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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

ihre Existenz darzuthun. „Wäre nicht,“ sagt er, „die weise und sorgfältige Einrichtung des Schöpfers solchergestalt beschaffen, daß dieses Seethier sich beständig in der Tiefe aufhielte, außer im Monat Julius und August, als in seiner Laichzeit, in welcher es, wenn die See am allerstillsten, heraufkommt, aber sogleich wieder sinket, sobald der Wind das Wasser nur im Geringsten bewegt; wäre nicht diese Einrichtung, sage ich, zur Sicherheit der Menschen solchergestalt gemacht, so erforderte die Wirklichkeit der Meerschlange weniger Beweis, als man Gott Lob! auch sogar in Norwegen nöthig hat, dessen Küsten sonst in ganz Europa die einzigsten sind, die von diesem Ungeheuer besucht werden; und dieses ist auch den Feinden der Leichtgläubigkeit zu statten gekommen, daß sie desto mehr daran gezweifelt haben, so wie ich selbst gethan habe, bis mir endlich meine Zweifel durch hinlängliche Beweismittel gänzlich benommen wurden.“

Die Fjorde von Christiansund und Molde sind die eigentlichen Heimathsorte der großen norwegischen Seeschlange: dort schwört Jedermann auf ihre Erscheinungen und jeder Besucher dieser schönen und tiefen Meerbusen kann Dutzende von lebenden Zeugen auftreiben, welche die Seeschlange mit eigenen Augen gesehen zu haben beschwören. Auch uns wurden während mehrtägigen Aufenthalts im Molde-Fjord mehrere solcher Leute bezeichnet. Pontoppidan giebt ein Actenstück, von dem hochedlen und wohlgeborenen Herrn Seecapitain und Oberlotz (Oberlootse?) Lorenz de Ferry, der im Jahre 1646 Ausgangs des Augustmonats mit seiner mit acht Ruderknechten bemannten Jacht eine Meile von Molde der Seeschlange so nahe kam, daß er mit seiner mit Hagel geladenen Flinte auf das Thier schoß, welches stracks unter das Wasser tauchte. „Das Wasser war sonst daselbst, wo die Schlange untergegangen war, gleichsam dicke und röthlich, vielleicht, daß die Körner des Hagels sie in kurzer Entfernung getroffen hatten.“ Verschiedene Pfarrer haben sie dann auch auf ihren Kirchenreisen gesehen und einer hat das Thier gezeichnet. Der grönländische Missionär Hans Egede hat nicht minder eine „andere Art“ gesehen, die sich so hoch aufrichtete, daß „der Kopf über den großen Mars hinaus reichte“, die mir aber trotz der Schlankheit in der Abbildung und vielen sonstigen Abweichungen nichts anderes, als ein spielender Finnfisch gewesen zu sein scheint.

Classen-Kappelmann.


Gegen Ende der dreißiger Jahre besuchte Heinrich Rathke, der berühmte Königsberger Naturforscher, Christiansund und nahm einige Zeugnisse, ebenfalls von Solchen, welche das Thier selbst gesehen haben wollten, auf, die er später veröffentlichte. Fasse ich nun die verschiedenen Angaben zusammen, die uns ebenfalls mündlich bestätigt wurden, so giebt derjenige Zeuge, welcher die Seeschlange auf sechs Fuß Entfernung bei seinem Boote während zweier Stunden dreimal gesehen haben will, ihre Länge nur auf fünf bis sechs Faden (dreißig bis sechsunddreißig Fuß) an – die Schätzung der Größe wächst aber auf vierundvierzig und fünfundfünfzig Fuß, fünfundfünfzig Ellen, ja dreihundert Ellen, je weiter die Zeugen von dem Thiere entfernt waren. Alle stimmen überein, daß es stark mit schlangenförmigen Bewegungen auf- und abschwamm, so daß der Körper einer Reihe von Tonnen glich, welche hintereinander auf- und niedertauchten, daß das Wasser an dem Halse brandete und links, rechts und hinten in starke schaukelnde Bewegung gerieth. Wer aber je eine schnell gleitende Schlange oder ein schnell an der Oberfläche schwimmendes Thier gesehen hat (Seehund, Delphin), wird gefunden haben, daß man sich ungemein in der Schätzung der Länge täuscht und um so mehr, je weiter man entfernt ist, indem der durch den bewegenden Körper im Auge hinterlassene Eindruck zu der wirklichen Länge unwillkürlich hinzugerechnet wird – etwa in ähnlicher Art, wie man den lebhaft geschwungenen Funken als einen Lichtkreis, den Blitzfunken als eine Linie auffaßt. So darf man also dreißig bis sechsunddreißig Fuß als die größte beobachtete Länge und jede andere Schätzung als Uebertreibung auffassen.

Die Farbe wird allgemein als dunkelbraun oder schwärzlich angegeben; der Kopf, besonders um das Maul herum, dunkler und ganz schwarz. Der Kopf selbst scheint wie ein Hut oder ein Branntweinfäßchen groß, vorn abgestumpft, mit breiten Lippen, wie ein Pferde- oder Kuhmaul und mit starken Schnurrhaaren besetzt. Nur den Kopf hat man in spitzem Winkel aus dem Wasser hervorgehoben gesehen – von dem Körper nur die Rückenfläche, doch schien derselbe lang, schlangen- oder aalartig. vollkommen rund, von der Dicke eines starken Mannes und nach hinten zu schnell abnehmend – den Schwanz hat Niemand außer dem Wasser gesehen. Die Augen sah der nächste Beobachter auf sechs Fuß sehr groß, rund, glänzend, roth, etwa von dem Durchmesser einer Theetasse – andere sahen sie auf hundert Schritt groß, glänzend, wie die einer Katze, oder bläulich-weiß, wie zinnerne Teller. Die Haut glatt, allgemein aber wird an dem Halse eine Mähne angegeben, welche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_573.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)