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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

in Osterzell und bleibt dort im Wirthshause über Nacht … er ist hingefahren, aber auf dem kürzern Weg, den ich Ihnen zeigen kann, sind wir vor Tagesanbruch lang schon dort und können das ganze Nest im Schlaf ausheben …“

„Ein tüchtiger Marsch!“ rief der Lieutenant. „Wie ich die Entfernung kenne, werden wir, zumal bei dem vielen Schnee, tüchtig auftreten müssen … also vorwärts! Er geht immer vor mir her, und wie ich etwa Unrath merke, laß’ ich Ihn auf dem Fleck fusiliren …“

„Darauf will ichs wagen,“ grinste der Rothe, „aber gehen Sie nur voran, Herr Officier … in einer Minute komm’ ich nach, muß nur erst noch ein wenig aufräumen und meinem Weibe sagen, wann ich wieder komme …“

Die Soldaten gingen und bald waren ihre Tritte verhallt. Der Rothe bückte sich zu der Fallthüre nieder, schob den Riegel zurück und wollte sie eben aufheben, als mit einmal die schwere Thüre, mit Gewalt emporgeschleudert, aufflog … Kundel stürzte heraus und mit Blitzesschnelle dem Ausgange zu. Eben so rasch aber hatte der Rothe nachspringend sie gepackt und zurückgerissen. „Oho,“ rief er, „was soll das bedeuten? Du hast wohl in dem Keller unten gehört, was da verhandelt worden ist, und willst wohl fort, Deinen alten Schatz zu warnen, damit ihm nicht geschieht, was einem so rechtschaffenen Mann gehört? … Bist eine gute Wirthin, Kundel – diesmal aber hast Du die Rechnung doch falsch gemacht … Hinunter wieder in den Keller! Da bleibst Du, bis ich morgen wieder komme … bis dahin ist der Hiesel schon, wo er hin soll, und dann gehst Du mit mir…“

Kundel antwortete nichts; sie vermochte es nicht vor Aufregung und wand sich nur mit Anstrengung all’ ihrer Kräfte, um sich aus seinen sie umklammernden Armen zu befreien; er hielt sie um den Leib gefaßt und suchte sie mit vorgestemmtem Knie nach der Kellerthüre hinzudrängen – einige Augenblicke war nur das Keuchen der Ringenden vernehmbar; es war ein grimmiger Kampf roher Bosheit mit verzweifelter Ohnmacht. Kundel hielt den Gegner mit der einen Hand an einem der Schnürknöpfe des Wammses gefaßt, mit der andern suchte sie an dessen Kehle zu gelangen … im Moment aber besann sie sich anders und machte eine Bewegung, das Stilet in seinem Besteck zu erfassen; der Rothe durchschaute ihre Absicht und kam ihr zuvor … im Augenblick blinkte das Dolchmesser in seiner Hand. Sie fiel ihm in den Arm und wollte es ihm entreißen … wüthender noch wurde der Kampf, … „Ich laß’ Dich nit,“ keuchte Kundel, „… Du sollst ihn nit verrathen … ich will ihn retten oder sterben …“

Es war nicht zu unterscheiden, wie es eigentlich so gekommen … im nächsten Augenblick war das Messer in Kundel’s Brust gedrungen; mit einem schwachen Schrei brach sie zusammen, hielt sich aber im Sinken noch stärker und krampfhafter an dem Wamms ihres Mörders fest … da brach der Knopf, die Berschnürung riß, blutüberströmt, regungslos, stürzte sie zu Boden …

„So ist Eins von den Zweien, was Du gewollt hast, doch wahr ’worden,“ sagte der Rothe indem er zurücktrat und sie einen Augenblick mit scheuen Blicken betrachtete … „Ich hab’s anders im Sinn gehabt – aber Du hast es selber nit anders haben wollen…“

(Schluß folgt.)




Allgemeine Kinder-Sparcassen.

Ein Lehrer in einem reußischen Dorfe hat in seiner Schule eine Sparcasse errichtet. Jeden Pfennig, den eines seiner Schulkinder ihm bringt, legt er für dasselbe zurück; jedes Kind führt selbst über seine Einlagen Buch.

Was bezweckt wohl dieser Lehrer mit einer solchen Einrichtung, durch welche er seine schulamtlichen Arbeiten freiwillig vermehrt? Sollte er ein Erziehungs- und Bildungsmittel in diesem Pfennigsammeln gefunden haben?

Ohne Zweifel! Und betrachten wir die Sache ein wenig näher, so sehen wir aus der Gewöhnung des Kindes an Sparen eine ganze Quelle heilsamer Folgen hervorkommen. Die Anregung zu dieser Betrachtung aber verdanken wir einem einfachen Arbeiter, der, selbst ein gewissenhafter Sparer, den Einfluß des Sparens auf die Charakterentwickelung des Kindes und dadurch auf die Verbesserung der menschlichen Gesellschaft erkannt hat und eben deshalb schon lange mit dem Gedanken umgeht, die Gründung von allgemeinen Kinder-Sparcassen zu veranlassen, damit die Wirksamkeit dieser Segensquelle immer weiter über das deutsche Vaterland sich verbreite. Die mündliche Erklärung, die uns Herr Wilhelm Wahl, Maurerpolier in Leipzig, darüber gab, bringen wir hiermit in die Oeffentlichkeit und möchten sie vor Allen den Herren Lehrern ans Herz legen, die zunächst die Gelegenheit haben, den heilsamen Gedanken zur That werden zu lassen.

Nach der Ansicht des Herrn Wahl muß das Sparen des Kindes in der Wiege beginnen. So lange das Kind dazu noch nicht selbst fähig ist, müssen die Angehörigen es besorgen; sobald das Kind die Schule betritt, beginnt seine Selbstthätigkeit im Sparen.

Ein äußerer Zwang darf jedoch dabei nicht stattfinden. Der Trieb dazu muß ein innerer sein, dieser wird jedoch durch das Zusammenleben der Kinder in der Schule, ist er vom Lehrer angeregt und anfangs auch vielleicht nur von wenigen Eltern und Kindern erfaßt, bald genug so mächtig wirken, daß der Besitz eines Sparbüchleins nicht als bloßes Glück des Besitzes, sondern als eine Ehre erscheinen wird, welcher selbst das ärmste Kind theilhaftig sein will. Einsichtige Eltern halten wohl überall ihre Kinder zum Sparen an, und es bestehen Kinder-Sparbüchsen in jeder guten Familie. Niemand wird zweifeln, daß auch dieses Sparen sein Gutes hat, aber es ist doch bedeutend verschieden von dem öffentlichen Sparen. Wir wollen nicht einmal den Umstand hoch anschlagen, daß der Inhalt der Sparbüchsen in der Familie nicht immer zu dem bestimmten Zwecke auch wirklich verwendet, daß die Casse nur zu oft von den Kindern und nicht selten sogar von den Eltern zu anderen Zwecken angegriffen und dadurch die moralische Wirkung des Sparens bedeutend verkürzt wird; wir deuten nur auf den Umstand hin, daß das Sparen in der Familie eine Art geheimes Thun ist, das blos sich im Auge hat, eher geeignet, Selbstsucht zu begründen und dem Laster des Geizes Vorschub zu leisten, während das öffentliche Sparen das Gemeingefühl in den Kindern weckt und durch den vernünftigen Zweck des Sparens von vornherein dem unvernünftigen Geiz den Eingang verschließt.

Damit aber nicht ein noch schlimmerer Feind des Menschenglücks mit diesem öffentlichen Sparen sich in die Herzen der Kinder einschleiche: der Neid – muß der wöchentliche Sparbeitrag für Arme und Reiche ein gleicher sein. Nur für die Aermeren hat auch die geringe Summe Bedeutung, die ein kleiner Sparbeitrag bis zum Austritt des Kindes aus der Schule ansammelt. Für die Kinder der Reichen ist die moralische Wirkung die Hauptsache, da die kleine Sparsumme für sie kein Gewicht hat; dagegen kann beim Armen die moralische Wirkung sogar auf die Eltern übergeben. Viele derselben werden sagen: Wir haben schon zu wenig zum Leben, woher sollen wir noch zum Sparen nehmen? Und doch muß der ehrliche, offenherzige arme Mann der Arbeit uns zugeben, daß jeder, der den ernsten Willen hat, daß sein Kind wöchentlich einen halben Groschen zur allgemeinen Sparbüchse bringe, es auch ausführen kann; selbst in der armen Arbeiterfamilie ist es in der Regel dem Manne möglich, durch irgend eine kleine Entbehrung (am leichtesten, wo das nichtsnutzige Cigarrenrauchen auch den armen Arbeiter im stinkenden Netze hat) ein paar Pfennige zu erübrigen, die seinem Kinde in der Schule die Ehre eines Sparbüchleins sichern. Für die Aermsten und Waisen würden sehr wahrscheinlich diese allgemeinen und deshalb öffentlichen Kinder-Sparcassen neue Quellen der Wohlthätigkeit erschließen. Gar mancher Wohlhabende würde viel lieber einem armen Kinde das Sparen möglich machen, als daß er durch seine Milde die Bettelei unterstützt. Denn wer wird zweifeln, daß diese öffentlichen Kinder-Sparcassen wenigstens der Kinderbettelei ein Ende machen? Haben erst auch die armen Eltern sich ermannt, ihren Kindern „die Ehre des Sparbüchleins“ zu verschaffen und gehören die Kinder in der Schule zu denen, welche Sparbüchlein besitzen, so werden diese sicherlich dadurch zum Betteln unfähig werden. Man wird es bald als eine schöne Wahrheit achten: „Ein sparendes Kind bettelt nicht.“ Man wird sehr bald die herzerhebende Erfahrung machen, daß in der That die Wege des Sparsinns in den Kindern ein lebendigeres Bildungsstreben, größeren Ordnungssinn, die Lust an erworbenem Besitz und das erste Ehrgefühl auf Besitz erweckt; ja bis zur größeren Freude am Erlernen des Schreibens und Rechnens kann der einfache Wunsch, sein Sparbüchlein selbst zu führen, ein Kindesherz erbeben, und jede dieser guten Regungen ist ein Segen mehr für das allgemeine Wohl.

Wir gehen noch einen Schritt weiter. Aus dem alten Sprüchwort: „Wie gewonnen, so zerronnen“ leiten wir Zweierlei ab. Erstens: Wer sein Besitzthum mit eigener Arbeit erworben hat, wird es sorgfältiger zusammenhalten, als wer ohne Bemühen dazu gekommen ist. Und zweitens: Wer es unredlich erworben, wird es am wenigsten achten. Kurz: „Wer stiehlt, spart nicht.“ Und so richtig dies ist, so richtig ist der Gegensatz, daß die Ehre eines Sparbüchleins in der Kindheit der beste Schutz für die Ehre des ganzen Lebens sein wird, daß aus den allgemeinen Kinder-Sparcassen die noch weit schönere Wahrheit erblühen wird: „Wer spart, der stiehlt nicht!“ –

Das sind nicht etwa blos moralische Möglichkeiten des Sparens, sondern unausbleibliche Folgen desselben. Nicht die zwölf bis vierzehn Thaler, die ein Kind mit Halbegroschen-Wochenersparnissen sammt Zinsen bis zu seinem Schulaustritt aufzubringen vermag, wie wohlthätig sie in armen Familien auch mögen empfunden werden – sondern diese moralische Wirkung des Sparens in der angedeuteten Weise verdient es wohl, daß Jedermann, hauptsächlich aber die deutsche Lehrerschaft diesen Gegenstand ihrer Beachtung und Prüfung für würdig halte.

Die praktischste Weise der Organisation und Verwaltung solcher Kinder-Sparcassen kann ein Gegenstand besonderer Besprechung sein, deren Resultaten die Gartenlaube gern ihre Spalten öffnet.

Friedrich Hofmann.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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