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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Fürsprache halten, wenn Er versichert, daß sich diese Leute so rasend lieb haben –“

„Ich hab’ es halt so gemeint,“ fuhr Grüneisen in desperater Selbstvertheidigung heraus; „Was, um des Himmel willen, soll der Mensch meinen, da ich doch selbst mit eigenen Augen gesehen habe, daß der Stegwirth alle Hebel angesetzt hat, um die Balbina zu kriegen, die lange Zeit gar nicht darangehen wollte? Was soll der Mensch meinen, wenn er sieht, daß sich Leonhard seit einem Jahre die Füße abläuft, um beim Stegbauer zu hocken; wenn er der Brigitta auf allen Jahrmärkten die theuersten Sachen kauft und zehnmal des Tages am Zaun mit ihr steht? Ja, wenn man das nicht für Liebe halten kann, so müßte man auch einen Hund für keinen Hund halten, wenn man ihn blos sieht und nicht auch bellen hört! Ich hab’ es halt gemeint und das hat auch die ganze Ortschaft gemeint!“

„Habt Ihr denn gar keine Religion?“ wandte sich der Hofrath sehr eindringlich an die Brautpaare. „Habt Ihr in der Kirche nicht oft genug gehört, daß die Ehe ein Bund der Herzen, ein heiliges Sacrament, nicht ein elender Güterschacher ist? Zu Eurer Ehre will ich glauben, daß Ihr in Euch gehen und Euch noch besinnen werdet! Auch der Herr Pfarrer wird –“

„Wir sind schon entschlossen,“ sprang der Stegwirth mit plötzlichem Trotz in’s Wort, „und sind nicht hierher gekommen, um das hohe Gericht zum Narren zu halten. Wir wissen, was wir wollen, und bleiben dabei!“

„Auch kann uns Nichts daran hindern,“ fügte Leonhard, der sich bisher so still verhalten, zur Unterstützung des Stegwirths energisch hinzu. „Uebrigens ist es viel besser, man thut einen solchen Schritt vor der Hochzeit zurück, als man bereut nachher.“

„Du triffst den Nagel – sehr wahr!“ bekräftigte der Stegwirth diese seltsame Logik.

„Ich kann und will Euch nicht mit Gewalt zurückhalten,“ versetzte der Hofrath darauf, „aber Ihr würdet verdienen, daß sich jeder Priester scheue, Euch einzusegnen! Und Du, Balbina!“ er richtete an die Genannte, die hinten wie eine Bildsäule stand, in freundlich zusprechendem Tone das Wort, „Du bist ein so schönes Mädchen! Deine Gesichtszüge sind so sanft und weich, daß man annehmen sollte, daß Du Herz und Gemüth in Dir hast. Deine großen Augen blicken so freundlich und, ich möchte beinahe sagen, so lieb, daß man Gefühl und weibliche Sitte bei Dir vermuthen dürfte. So oft Dich meine Frau in der Kirche sieht, erzählt sie mir mit wahrem Vergnügen, wie Du ihr gefällst und welchen besonderen Anstand Du immer zeigst! Du bist so häuslich, man sieht Dich nicht, wie Andere, bei allen Lustbarkeiten herumtoben, Du lebst nur für die Arbeit und Deine Mutter. Könntest Du das Ansehen, das Du bei allen besseren Leuten mit Recht genießest, so mit Füßen treten und, ohne von der äußersten Noth gedrängt zu sein, eine Heirath eingehen, welche keinen Zweck bat, als die Güter zweier Nachbarn zusammenzulegen? O pfui, das kann ich nicht – das kann ich nicht von Dir glauben!“

Balbina blieb wie ein Stein, ihre Augen hatten weder während der eindringlichen, sympathievollen Anrede des Hofraths, noch nachher den Boden verlassen, auf welchen sie die ganze Zeit über starr und fix geheftet waren.

In Brigitta dagegen, welche wahrscheinlich von den ihrer Mitbraut gespendeten Lobsprüchen gekränkt und verletzt war, erwachte plötzlich Leben, und sie sagte zum Hofrath in sehr lebhaftem und schnippischem Tone:

„Sie ist schon entschlossen, und wir denken da Eine wie die Andere! Ich heirathe den Stegwirth oder will Klosterfrau werden!“

„Dann bin ich mit Euch fertig!“ sprach der Hofrath mürrisch und unwirsch. „Reicht neue Gesuche ein, und wenn das Unglück über Euch kommt, das sich schon vorhersehen läßt, so hab’ ich Euch in letzter Stunde gewarnt und Ihr werdet kein Mitleid verdienen. Geht!“

Die Brautpaare machten auf das Geheiß Kehrtum und waren im Nu draußen.

„Hat man so Etwas erlebt!“ rief der Hofrath, als er mit Grüneisen allein war.

„Wie die Thiere,“ brummte Grüneisen, „wie die Thiere!“

„Was sag’ ich immer über die Bauern?“ fuhr der Hofrath fort. „Meine Frau glaubt, daß ich zu hart und zu lieblos urtheile! Es fehlt an tüchtigen Schulen, und die Kirche allein macht Nichts aus ihnen, Schulunterricht muß mithelfen –“

„Und ein derber Stock,“ fiel der ehemalige Corporal ganz wild in’s Wort. „Euer Gnaden sind zu nachsichtig, zu gnädig, zu fein. In der Armee hab’ ich es gesehen, aus welchen Lumpen der Stock die vortrefflichsten Menschen gemacht hat! Wenn ich der Herr Hofrath wäre, ich würde unter die Bauern dareinfahren, wie unter die Türken! Dann ging’s!“

„Nun, Gott bessre es!“ murmelte der Hofrath mit einem Seufzer. „Ich muß den Vorfall meiner Frau gleich erzählen.“

Er bewegte sich mit großer Eile nach seinen Gemächern.




2.

Der höhere Theil einer mächtigen Halde, welche, mit schönen Hochwiesen und Buchengehölzen bedeckt, ungefähr fünftausend Fuß hoch hinaufsteigt, wo die schroffen Wände des Gebirgskammes die Vegetation nicht mehr aufkommen lassen, heißt der Oberanger, der untere Theil der Unteranger. Ein Fußpfad und ein steiniger Hohlweg, dem trockenen Bette eines Wildbachs ähnlich, beide sehr steil, führen zu Leonhard’s Hofe, eine starke halbe Gehstunde über der Thalsohle gelegen, und von dort, mehr als doppelt so hoch, zu Balbina hinauf. Das Haus der Letzteren ist der höchste Bauernhof im ganzen Kessel der wildromantischen Burgsau, und von dem Markte gleichen Namens dritthalb Stunden weit entfernt.

Zu Mittag, mehrere Tage nach der geschilderten Gerichtssession, als die Sonne der Hundstage mit wahrhaft grausamen Strahlen herabglühte, kam Leonhard von einem Ausgange zurück. Von Weitem schleuderte er schon den Hut von der schweißbedeckten Stirn auf den hölzernen Tisch, der unter einer großen Buche stand, und warf sich selbst auf die Bank daneben, wie wenn ihn die Kräfte in solcher Hitze nicht bis in’s Innere deö Hauses zu tragen vermöchten.

„Hansel, Hansel!“ rief er mit seiner Löwenstimme seinem Stallknecht.

Hansel kam, ein mittelgroßer, dürrer, aber nerviger Mann im besten Alter, von jenem traurigen Phlegma des Ausdrucks und Wesens, welches die Gewohnheit, die niedrigsten Arbeiten zu verrichten, häufig erzeugt.

„Warst Du im Oberanger-Hof?“ fragte ihn der Herr.

„Gleich in aller Frühe,“ versetzte Hansel, „kaum, daß Du mir es angeschafft hast.“

„Wo sind die Papiere?“ fragte Leonhard hastig.

„Die hab’ ich in die Backstube hingelegt,“ war die Antwort.

„Bring’ sie her!“

Als sie Hansel gebracht hatte, griff Leonhard rasch darnach und sah sie durch.

„Dummer Kerl,“ rief er, einen der Bogen in den Händen auseinanderfaltend, „bei dem Gesuche fehlt die Unterschrift! Weßwegen hab’ ich Dich zur Balbina geschickt?“

„Ein dummer Kerl bin ich,“ gab Hansel mit der ruhigsten Ueberzeugung zur Antwort, „aber ich weiß nicht, ob sie unterschrieben hätte, wenn Du einen viel Gescheidteren, als mich, hingeschickt hättest!“

„Schweig, Strohkopf,“ herrschte ihn Leonhard an. „Sie hat auf die Schrift gewartet und gewußt, daß sie sie unterschreiben muß. Du mußt sie aber mit Deinem Zungengedresch ganz irre gemacht haben!“

„Hat sie es gewußt und nicht gethan,“ versetzte Hansel überaus gelassen, „so wird sie am besten wissen, warum, und ich kann da Nichts verdorben haben.“

„Wie hast Du ihr also meinen Auftrag ausgerichtet?“ fragte Leonhard.

„Gar nicht,“ lautete die seltsame Antwort, „kein Sterbenswörtlein habe ich gesagt und kann sie also nicht irre gemacht haben.“

„Da hat man es! Was hab’ ich gesagt?“ rief Leonhard mit einer vor Zorn mißtönenden Stimme, indem er sich wild erhob und auf den Knecht mit geballten Fäusten losstürzte. „Deine Ohren sollt’ ich Dir abreißen, Dummkopf!“

Hansel blieb unbewegt stehen, wie ein Meilenzeiger, wiewohl er nicht wissen konnte, daß die Drohung ohne alle Folgen bleiben werde.

„Was hätt’ ich sagen sollen?“ sagte der Knecht mit seiner vorigen Ruhe. „Was hättest Du gesagt? Sie ist oben am Fenster gestanden und hat mich in den Hof hineintreten sehen. ‚Du bringst gewiß die Papiere,‘ hat sie mir gleich heruntergerufen. Das hat sie sich freilich leicht denken können, denn sie hat gesehen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_419.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)