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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

wären noch zwei Wintermonate gewesen, ich wäre gestorben. Ich konnte keine Musik mehr hören, es war, als wenn mein Kopf zerspringen und alle Nerven zerreißen müßten; hatte sogar zuletzt eine Art Abscheu und Angst vor Allem, was Musik heißt. Da kam der Frühling und da – bin ich aus meiner Winterpuppenverwandelung ausgekrochen als ein wenn auch nicht schöner, doch fröhlicher Schmetterling. Eine auffallendere Verwandelung ist mir noch nicht vorgekommen, als die meine. Eine Fülle von Kraft und Entwürfen ist wieder in mir, die Farbe ist wieder da, auch die Körperkraft und das Bischen Uebermuth, das ihr Begleiter ist, stellt sich wieder ein.“ – In dieser glücklichen Stimmung denkt der frische Geist vor Allem an die eigene Zukunft. Er will durch Schriftstellern sich die Mittel erwerben, um seinen Aufenthalt in Leipzig möglichst gut benutzen zu können.

Näher motivirt er diese Sorge in folgender wichtigen Briefstelle: „An meinem Geburtstage zählte ich meine Jahre zusammen und siehe, es waren deren siebenundzwanzig. Ich wollte mich überreden, zu viel gezählt zu haben, aber die Probe zeigte mir, daß ich richtig gerechnet. Kam nun dazu, daß ich in jenen Tagen eine gichtartige Steifheit in meinen Fingern fühlte, was mich so gleich auf den Gedanken meiner musikalischen Zukunft lenkte. Zur Composition gehört die praktische Fertigkeit auf einem Instrument wenigstens nothwendig. Uebung auf dem Klavier war mir daher eine Hauptsache, und ich glaube, da schon etwas vorgerückt zu sein. Nun die Geschichte mit den Fingern, die sich wiederholen könnte oder bleibend werden, dann die mit meiner Natur in Widerspruch stellende Hauptthätigkeit in der Musik im Winter und das Mißverhältnis meines Naturells und Charakters mit der gegenwärtigen Richtung der Musik ließen mir’s zweckmäßig erscheinen, zugleich aus Vorsorge einen andern Stab für die Zukunft zu ergreifen, und deßhalb beschloß ich, weil mir doch außer der Musik und Schriftstellerei schwerlich ein andrer Stand offen stehen wird, als der Lehrstand, was mich etwa zu seiner Ergreifung befähigen möchte, nicht außer Acht zu lasten.“

Ist hier der Vorbau gegen zukünftige Noth in einer Weise beplant, die uns zeigt, wie ernst Otto Ludwig es mit dem Leben nahm, so ergreift uns doch noch viel mehr die höhere Sorge, die er für die Freiheit seines schaffenden Wirkens hegte. Der ganze edle Otto Ludwig tritt uns entgegen in den Worten: „Die sich – in Folge meiner so bedingten Gesundheit – mir aufdrängende Gewißheit einer nicht mehr so langen Lebensdauer, als die Pläne, die mich bis jetzt beschäftigt, erfordern, dazu Ansprüche an das Leben, die mit Gewalt jetzt so laut und dringend werden, als ich sie sonst zurückgewiesen, und die den Boden, aus dem sie wachsen, mit in jener Gewißheit haben, bestimmten mich, zunächst auf eine gesicherte Existenz zu denken, die nicht glänzend zu sein brauchte, einestheils, weil ich jetzt sehe, wie wenig Bedürfniß ich dennoch eigentlich habe, anderntheils, weil ich durch schriftstellerische Arbeiten mit der Zeit eine nicht unbedeutende Nebenerwerbsquelle vor mir sehe. Dazu kam der innere, genau genommen eigentlich der Hauptgrund, daß ich selbst in musikalischer und schriftstellerischer Hinsicht dann freier gestellt bin. Ist dies nicht mein einziger Fond, so muß ich der herrschenden Richtung nicht schmeicheln, sondern bin in Stand gesetzt, wahrhaft Gutes und Dauerndes je nach dem Maße meines Talents zu leisten, Und Das war es ja, was ich von je wollte, nicht die Schmeichelei des äußern Ruhms, sondern die innere Beruhigung, die aus dem Bewußtsein quillt, nicht was lockte, sondern was man sollte, gethan zu haben.“

Wahrlich, wenige Männer sind unter weniger günstigen Verhältnissen einem solchen selbstgegebenen Gebot des Gewissens und der Ehre treuer geblieben, als Otto Ludwig.

Noch bezeichnet er zwar die Schriftstellerei als eine „Nebenerwerbsquelle“, berichtet seinem Onkel, daß er so eben eine Erzählung „das Hausgesinde“ geschrieben und an Ferdinand Stolle nach Grimma für die „Eilpost“ geschickt habe, und daß dieser so freundlich gewesen sei, dieselbe, damit sie rascher zum Druck komme, selbst an Herloßsohn für den „Kometen“ abzugeben, aber zugleich deutet er bereits auf das höchste Ziel seiner Zukunft hin: „Auf das Drama“ – schreibt er – „habe ich große Hoffnung gesetzt; von allen Seiten beginnt man, es zu fördern und in seine alten Rechte einzusetzen, wozu vornehmlich die Verdorbenheit der Oper Anlaß sein mag … Solche Zeiten sind gut, das Talent erkennen und würdigen zu lassen. Deshalb hab’ ich die Hälfte meiner Zeit dem Studium und praktischen Versuchen in diesem Fache gewidmet. Eine Kunst, die jung wieder aufsteht, trägt auch ihre Priester höher und kräftiger empor, denn die Bewegung ist die Mutter des Werdens.“

Ungern trennt man sich von den jugendfrischen und hoffnungsfrohen Briefen; aber der Raum gebietet Sparsamkeit; vielleicht ist es uns später einmal vergönnt, aus diesen und anderen Reliquien des edlen Geistes noch einen Nachtrag in der Gartenlaube zu bringen.

Das Jahr 1840 sah in Otto Ludwig noch einen eifrigen Studenten der Musik, wie Studienhefte und Compositionen bezeugen; der Winter von 1840 auf 41 wurde jedoch entscheidend für die Berufswahl des armen von Leiden Gemarterten. Er selbst erzählt uns, ohne näheren Aufschluß zu geben über das gänzliche Fallenlassen der musikalischen Studien, den weitern Verlauf seines Lebens von dieser schweren Nervenkrankheit an in folgender Kürze: „Ich kann keinen Ton Musik ertragen, muß davon, wenn ich eine Geige höre, und kehre auf ein Jahr (1841) zu meinem Onkel zurück, bei dem ich mich erhole. Im Jahre 1842 gehe ich von Neuem nach Leipzig, 1843 nach Dresden, kann zu größeren Sachen keinen Verleger finden. Dann lebe ich wechselsweise in dem Dorfe Garsebach in Natureinsamkeit, in Meißen und Dresden. In dieser Zeit erschienen Novellen von mir in Journalen; 1846 werde ich bei Gelegenheit eines Trauerspiels, das ich ihm zur Veurtheilung sandte, mit Eduard Devrient in Dresden bekannt. Die Aufführung des Stücks, dessen Held ein exilirter Pole, wird durch den posener Aufstand unmöglich gemacht. Von da an fördert mich Devrient’s Theilnahme und Aufmunterung, und er ist’s, der mein Debüt als Schauspieldichter möglich gemacht hat, indem er den ,Erbförster’ auf die Bühne brachte.“

Es ist sehr erfreulich, daß aus dieser zweiten Leipziger und der Meißner Zeit Otto Ludwig’s sein Freund August Kretzschmar den Lesern der Gartenlaube (No. 14) ein so lebendiges Bild vom Wandel und Schaffen des Dichters bieten konnte; von jetzt an, wo ein neuer Kreis von gleichstrebenden Freunden sich ihm anschloß, fließen die Eisfelder Quellen über ihn spärlicher. Dennoch waren seine Beziehungen zu den alten Jugendgenossen in der Heimath die innigsten geblieben; wie vertrauensvoll er ihnen den Einblick in sein ebenso stilles wie rastloses Vorwärtsringen eröffnete und wie energisch und zielfest dieser selbst war, dafür möge wenigstens eine Stelle seiner späteren Briefe zeugen.

Otto Ludwig’s Dresdener Freunde erzählen, daß er Novellistisches nicht aus innerem, sondern meist aus äußerem Drang geschrieben habe, ja daß selbst seine größeren Schöpfungen, die „Thüringer Naturen“ und „Zwischen Himmel und Erde“ hauptsächlich dem Einflusse Berthold Auerbach’s auf ihn ihre Vollendung verdankten; dem Drama gehörte seine ganze Seele. Das Schicksal seines ersten dramatischen Werks „Die Rechte des Herzens“ erzählt er selbst. Trotzdem nun um dieselbe Zeit sein Herz sich der Liebe ergeben hatte, so konnte doch die Sehnsucht nach einem eigenen Heerd ihn nicht verführen, der trefflich honorirten dramatischen Mode des Tags zu huldigen. Er wich keinen Augenblick von seiner hohen Bahn, bis endlich der „Erbförster“ ihm die Bühnen erobert hatte. Auf diesen Erfolg konnte er den Bau häuslichen Glücks zu gründen wagen. Da er nicht sächsischer Bürger werden wollte oder konnte, so mußte seine Braut, Emilie Winkler aus Meißen, Bürgerin von Eisfeld werden. Er wandte sich deshalb an die Behörde seiner Vaterstadt, und der Freude über die Bereitwilligkeit, mit der seinem Wunsche in ehrendster Weise entsprochen wurde, gab er in folgendem (an den jetzt verstorbenen Registrator Ambrunn gerichteten) Briefe Ausdruck, der in Dresden am 25. December 1851 geschrieben ist:

„Wie ich mich gefreut und wie ich Euch, Ihr lieben Menschen, meine Dankbarkeit nicht blos mit Worten möchte bezeigen, das will ich nächstens in einem besondern Brieflein ausführen … Ich hoffe, Ihr seid zu diesen Feiertagen so gut auf dem Zeug, als mir möglich ist. Meine Braut ist’s und ich selber bin’s so ziemlich; ich muß mir schon wieder gefallen lassen, daß mich die Leute einen robusten Menschen nennen. Hat doch selbst ein Mal Hofmaler Oehme, ein lieber Freund von mir, mich für ein Bild von gesundem Menschen gehalten, ehe er mich genauer kennen lernte.

„Meine Arbeit ist freilich wohl die Hauptursache meiner Kränklichkeit; ich habe mir ein großes Ziel gesetzt, nämlich: das männliche Princip in unsere deutsche Dichtung nicht allein, sondern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_326.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)