen Schritt, der durch die offenstehende Glasthür des Salons kam; und im nächsten Augenblicke stand, so plötzlich wie eine Vision, auf der Schwelle der ebenfalls wie gewöhnlich offenstehenden Thür seines Arbeitszimmers Elisabeth.

„Störe ich?“ sagte sie. „Ich komme nur, um Ihnen das Buch zurück zu bringen. Hier ist es. Ich danke. Jetzt geh’ ich gleich wieder!“

Markholm war aufgesprungen. Er fühlte, daß eine hohe Röthe seine Züge überströmte. Er war so betroffen, daß er im ersten Augenblicke nicht wußte, was sagen. So betroffen, es war kindisch, so betroffen zu sein, sagte er sich im selben Augenblicke selbst … es war gewiß nur, weil sie so plötzlich kam … warum kam sie auch so überraschend, so eilig, so ganz unvermuthet herein gestürmt?

„Fräulein,“ stammelte er, „und Sie wollen auf der Stelle wieder gehen?“

„Ich will Sie nicht stören. Adieu!“

„Haben Sie denn das Buch schon gelesen? Wollen Sie nicht ein anderes?“

„Nein, ich danke Ihnen.“

„Aber es ist nicht freundlich, aus dem Hause – eines Freundes so wieder fortzustürmen!“

Gewiß, es war nicht tactvoll, schon wieder auf diese Freundschaft zurückzukommen. – Markholm fühlte das recht wohl, aber ihm fiel ja nichts Anderes ein, sie zu halten, und sie zu halten hätte er ein Stück seiner Seele hingegeben – er mußte mit ihr sprechen, es war ihm, als hinge sein Leben davon ab … was, wozu, das wußte er selbst nicht!

„Nun, wie lange muß eine Freundin, wenn sie einem Freunde ein Buch zurückbringt, bleiben?“ fragte sie lächelnd.

„Wenigstens so lange, um ein kleines Gespräch zu pflegen.“

„Beginnen wir es!“ sagte Elisabeth, sich in dem Sessel niederlassend, der an der anderen Seite vor Markholm’s Schreibtisch stand. „Wer hat Ihnen den hübschen Strauß da gebunden?“

„Wer sollte es anders gethan haben, als ich mir selber? Ich muß mir meine Blumen selbst in’s Leben streuen – Andere thun es nicht!“

„Das ist Ihre Schuld!“

„Schuld? Nun ja. Ich hätte vielleicht Hände finden können, die mir Blumen gepflückt, sie mir sogar auf Sophakissen und Pantoffeln gestickt hätten; aber ich habe mich nie viel darum gekümmert.“

„Um die Blumen oder um die Hände?“

„Nun – um die Hände. Die männlichen Hände machen Alles besser, auch Frauenarbeiten, wenn es sein muß!“

„Das lautet paradox.“

„Und ist doch wahr. Sie sehen deshalb auch, daß in allen Häusern, wo der Mann nicht durch seine Berufsarbeit ganz in Anspruch genommen ist, dieser sehr bald die Frauenarbeit an sich nimmt, daß er Küche und Keller beaufsichtigt, die Rechnungen durchsieht, die Cassa führt, über die Gesundheit und Erziehung der Kinder wacht, und daß in einem solchen Hauswesen viel mehr Ordnung und Ruhe herrscht, die Dienstboten williger und verträglicher sind, die Ausgaben geringer, als wo ,Frauenhände’ walten – ja nicht einmal zum Kochen sind die Frauen berufen – wer reich genug dazu ist, jagt seine Köchin fort und nimmt einen Koch.“

Elisabeth lachte. „Ist das Ihr Ernst?“ sagte sie.

„Gewiß. Es ist ein großes Vorurtheil, daß ein Hauswesen einer Frau bedürfe. Man überläßt der Frau das Haus, weil man nichts Anderes zu thun hat für sie, um ihr eine Beschäftigung zu geben; aber berufen ist sie nicht dazu, die Männer verstehen wie Alles auch das viel besser.“

Sie schüttelte den Kopf. „Was soll denn die Frau thun?“

„Die Frauen sind wie die Muscheln – es giebt ihrer Tausende im Meere und nur in einigen wenigen findet man Perlen.“

„Also einige Perlen räumen Sie doch ein! Und diesen Perlen, welchen Beruf geben Sie denen?“

„Den andern zu zeigen, was die Frau eigentlich sein sollte: des Mannes bessere, edlere, nicht seine untergeordnete Hälfte; das Element der Bildung, der Kunst, des Schönen im Hause. Im Grunde, das will ich Ihnen einräumen, halte ich die Frauen für feiner organisirte, sensitivere Naturen; in ihrer Seele liegen hundert Ranken, die sich an etwas Höheres anklammern und emporwachsen möchten zu Licht und Sonne, zum Idealeren – allein diese Ranken werden niedergehalten, sie zerwuchern, am Boden niederer Alltäglichkeit hinsiechend.“

„Und woher kommt das?“

„Weil man sie verkehrt erzieht, weil man ihrem Geiste keine ernste Nahrung, ihren Fähigkeiten keine strenge Zucht giebt, weil ihr Unterricht eine Kinderei, ein Spott auf tüchtiges Lernen ist, und weil man ihnen an der Wiege vorsingt: Ihr seid für den Kochlöffel und den Strickstrumpf geboren.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_291.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2022)