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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zu, daß er beim Rechten bleibt und das gemeine Volk nicht plagt … Geb’ Sie mir die Hand darauf! Thu’ Sie’s immerhin,“ setzte er lachend hinzu, da sie etwas zögerte, „meine Haut ist nicht so fein, wie die Ihrige, aber eben so gut!“ Er drückte und schüttelte der zarten Frau tüchtig und derb die Hand, warf die Büchse über die Achsel, pfiff seinem Tiras und schritt davon.

Einige Tage später wimmelte die ganze Gegend von Soldaten; man hatte ein paar Compagnieen aus den nahen Städten aufgerufen: sie kamen nach dem Feste und zogen unverrichteter Dinge wieder ab, denn Hiesel war mit seinen Genossen schon über zehn Meilen entfernt und hatte sich in den damals fast undurchdringlichen Kemptner Wald geworfen. Der Amtmann hatte nicht übel Lust, es die Bauern entgelten zu lassen, aber die Sache war ruchbar geworden, die benachbarten Herren riethen freundschaftlichst, das Volk nicht zum Aeußersten zu treiben: so blieb die Strafe uneingetrieben, Hiesel’s Name war mit neuem Glanz umgeben, die Losung aller Bedrängten, der stete stille Schrecken aller kleinen Dränger und Gewaltherren.

Die Wildschützen, von dem weiten, anstrengenden Wege ermüdet, wollten es sich erst bequem machen und sich erholen, eh’ an neue Unternehmungen gedacht werden sollte. Die Ruinen der alten Ritterburg Sulzberg, südlich vor dem Kemptner Walde gelegen, waren zum Ruheplatz erkoren und auch ganz geeignet – ein weitläufiges Trümmerwerk, damals noch umfangreicher und besser erhalten, als jetzt, wo nur noch ein gewaltiger viereckiger Thurm sich über das grüne Hügelland erhebt, als gelte es, die nahen Berge Tirols und die Schweizer Alpen zu beobachten.

Wer damals die Ruine betreten, der hätte wohl ein befremdlich, aber doch ein buntes Bild geschaut, voll Farbenreiz und von wilder Schönheit überstrahlt. In dem ehemaligen Schloßhofe waren die Wilderer zwischen Trümmern und aufwachsendem Gebüsch gelagert; in einer windfreien Ecke loderte ein lustiges Feuer. Lachen und Singen erschallte, als wär’ es eine Schaar fröhlicher Menschen, die aus der Stadt gezogen, in freier Natur einmal einen freien Tag zu leben, nicht eine Bande ausgestoßener Flüchtlinge, die längst dem Kerker verfallen und dem Henkerbeile.

Am Eingange des Hauptthurmes saß Hiesel, neben ihm der treue Anderl, zu Beider Füßen der unzertrennliche Tiras, der mit unverwandten Blicken einen jungen, städtisch gekleideten Mann beobachtete, der, auf einem Mauerstück sitzend, eine Mappe auf den Knieen ausgebreitet hielt und zeichnete. Es war der Maler Lander aus Augsburg, der sich die Mühe nicht hatte verdrießen lassen, den Kreuz- und Querzügen des berühmten Wildschützen zu folgen, um sein Portrait zu erhalten. Hiesel war anfangs bedenklich gewesen und hatte einen Fallstrick dahinter gefürchtet, der benutzt werden solle, um ihn überall, wo er erscheine, gleich kenntlich zu machen; seine Eitelkeit hatte aber über die Bedenklichkeiten gesiegt, als der Maler ihm erzählte, wie alle Welt nach seinem Bilde begierig sei und wie es dann in den Städten in den Schaufenstern der Läden ausgestellt sein werde mitten unter den Conterfeis von Potentaten und Kriegshelden. Hiesel plauderte mit dem Maler und erzählte von seinen überstandenen Abenteuern und Gefahren: es war eine Schwäche von ihm, daß er es gern sah, wenn man ihm zuhörte und ihn bewunderte.

Als der Maler eben seine Arbeit der einbrechenden Dämmerung wegen einstellen mußte, trat Einer der Seinigen hinzu und gab dem Hauptmann einen unmerklichen Wink, daß er etwas Besonderes zu melden habe. „Sie ist schon wieder da,“ flüsterte er, als sie hinter eine umgestürzte Wand getreten waren, „die Person, die uns überall verfolgt, sie läßt nicht von uns, wenn Du sie nicht einmal anhörst und selber weiter schickst.“

„Aber was will sie denn?“ fragte Hiesel. „Wer ist sie?“

„Was sie will, das will sie nur Dir selber sagen; aber auf mein Andringen hat sie mir ihren Namen gesagt: es ist die Wirthskundel vom Waldhaus …“

Auch diesmal war vor Hiesel der Gedanke an Monika aufgestiegen, dennoch war er nicht unangenehm überrascht, als er diesen Namen hörte: war es doch der seiner treuen Pflegerin, die er ohne Abschied verlassen und, durch sein Wanderleben abgehalten, nicht mehr wieder gesehen hatte. Er eilte der von dem Genossen bezeichneten Stelle zu; an einem offenen Platze unter den Bäumen saß das Mädchen und sah in den beginnenden Abend, der es mit seinem reichsten Lichte übergoß. Es kam ihm vor, als habe er sie nie so schön gesehen. Als sie seinen Schritt vernahm, sprang sie auf und stand vor ihm, auf den Wangen ein noch zarteres Roth, als alles Licht der Sonne auf den bleichen Grund zu malen vermocht hatte. Die gewandte Dirne stand befangen, als er vor sie trat, und fand kein Wort des Grußes; aus ihrer Verwirrung stieg ihm die erste Ahnung dessen auf, was ihren Schritt an seine Spur geheftet und sie zu ihm geführt haben mochte. In eigenthümlicher Erregung vernahm er, als sie auf seine Frage zögernd und erst nach und nach Muth gewinnend erzählte, wie die Einsamkeit im Hause des Vetters ihr unerträglich geworden, wie sie sich in die Welt hinausgesehnt und sich vorgenommen, das freie Leben der Wildschützen zu theilen. Sie wolle bei ihnen bleiben und ihre Wirthschafterin sein. Was sie sagte, war keine Lüge, und doch war es die Wahrheit nicht. Als Hiesel fort war, hatte sie erst gefühlt, wie sehr ihr Herz an ihm hing, sie hatte sich erst darüber gegrämt, daß auch der Mann zu den Ausgestoßenen gehöre, bei dessen Anblick ihr zum ersten Male eine Ahnung aufgegangen, was wahre Liebe ist, dann rüttelte sie an ihren Vorsätzen, einen andern Lebensweg einzuschlagen, und das leichte Gebäude stürzte ein – war es ja doch nur um dessen willen gebaut worden, den sie dadurch zu erringen geglaubt. Sie verhöhnte sich selbst, daß sie solche Gedanken gehabt, sie erkannte einen Wink des Schicksals in dem Geschehenen, daß sie bestimmt sei, zu den Verworfenen zu gehören – sie sträubte sich auch nicht mehr gegen den Gedanken, aber sie wollte auch den Preis erringen, um welchen sie sich selber verloren gab.

Hiesel durchschaute wohl den Grund dieser Anhänglichkeit; sie bewegte ihn und erfüllte ihn mit Mitleid; die Stelle, an welcher Monika’s Bild eingeprägt, war die einzige noch unentweihte seines Gemüths. Er verbarg, was er dachte, und wies Kundel freundlich aber ruhig zurück. „Das geht nicht, Kundel,“ sagte er. „Du mußt eine sonderbare Vorstellung von unserem Leben haben; wir sind ein unstetes Volk, das keine Wirthschafterin braucht. Geh’ wieder zu Deinem Vetter, ich mein’s gut mit Dir; zum Dank für Deine Wart’ und Pfleg’ kannst’ die Nacht bei uns bleiben, morgen aber soll Dich der Mann da in Deine Heimath führen und da bleib’ … wie ich’s kann, will ich in die Gegend kommen und Dich heimsuchen …“ Er winkte Jenen herbei; Kundel stand mit niedergeschlagenen Augen, traurig und ohne Widerstreben ließ sie sich hinwegführen.

Der Wildschützen-Hauptmann kehrte nicht zu seinen Genossen zurück. Er setzte sich auf einen waldigen Vorsprung des Schloßhügels und sah der Sonne zu, wie sie vollends hinunterging. Dichtes Gewölk zog sich wie eine schwarze Mauer am Horizonte hin; als der Feuerball dahinter niedersank, flammte es auf wie ein Meer von rothglühendem Metall und warf einen unheimlichen Gluthschein über die weite Landschaft. Hiesel gewahrte es nicht; er saß in Sinnen verloren, bis es dunkelte. Auch in ihm war es düster und nächtlich geworden. Da kam der Mond über den Bergen herauf – das eine Licht in der Nacht, wie in seinem Innern die Erinnerung an das wackere Mädchen, dem er sein besseres Selbst zu eigen gegeben, das ihn geliebt und doch von sich gestoßen. Aber die Erinnerungen schwammen und schwebten durcheinander, und neben Monika’s reinem Bilde tauchte eine verlockende Gestalt auf … er sah sie wie durch einen Fiebertraum über ihn gebeugt seinen Athemzug belauschen, sah in dunkle Feueraugen, in Augen, aus denen ein Gefühl sprach, nach dem sein Herz begehrte …

Da rauschte es durch den nächtlichen Wald … aufspringend glaubte er ein Gewand unter den Bäumen verschwinden zu sehen … er eilte nach.

Die Wolkenwand war hoch in den Himmel heraufgerückt und bedeckte den Mond.




5.

Der Höhenpunkt war erreicht – das Gestirn des Glücks begann zu sinken.

Es war im Spätherbst. Unter einer mächtigen Buche am Waldesrand saß Hiesel und sah über abgeräumte Saatfelder hin auf die weit gedehnten Wälder des Lechgebiets, dem er sich allmählich wieder genähert hatte; er dachte, Baierns Forsten einen Besuch zu machen, nachdem er bisher hauptsächlich in Schwaben, im Allgau, bis nach Ulm und im Würtembergischen gehaust. Aus einem grünen Waldstrich sah der Kirchthurm des Dorfes empor,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_335.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)