Seite:Die Gartenlaube (1865) 386.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

eigentlich gar nicht zu suchen, aber er suchte doch, denn wohin anders sollte er sich wenden? An die Sabine? da hinüber führte ein Weg, den sein Pferd aber nicht betreten hatte, und dann war er auch noch nie in den Schilfbruch selber ordentlich hineingekommen.

An dem kleinen Wassercurs ritt er langsam hinab, weiter und weiter, bis das Schilf so dicht wurde, daß er kaum vorwärts konnte. Sechs oder acht Aasraben strichen über ihn hin, stiegen hoch in die Luft, kreisten dort eine Weile und stiegen dann, mehr links von ihm in der Richtung, wo der Red River lag, in den Schilfbruch nieder. Hatten sie dort Etwas gefunden? vielleicht die Ueberreste eines Stückes Wild, das ein Wolf oder Panther zerrissen. Von dem Raubzeug gab es dort herum genug und man konnte ihr Geheul jede Nacht hören, wenn man ihrer am hellen Tag auch nur sehr selten ansichtig wurde. Was kümmerte ihn das auch! Aber die greenbriars – eine dornige Schlingpflanze mit grünen, stachligen Ranken – wuchsen hier so dicht, daß sein Fuchs nur mit großer Schwierigkeit hindurch konnte. Das Beste war, er hobbelte ihn hier an irgend einer lichten Stelle aus und nahm ihn dann auf dem Rückweg wieder mit. Unfern vom Ufer der Slew fand er einen solchen Platz, stieg aus dem Sattel, nahm ihm den Zaum ab, band ihm die beiden Vorderbeine so zusammen, daß das Thier nur noch ganz kurze Schritte machen konnte, und wandte sich dann ab.

Mit einem Male fiel sein Blick auf eine abgebröckelte Uferbank und hier auf Etwas, das ihn stutzen machte. Was war das? ein Eindruck in die Erde! wo kam der her? Unwillkürlich läßt ja ein Jäger nichts Derartiges unbeobachtet, und er schob deshalb sein Bowiemesser, mit dem er sich durch das dichte Geschling Bahn gehauen hatte, in die Scheide und bog sich näher zu der befremdlichen Spur nieder.

„Hol mich der Böse,“ murmelte er dabei, „das sieht ja wahrhaftig so aus, als ob hier ein Canoe gegen das Ufer angestoßen hätte! Aber wie kommt denn hier in die Slew ein Canoe und wer hat es da gebraucht und wozu?“

Er nahm seinen Hut ab, legte ihn neben sich, um sich noch weiter vorbiegen zu können, und brachte seinen Kopf dicht über den Platz, aber es wurde nicht anders. Der Eindruck in der Uferbank hier mußte von irgend einem Gegenstand herrühren, der vom Wasser aus dagegen gepreßt war, und das konnte in aller Welt Nichts als ein Canoe gewesen sein. Das war aber die Slew nicht, an der jener Netley wohnen sollte. Die lag wenigstens anderthalb englische Meilen mehr westlich.

Jenkins wußte nicht, was er aus dem Allem machen sollte, aber er war doch entschlossen, der Sache noch etwas weiter nachzuspüren. Er stand auf, holte seine Büchse wieder, die er neben dem Pferd gelassen, und arbeitete sich langsam und geräuschlos immer mehr an dem breiter werdenden sumpfigen Wasser hinab, ohne jedoch auf irgend einen Fußpfad oder eine andere Fährte zu treffen, als die, welche hie und da ein Wolf dem weichen Boden eingedrückt. Weiter oben machte die Slew eine Biegung nach links, und er wollte hier schon wieder umdrehen, als er, dicht am Wasser durch das Dickicht kriechend, überhängendes Schilf bemerkte, das weit draußen, in der Slew selbst, abgehackt war. Das konnte nur durch ein vorbeipassirendes Fahrzeug geschehen sein, dem die Wipfel im Weg gewesen waren, und wer war das jetzt, der hier, in dem furchtbarsten Dickicht drin, sein Wesen so geheim und versteckt trieb, daß selbst Jenkins, als nächster Nachbar dazu, noch nicht einmal etwas davon gemerkt hatte?

Er mußte jetzt mehr erfahren; die Sonne stand ja überdies noch hoch am Himmel, und da er nun doch einmal so weit gekommen war, wollte er auch seine Nachforschungen noch weiter fortsetzen. Es zeigte sich aber wahrlich als keine Kleinigkeit, durch dieses Dickicht eine Bahn zu brechen, und als er jetzt plötzlich einen alten Schilfbrand erreichte – das heißt eine Stelle, wo das Schilf einmal in früheren Jahren, wer weiß ob durch einen Blitz oder durch Menschenhand, in Brand gerathen – wurde es fast zur Unmöglichkeit hindurch zu kommen. Die langen starken Stangen des zähen Rohrs waren dort abgestorben, viele zuletzt an der Wurzel gefault und querüber gebrochen, und mit den frisch hindurch gewachsenen dornigen Ranken bildeten sie an manchen Stellen solche unzerreißbare Massen, daß sich kein Wolf hätte hindurch winden können. Das Schlimmste blieb dabei, daß sich das verdorrte Schilf gar nicht mehr mit dem Messer zerhauen ließ, um eine Bahn zu bekommen, denn es war als ob man mit der scharfen Klinge auf Kieselsteine schlug. Aber Jenkins hatte einmal seinen Kopf darauf gesetzt, und hier die Stangen emporhebend, dort darunter wegkriechend, setzte er seinen beschwerlichen Weg unverdrossen fort, bis er plötzlich fast erschreckt halten blieb, denn vor seinen Füßen öffnete sich ein ebener, frei gehauener Pfad und nicht von den Fährten menschlicher Wesen, nein, von Pferdespuren war er gefüllt.

Pferde – nie im Leben hätte ein Pferd hierher den Weg zu Land gefunden; die mußten durch das Wasser hierher geschafft sein, und was machten sie hier im Schilf? Aber Jenkins war ein zu alter Bewohner des Waldes, um nicht zu wissen, daß er hier an der Schwelle eines gefährlichen Geheimnisses stand. Allein konnte er darin gar Nichts ausrichten; trieben die Raubgesellen, wie es kaum anders möglich war, wirklich ihr Wesen hier, und wurde er hier von ihnen entdeckt, so lag es auch auf der Hand, daß er mit seinem eigenen Leben ihre Sicherheit erkaufen mußte.

Dem durfte er sich nicht aussetzen, denn an seiner eigenen Sicherheit hing jetzt die Entdeckung der Uebelthäter, die ihre Familien bedrohten und Elend und Verderben über die ganze Ansiedlung brachten. Rasch entschlossen kroch er deshalb den Weg zurück, den er gekommen, aber viel vorsichtiger als vorher, denn er konnte nicht wissen, ob nicht irgendwo auf dem Wasser draußen ein Verräther lauere. Er hieb keine Schilfstange mehr durch, sondern bog sie nur aus dem Weg, bis er endlich die Stelle wieder erreichte, wo er sein Pferd zurückgelassen hatte.

So rasch als möglich legte Jenkins seinem Fuchse, den er noch auf dem nämlichen Platze antraf, wo er ihn gelassen hatte, den Zaum wieder an und machte seine Füße frei. Dann stieg er in den Sattel, setzte dem Gaule die Hacken ein und galoppirte, so rasch er ihn über den rauhen Grund fortbringen konnte, wieder in das offene Holz hinein.

Am Liebsten wäre er nun allerdings gleich nach Brownsville hinübergeritten, um dorthin die Kunde seiner Entdeckung zu bringen und mit den Freunden zu berathen, was jetzt am Besten zu thun sei, um das dort jedenfalls versteckte saubere Nest auszunehmen; aber was hätte es ihm heute geholfen, wo die Nachbarn alle selber den Wald nach den verschiedensten Richtungen hin durchstöberten? Er würde keinen dort angetroffen haben, denn ihr Zusammenkommen war ja erst auf morgen Abend festgestellt. So blieb ihm denn Nichts übrig, als seine Zeit ruhig abzuwarten. Vor morgen konnte nun einmal Nichts geschehen.

Aber auch zu Hause litt es ihn nicht lange; sowie er nur erst gegessen hatte, sattelte er sich sein Pferd wieder, um heute noch vor allen Dingen das Terrain ein wenig zu sondiren, um das er sich bis jetzt wenig mehr gekümmert, als vielleicht den Rand des Schilfbruchs einmal auf dem Pirschgang abzusuchen.

Gegen Abend ritt er deshalb noch einmal der Slew zu, an der jenes Netley Hütte stehen sollte, ohne diese aber zu berühren. Er wollte nur etwa die Entfernung wissen, in der sie sich von jenem Platz, den er heute Morgen gefunden, befand, und wie weit es von dort bis zu dem Ufer des Red River sei. Etwa eine Meile westlich war übrigens ein Weg durch den Wald geschlagen, der direct auf den Fluß zu führte. Dort hatte ein Bekannter von ihm, Joe, eine Farm, und hielt zugleich eine Fähre über den breiten und tiefen Strom.

Joe selber war nicht zu Hause; nur seine Familie und der alte Neger, der gewöhnlich die Ueberfahrt besorgte. Mit dem unterhielt er sich eine Weile über die Beschaffenheit des Ufers an dieser Seite, und zwar den Strom hinab, das der Bursche, der das Geschäft schon seit drei Jahren trieb, genau kennen mußte. Natürlich durfte er dem Neger nicht sagen, um was es sich hier handele, sondern frug ihn nur, ob er es für möglich halte, daß er von seinem Platz aus ein Stück im Land drin, vielleicht durch irgend eine der Slews oder Bayous mit dem Red River selber in Verbindung treten könne. Er wolle jetzt, wie er meinte, noch zehn Acker Land urbar machen und recht viel Mais bauen, und da wär’ es denn natürlich sehr bequem, wenn er den gleich, anstatt zu Wagen, in einem Canoe in den Strom schaffen könne.

„Gott segne Ihre Seele, Massa,“ sagte der alte Wollkopf, „das geht nicht. Sieben Meilen stromab, von hier weg, liegt Nichts als ein blutiger Schilfbruch, und die Slews, die hindurchlaufen, sind, wo sie mit dem Strom zusammentreffen, so

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_386.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)