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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„So,“ sagte der Feldwebel, der seinen Mann wohl beachtet und auch die Meldung des Sergeanten nicht überhört hatte, „da hast Du Deinen Judas-Lohn! Was wirst damit machen?“

„Das brauch’ ich wohl Ihm nicht zu sagen,“ erwiderte der Rothe keck, indem er mit hastig bebender Hand die Dukaten in seinen Geldgurt streifte; er suchte seine Betroffenheit hinter einem zuversichtlichen Wesen zu verbergen.

„Da hast Du allerdings nicht Unrecht, Kerl,“ sagte der Feldwebel wieder, „aber vielleicht kann ich Dir was rathen, was Du damit thun könntest …“

„Und was wäre denn das ?“ stammelte der Rothe.

„Daß Du Dir ein Stück Tuch und einen Knopf kaufst und das Loch da in Deinem Wamms ausstückeln lassen sollst …“

Der Rothe schwankte und mußte sich auf den Tisch stemmen. „Ich weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin,“ würgte er hervor, „ich muß irgendwo hängen geblieben sein …“

„Du weißt es nicht, Kerl?“ rief der Feldwebel und vertrat ihm den Weg. „Dann will ich Dir’s sagen … Der bairische Hiesel ist vielleicht ein arger Spitzbub und Verbrecher gewesen, aber er hat Ehr’ im Leib’ und Courag’ wie der Teufel; Du bist einmal sein Camerad gewesen und hast ihn doch verrathen! Wer das kann, der kann auch mehr – der kann auch ein Weibsbild umbringen, das ihm im Weg’ ist …“

„Was fallt Ihm ein …“

„Mir fallt ein, daß Du in der Schmiede gewesen, daß Du von Deinem Weib geredet und dort zurückgeblieben bist … die Ermordete hat diesen Knopf da in der Hand gehabt, an Deinem Wamms fehlt er und der Mörder bist Du! Streich’ Dein Sündengeld zusammen, Schandkerl, und nimm’s – nutzen wird Dich’s nicht viel, denn Dich selber nehmen wir beim Schopf!“

Halb ohnmächtig, schwankend zwischen Grimm und Verzweiflung ward der Verbrecher ergriffen und gebunden. „Bringt ihn fort,“ rief der Feldwebel, „aber nicht zu den Uebrigen … die haben wir in ehrlichem Gefecht gefangen genommen, denen wollen wir die Schand’ einer solchen Gesellschaft nit anthun!“ – So war die furchtbare Wildschützenbande vernichtet, der bairische Hiesel überwältigt und erwartete im Gefängniß zu Dillingen den Ausgang des peinlichen Verfahrens, das über ihn und seine Genossen eröffnet wurde. Dort traf er mit dem Buben wieder zusammen, der schon zuvor dahin abgeliefert worden war.

Hiesel blieb sich auch in Gefängniß und Verhör gleich; er hatte bald seine volle Ruhe wieder gefunden und selbst die alte Heiterkeit kam manchmal zurück. Er leugnete nichts von Allem, was er gethan, aber er wehrte sich mit Eifer dagegen, wenn ihm eine Rohheit, eine That des wilden Uebermuths zur Last gelegt werden wollte, die von seinen Genossen begangen worden war. Mit Vergnügen erzählte er von den bestandenen Abenteuern und Gefahren und kam seinen Richtern gegenüber oft so sehr in Zug, daß er Manches rückhaltlos erzählte, was mindestens vor diesen Zuhörern besser verschwiegen geblieben wäre. Beharrlich verweigerte er jede Auskunft darüber, wer ihm etwa Wild abgekauft, wer ihn beherbergt und ihm eine freundliche Warnung gesandt habe. „Wenn ich was Unrechtes gethan hab’,“ sagte er, „so soll meinetwegen Niemand was Unliebes geschehn; ich denk’, ich werd’s wohl allein ausmachen können!“

Der Proceß war sehr umfangreich und darum langwierig; endlich war er doch so weit vorgerückt, daß das Urtheil von Augsburg, wohin die geschlossenen Acten eingeschickt worden waren, jeden Tag eintreffen konnte.

Hiesel erwartete es in vollster Unbefangenheit; er dachte gar nicht des Kommenden, zumal nachdem man den treuen Buben in dasselbe Gefängniß zu ihm gelegt hatte: man hatte die Bitte Beider gewährt, da doch eine Gefahr, daß sie schädliche Verabredungen treffen könnten, nicht mehr bestand. Seitdem war Hiesel fröhlich und guter Dinge, und Beide sangen wieder zusammen die geliebten Lieder vom lustigen Wildschützenleben im freien grünen Wald.

Eines Abends hatten sie wieder zusammen gesungen, bis der Wächter Stille geboten hatte; Anderl war eingeschlafen, Hiesel wachte noch und sah in das Dunkel der Nacht und des Gefängnisses vor sich hin – plötzlich fuhr er von seinem Strohlager empor und lauschte.

… Vom Fenster der Keuche her ließ sich ein sonderbarer Ton vernehmen, wie das Zischen einer Feile, die an den Eisenstangen des Gitters arbeitete.

„Was giebt’s?“ flüsterte Hiesel. „Wer ist da?“

„Ich bin’s …“ flüsterte es entgegen. „Kennst mich nicht?“

„… Studele … Du ?“

„Ja, ich bin’s. Ich hab’s nit übers Herz bringen können, daß ich Dich verlassen sollt’ in der Noth. Wie ich gehört habe, daß Du gefangen bist, bin ich hieher nach Dillingen und hab’ mich in dem Brauhaus nebenan als Knecht verdungen. Glücklicher Weis’ hat Niemand was Arges gedacht, sie haben mich aufgenommen, und so hab’ ich Gelegenheit gehabt und hab’ Alles in der Still’ vorbereiten können und auskundschaften … Gieb Acht, ich drück’ das Fenster ein und werf’ Dir die Feile zu, daß Du Deine Ketten losmachen kannst …“

Die Fensterscheibe knackte, aber sie klirrte nicht, die Scherben hingen an dem mit Leim bestrichenen Tuche, das Studele an das Glas angedrückt hatte.

„Ich brauch’ die Feile nicht,“ rief Hiesel, „ich bin nicht angekettet …“

„Was? Das ist ja herrlich! Dann haben wir’s nur mit dem Gitter zu thun, aber das sitzt teuflisch fest! Ich hab’ nur die eine Stange wegbiegen können: aber vielleicht ist das Loch doch groß genug, daß Du durchschlüpfen kannst … Versuch’ es einmal …“

Hiesel schwang sich hinauf und suchte sich zwischen den Stäben durchzudrängen, es war unmöglich; auch die Anstrengungen Beider, die übrigen Stangen loszurütteln, waren vergeblich, da alles Geräusch vermieden werden mußte. „Es geht nicht,“ sagte Hiesel endlich, „Du siehst, es soll nit sein! Ich dank’ Dir, Studele, für Deinen guten Willen … aber mach’, daß Du fort kommst, damit sie Dich nicht auch noch erwischen … Nimm den Buben mit Dir und nachher Bhüt’ Dich Gott …“

„Den Buben?“ fragte Studele zögernd.

„Ja – wirst Dich doch nit besinnen, Studele? … Komm her, Anderl,“ rief er dem Buben zu, der ebenfalls erwacht, mit glühenden Wangen mitgeholfen hatte und noch an dem Gitter zu rütteln versuchte. „Ich hab’ Dir versprochen, daß ich wie ein Bruder für Dich sorgen will … jetzt kann ich’s halten! Du bist noch jung, Anderl, Du kannst noch ein anderes Leben anfangen, kannst noch ein anderer Mensch werden … thu’s! Geh’ mit dem Studele, folg’ ihm, wie Du mir gefolgt hast, und wenn’s Dir einmal gut geht … nachher denk’ an mich!“

Der Bub brach in Thränen aus und umfing Hiesel’s Kniee. „Nein,“ rief er, „ich geh’ nit von Dir! Was Dich trifft, Hiesel, soll mich auch treffen …“

„Geh, Anderl,“ sagte Hiesel, „ich will’s haben! Folg’ Deinem Hauptmann zum letztenmal … geh mit dem Studele … und Du, bester von allen Cameraden und liebster von alle’ Freund’, nimm’ Dich um den Buben statt meiner an … Bhüt’ Euch Gott miteinander, und wenn Ihr an mich denkt … und daß Ihr zwei mich nicht vergeßt, das weiß ich … wenn Ihr an mich denkt, dann betet ein Vaterunser für mich …“

„Ich kann nit so gehn, Hiesel,“ rief Studele, „wir wollen noch einen Versuch machen …“

„Es ist vergebens … macht nur, daß Ihr Beide fortkommt, eh’ Euch die Wächter gewahr werden … Fort, ich hör’ schon ein Geräusch draußen auf dem Gang …“

Er hob den Buben, der sich weinend an ihn hielt, zu dem Fenster empor und half ihm durch das Gitter schlüpfen. Ich komm’ noch einmal wieder,“ rief Studele und verschwand …

Er kam nicht wieder.

Am andern Tage ward der Ausbruch und die Flucht des einen Gefangenen entdeckt und der Zurückgebliebene in ein besser verwahrtes Gefängniß gebracht.

Kurze Zeit nachher kam das Urtheil; es lautete:

„In peinlichen Verhörsachen entgegen und wider den Mathias Klostermaier, sogenannten bayrischen Hiesel, von Kissing des Landgerichts Friedberg in Bayern gebürtig, wird auf dasselbe gerichtliche und gütliche Bekenntniß, auch hierüber eingenommene eidliche Erfahrungen, nach gepflogenem genauen Rechtsbedacht und der Sache reif erwogenen Umständen von der hochfürstlich-augsburgischen weltlichen Regierung mit Urtheil zu Recht erkannt, daß dieser Erzbösewicht wegen seiner vielfältigen Wilddiebereien, öffentlichen Gewaltthaten, Landfriedensbrüchen, Räubereien und vorsätzlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_399.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)