Seite:Die Gartenlaube (1865) 343.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Inzwischen aber loderte schon die kaum erstickte Wuth der Parteiung in Florenz wieder in lichten Flammen auf. Die vornehmsten Geschlechter der Stadt waren die Donati und die Cerchi. Von älterem patricischen Adel mochten die Donati sein, dafür besaßen die Cerchi größere Reichthümer, sie waren geschickte Handelsleute und Fabrikanten. Sie kauften und ummauerten den Palast der Grafen Guidi, der gerad an die Häuser der Donati stieß. Das nahm das Haupt jener Familie, Corso Donati, übel, in dem Etwas von einem Tyrannen schlummerte; „sollen wir das dulden?“ rief er in der Geschlechtsversammlung. Zwischen ihm und den Cerchi kam es darauf in den Gassen, bei den Festen zu den feindseligsten Berührungen.

Vieri dei Cerchi war zwar ein kluger, mäßiger und furchtsamer Mann, aber zu seiner Freundschaft hielt sich auch Guido Cavalcanti, ein Dichter und heißblütiger Ritter. Auf offener Straße warf der einmal einen Wurfspieß auf Corso Donati, denn er beschuldigte diesen, daß er ihm heimlich nach dem Leben gestellt habe. In dieser Unruhe befand sich Florenz, als ein neuer unglücklicher Umstand den schon drohenden Ausbruch des Bürgerkriegs herbeiführte. Die kleine toscanische Stadt Pistoja war von wildem Parteizwist gleichfalls zerrissen; das hervorragendste Geschlecht der Cancellieri hatte sich in zwei Stämme gespalten, in die Neri, die Schwarzen, und die Bianchi, die Weißen, beide von unversöhnlichem Hasse wider einander entflammt. Um den Frieden in Pistoja herzustellen, rief die Regierung von Florenz die Häupter der Neri und Bianchi zu sich; die Cerchi nahmen die Weißen, die Donati die Schwarzen bei sich auf. Die Folgen waren leicht vorauszusehen; die mühsam zurückgehaltene Feindschaft der beiden Geschlechter wurde jetzt zu einem unlöschbaren Brande entzündet, ganz Florenz, wenige besonnene und friedliche Männer ausgenommen, trennte sich in zwei Factionen, die Weißen und die Schwarzen.

Inmitten dieser Kämpfe stand Dante. Mit den Donati war er durch seine Heirath verwandt, mit einigen unter ihnen, Forese Donati und dessen Schwester Picarda auf das Zärtlichste befreundet; seine politische Neigung zog ihn dagegen zu den Cerchi; mit Guido Cavalcanti sah man ihn Arm in Arm. Obgleich Cavalcanti zehn Jahre älter war, als er, verband beide die gleiche Liebe zur Dichtkunst, eine schwermüthige Weltanschauung, die in den Gedichten beider durchbricht, dieselbe politische Parteistellung. Vom 15. Juni zum 15. August des Jubeljahrs 1300 – der Papst Bonifaz der Achte feierte das Jubiläum zu Rom – saß Dante mit Dino Campagni unter den sechs Prioren der Stadt. Um den Frieden zu erhalten, beschloß man die Häupter sowohl der Weißen als der Schwarzen zu verbannen. Aber die Parteilichkeit der Regierung für die Weißen zeigte sich bald; denn als Guido Cavalcanti zu Sarzana, wohin man ihn geschickt, an einer pestartigen Krankheit starb, rief man die andern Verbannten, unter dem Vorwand der schlechten Luft Sarzanas, zurück. Da merkten die Donati, daß sie nur gewaltsam ihre Heimkehr nach Florenz erzwingen würden, und suchten durch das Wechslerhaus der Spini geheimes Einverständniß mit dem Papste anzuknüpfen. Unter den Weißen fingen an sich ghibellinische Anschauungen geltend zu machen. Noch gab es in Toscana viele Edelleute, die den kaiserlichen Tendenzen huldigten. Je näher den Weißen die Gefahr von den Schwarzen und dem Papste drohte, desto enger schlossen sie sich an diesen kriegsbereiten Landadel an. Schon aber war Bonifaz der Achte mit den Donati über das Verderben der Weißen einig geworden. Damals rückte ein französischer Prinz, Carl von Valois, mit einem Heerhaufen durch Toscana, seinem Verwandten, dem Könige von Neapel zu Hülfe, der mit den Sicilianern im Kriege lag. Diesen bestimmte der Papst zum Friedensstifter zwischen den Parteien in Florenz. Um das Aeußerste von der Stadt abzuwenden und Bonifaz den Achten günstiger für die Bianchi zu stimmen, ging Dante als Gesandter nach Rom.

In seiner Abwesenheit rückte Carl von Valois, da die Prioren nicht den Muth hatten, die Thore vor ihm zu schließen, in Florenz ein; den Eid, den er geleistet, die Verbannten nicht in die Stadt zu führen, brach er; Corso Donati kehrte mit seinen Anhängern heim. Mehrere Tage wütheten Mord, Brand und Plünderung in Florenz, die Bianchi wurden verjagt. Gegen Dante erließ der neue Podestà Lante Gabrielli am 27. Januar 1302 diese Sentenz: „Dante Alighieri wird zu achttausend Livres und zweijähriger Verbannung verurtheilt, weil er gegen die Aufnahme Herrn Carl’s von Valois gesprochen und wider Recht Geld in seinem Priorate genommen“; am 10. März ward dieser Spruch dahin verschärft: „Wenn Dante das Gebiet der Republik betritt, so soll er des Feuertodes sterben.“ So stieß Florenz, „die Stiefmutter voll wenig Liebe“, ihren besten Sohn von sich. Dante gehörte nicht nur zu den Häuptern der Weißen, er war auch sonst eine bekannte Persönlichkeit in der Stadt. Schon hatte er die ersten Gesänge der „Göttlichen Komödie“ in Umrissen, die er später änderte und ausführte, vollendet; viele Stellen daraus gingen von Mund zu Mund; die Leute des Volkes sangen sie. Einem Töpfer, der bei seiner Arbeit einzelne Verse in arger Verstümmelung sang, soll Dante den Kram zerschlagen haben: „Ich mißhandle Deine Werke, wie Du meine.“ Nicht besser erging es einem Eseltreiber, der zwischen den einzelnen Versen seinem Thiere immer ein „Hussah!“ zuschrie. Dante war ein ernster, schwermüthiger, jähzorniger Mann; kein Freund des Volkes in unserm Sinne. „Seines Wesens wegen,“ sagt ein Chronist, „war er ziemlich schnöde, anmaßend und stolz, und wie ein Philosoph, der sich nicht um leutselige Sitten bekümmert, wußte er mit Laien nicht wohl umzugehen.“ Er hatte eben ein hohes Gefühl seines Werthes und die Ahnung, daß er ein besonderer Mensch sei. Stets ging er in adliger Kleidung, seine Haltung war edel und fein. Ein langes, bräunliches Gesicht, ausdrucksvolle Augen, eine Adlernase und die vorstehende Unterlippe, der schwarze Bart und das krause Haar, der nachdenkliche Ausdruck seiner Züge mögen ihm von jeher etwas Auffälliges gegeben haben. Die Kinder sollen sich vor ihm gefürchtet haben und die Frauen von Verona, wenn er an ihnen vorbeischritt, raunten sich zu: „Da kommt der Mann, der in der Hölle gewesen.“

Die schroffen Seiten in Dante’s Charakter bildeten sich in der Verbannung noch stärker und herber aus. Von jenem Januar 1302 bis zu seinem Tode ist sein Leben eine lange, unstäte Irrfahrt; er lernte nun, „wie schwer es ist, fremde Stiegen zu steigen; wie salzig fremdes Brod schmeckt; wie es im Elend keinen bitterern Schmerz giebt, als die Erinnerung früher genossenen Glücks.“ Anfangs versuchten die Bianchi, und er in ihrem Kriegsrath, sich in Toscana zu halten und von Arezzo aus eine günstige Gelegenheit zum Ueberfall der Vaterstadt abzuwarten. Aber alle Versuche schlugen fehl; mißmuthig trennte sich Dante von ihnen. An die Gemeinde von Florenz richtete er einen Brief: „Was habe ich dir gethan, mein Volk?“ worin er sich rechtfertigt und um Aufhebung der ihn verdammenden Sentenz bittet. Da keine Antwort darauf erfolgte, verließ er Toscana und eilte nach Verona, wo Bartolommeo della Scala ein starkes Regiment in prächtiger Hofhaltung führte. In Dante schlug eine ruhelose Ader; einmal aus dem heimathlichen Boden entwurzelt, losgerissen von Allem, was er liebte, woran er mit den festesten und heiligsten Banden der Seele hing, irrte er, von innerer Unruhe getrieben, durch die Lombardei, kehrte nach Toscana zurück und erschien dann wieder in Bologna und Padua. Nirgends fühlte er sich dauernd gefesselt. Ausschließlich gab er sich theologischen Studien und der Vollendung seines großen Gedichts hin. Der Ruhm, den die theologische Facultät der Pariser Universität genoß, führte ihn dorthin; er soll hier Baccalaureus geworden sein, gelesen, disputirt und alle nöthigen Schritte gethan haben, um Doctor der Theologie zu werden, nur habe es ihm am Gelde gefehlt, diese Würde zu erlangen.

Aus seinen friedlichen Beschäftigungen ward Dante durch die Nachricht gerissen, der neuerwählte Kaiser Heinrich der Siebente rüste sich zu einem Römerzuge. Noch einmal, in aller Stärke, erwachte die politische Leidenschaft in ihm. In drei Büchern, de Monarchia betitelt, sucht er in lateinischer Sprache – denn er wendet sich nicht, wie in seinem Gedicht, an das Volk, sondern an die Gelehrten – seine politischen Anschauungen darzustellen und zu begründen. Freiheit und Frieden seien die ersten Bedürfnisse des Menschengeschlechts zur Erreichung seiner Bestimmung. Nur dann seien sie zu erlangen und zu bewahren, wenn ein Einziger, der Kaiser, die Oberherrschaft über Alle führe. Dadurch werden die einzelnen Staaten, Fürstenthümer und Republiken nicht vernichtet, der Kaiser schlichtet die Zwistigkeiten unter ihnen und beschützt den Schwachen wider den Uebermuth des Stärkeren. Er ist die allgemeine Sonne der Gerechtigkeit. Diese kaiserliche Herrschaft schreibt sich aber von dem Imperium des römischen Volkes über die Welt her. Christus selbst habe dies anerkannt, unter Augustus sei er geboren worden, unter Tiberius habe er gelitten,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_343.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)