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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

bekamen wir noch unsere rechte Noth. Denn so schnell wir auch wieder schußrecht an die außer Sicht Gekommenen hinan waren, das begehrte Thier blieb, wie in Vorahnung ihm drohender Gefahr, stets mitten im Trupp und ward, wie erst schon, immer und immer durch andere gedeckt, oder, wenn es ja einmal auf Augenblicke frei wurde, stand sicher hinter ihm eine Creatur, die, hätte man geschossen, auch mit getroffen werden mußte. Kurzum, es war nicht beizukommen.

Außerdem trat nun wirklich der gefürchtete Fall ein, daß die Beschlichenen uns wegbekamen und dadurch so mißtrauisch wurden, uns nicht wieder im Pirschen an sich hinan zu lassen. Deshalb zogen wir nach vergeblichen Bemühungen vor, uns ablösend vor die Wechsel zu stellen, während der Andere sacht hinter dem Wilde herpirschte. Aber auch dieses Manöver wollte zu keinem Erfolge führen, wir kamen eben niemals auf das rechte Stück zum Schuß. Zuletzt fiel uns fast der Muth, dasselbe an diesem Tage überhaupt noch zu bekommen, besonders da der Trupp durch die immerwährende Beunruhigung nun förmlich flüchtig wurde und die gezwungenen Wechsel nur im Fluge passirte. Trotzdem ließen wir nicht ab, und dabei glückte es endlich meinem Führer doch einmal, das Thier auf einen Moment, allerdings in vollster Flucht, frei aufs Korn zu bekommen. Rasch schoß er, und ganz deutlich sah ich, wie es die Kugel erhielt. Mit krummgezogenem Rücken machte es eine gewaltige Lançade in die Luft und stürmte dann mit dem flüchtigen Trupp weiter. Aber nur etwa fünfzig Schritt ging es mit seinen Genossen, dann trennte es sich von ihnen und zog langsam, nicht sehr fern von mir, etwa hundertundfünfzig Schritte, über eine haideblühende Blöße dem Holzrande zu. Deutlich konnte ich hierbei auf dem weißen Haar den Anschuß, der hinterm Blatte, aber etwas kurz saß, erkennen, ohne noch selbst einen Schuß anbringen zu können. So beobachtete ich denn vor allen Dingen, wo das kranke Thier sich niederthun würde, was auch sehr bald unter einer gewaltigen Fichte geschah, welche ihre dichten Zweige bis zur Erde neigte.

Die letzten Augenblicke.
Nach der Natur gezeichnet von Guido Hammer.

Unterdessen war mein Jägersmann mit Laden fertig geworden und an mich herangekommen. In Kürze erstattete ich Bericht über das Beobachtete und zeigte dem glücklichen Schützen seine sitzende Beute. Mit gutem Winde pirschten wir uns nun mitsammen ganz nahe hinan, und leise nahm ich die Büchse an den Kopf, um das leidende Thier vollends todt zu schießen, aber Freund Grünrock griff mir plötzlich in den Arm, mich an meinem Vorhaben zu behindern. „I,“ raunte er mir dabei in’s Ohr, „Sie sind wohl des Teufels, hier erst noch eine Kugel d’ran wenden zu wollen. Nehmen Sie lieber rasch Ihr Skizzenbuch zur Hand, denn so Etwas kommt einem nicht alle Tage vor: ein Stück Wild im Verenden nach der Natur zeichnen zu können.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_605.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)